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Was tun in Zeiten des Krieges

Migration, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg führten zu drei Brüchen in der Politik der Linken, die sich als folgenschwer erweisen

  • Michael Brie
  • Lesedauer: 8 Min.
Vielen Linken bis in Führungspositionen fehlt marxistische, imperialismuskritische Analyse, meint Michael Brie.
Vielen Linken bis in Führungspositionen fehlt marxistische, imperialismuskritische Analyse, meint Michael Brie.

Kürzlich wurde mir durch ein Mitglied des Vorstands der Partei Die Linke die gegenwärtige Strategie dieser Partei erklärt. Hauptziel sei es, die Partei zusammenzuhalten, die Verluste in die verschiedenen Richtungen zu minimieren und im Maße der Veränderung der Stimmung in der Bevölkerung mit Bezug auf den Krieg in der Ukraine die eigenen Positionen zu diesem Krieg anzupassen. Man habe bewusst die sozialen Fragen ins Zentrum gerückt, weil es hier einen großen Konsens gäbe, anders als in der Frage des Krieges.

Dies würde in meinen Ohren außerordentlich vernünftig klingen, wenn das Schiff der Partei Die Linke auf ruhiger See wären und nur einzelnen, und sei es heftigen Böen zu widerstehen hätte. Man könnte sich vom Winde treiben lassen und bräuchte sich nicht zu entscheiden. »Doch die Verhältnisse, die sind nicht so«, dichtete Bertolt Brecht.

Im Eingang des Karl-Liebknecht-Hauses, Sitz des Parteivorstandes, kommt man an einem Zitat von Karl Liebknecht vorbei. Jede und jeder, der dieses Haus betritt, um an Sitzungen des Vorstands der Partei Die Linke teilzunehmen, hat es also vor Augen: »Freilich, nur Begeisterung kann große Werke vollbringen, Überzeugung und Vertrauen ist nötig; Klarheit über Weg und Ziel.« Alles das fehlt auf dem Schiff Partei Die Linke.

In stürmischen Zeiten kann man klaren Positionierungen nicht ausweichen. Man kann nicht hinterhertraben, sondern muss vorweggehen in der Überzeugung, dass andere folgen. Man kann nicht versuchen, die Verluste an Anhängern zu minimieren, sondern muss vor allem selbst ein starker Anziehungspunkt werde, um Anhänger zu gewinnen, weil man sie begeistert durch klare Sprache und überzeugende Positionen. Aus wenigen können viele werden, wenn die richtigen Botschaften vertrauenswürdig und nachhaltig, verbunden mit richtiger zuverlässiger Politik, ausgesendet werden.

Es gibt einen schreienden Widerspruch zwischen dem Potenzial für linke politische Kräfte in der Gesellschaft und dem, was die Partei Die Linke, aber eben auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung erreicht. Wenn sich bundesweit seien es 20 oder 30 Prozent, im Osten noch mehr vorstellen können, eine Partei mit dem Gesicht von Sahra Wagenknecht zu wählen, die Partei Die Linke selbst aber bei Umfragen unter fünf Prozent liegt, dann müssen wir alles, aber auch alles tun, damit dieser Widerspruch solidarisch und gemeinsam bearbeitet wird und wir gemeinsam 15 Prozent bekommen, um wieder ein wirkungsstarke linke Partei zu sein. Das unendliche Wagenknecht-Bashing vernebelt das eigene Problem mangelnder Ausstrahlung. Wieso aber fehlt diese Ausstrahlung?

Liest man die jüngste Leipziger Erklärung von Vorstands- und Fraktionsvorsitzenden der Bundes- und Landesebene der Linken, so ist man versucht, allem irgendwie zuzustimmen. Dieser Versuchung sollte man aber widerstehen. Das Problem der Partei Die Linke ist nicht, dass sie nicht viele richtige Positionen vertritt, sondern in einigen Fragen falsche oder völlig unklare Positionen. Und leider lässt sich dies nicht arithmetisch gegeneinander aufrechnen. Die Bürgerinnen und Bürger, die ganz normalen Leute fragen vor allem: Wie haltet ihr es in jenen Fragen, die für uns die brennend aktuellen Fragen sind? Wie positioniert ihr euch nicht auf ruhiger See mit lauen Lüftchen, sondern im Sturm? Wieso seid ihr da so unentschieden und profillos, wenn es darum geht, wider allen Orkan den Kurs zu finden? Wofür steht ihr dort, wo es um alles geht?

Der erste Sturm kam 2015. Damals erfolgte der erste Bruch mit vielen Lohnabhängigen, auch mit Gewerkschaftlern. Er kam, weil die Partei Die Linke im Herbst der Migration 2015 den Eindruck erweckte, als seien offene Grenzen die Lösung. Während sich in der unteren Mitte die Furcht vor starker Konkurrenz, vor Umverteilung auf ihre Kosten, auch vor Gewalt breit machte, Schutz gefordert wurde, fehlte vielen Linken marxistische Analyse: Herrschaft des Kapitals basiert auf der Konkurrenz der Lohnarbeiter. Divide et impera! Diese Konkurrenz und Spaltung, die damit verbundenen Sorgen können nicht weggeredet werden. Es bleibt nur der Kampf um ihre solidarische Regulierung.

Migration ist nicht per se gut und klasse. Menschenrechtspolitik ist nicht abstrakt, sondern verlangt die Austragung der Widersprüche, die die herrschenden Verhältnisse schaffen. Die Position der Linken war vom Standpunkt derer, die in der Konkurrenz auf Arbeits- und Wohnungsmärkten und um Sozialleistungen stehen, nicht ernst zu nehmen. Es fehlte schlicht der Respekt. Solidarität mit denen, die vor Krieg und Elend eine neue Heimat suchen, und mit denen, die hier schon beheimatet sind, gehört zusammen.

Der zweite Bruch kam mit der Pandemie. Wir wissen heute, dass die Schließung der Kindergärten und Schulen völlig falsch war. Das traf wieder vor allem die Schwächeren der Gesellschaft. Wir wissen auch um berechtigte Ängste bei Impfungen. Es gelang der Partei Die Linke nicht, beides zugleich zu leisten: die Ängste und Widersprüche ernst zu nehmen und eine deutliche Stimme des Ausbaus eines solidarischen Gesundheitswesens zu sein. Es fehlte an populärer Klassenpolitik. Wieder war die Linke keine ernstzunehmende Alternative.

Der dritte aktuelle Bruch kam mit dem Krieg in der Ukraine Anfang 2022. Wieder war Profillosigkeit Zeichen der Linken. Der Beschluss des Parteitags vom Sommer 2022, dem sich jede und jeder beugen soll, ist falsch. Ihm fehlt marxistische, imperialismuskritische Analyse. In diesem Krieg treffen zwei Imperien, ein starkes und ein sich bedroht sehendes, sehr schwaches, aufeinander. Auch die Leipziger Erklärung geht nicht auf die Vorgeschichte des Krieges ein. Diese Vorgeschichte beginnt nämlich dort, wo durch die Ausdehnung der Nato für Russland die rote Linie des Schutzes der eigenen Sicherheitsinteressen überschritten wurde. Der von Russland begonnene Krieg ist die schreckliche Folge. Es war vor allem die Politik der USA, die die Bedingungen für diesen Krieg geschaffen hat, so wie sie auch einen Krieg um Taiwan immer wahrscheinlicher macht. USA und Nato wollen Frieden durch ihre eigene Vormacht schaffen. Dies aber wird immer mehr und neue Kriege auslösen.

Die Leipziger Erklärung forderte zudem kein Ende der immer umfassenderen Waffenlieferungen an die Ukraine und wendet sich nicht gegen den Wirtschaftskrieg gegen Russland, sondern setzt nur daneben zusätzlich auch auf Verhandlungen. Wieder wird den realen Widersprüchen ausgewichen, weil einer klaren Analyse ausgewichen wird: Wenn das Hauptziel des Krieges aus westlicher Sicht mittlerweile die Ausschaltung Russlands als geopolitische Kraft ist und die Aufrüstung der Ukraine das Mittel dazu, dann muss meines Erachtens Die Linke sich gegen diese Aufrüstung, also gegen weitere Lieferungen immer schwererer Waffen ohne Ende und gegen die Spirale der Sanktionen wenden, die die Menschen in Russland wie in der Europäischen Union schwer treffen. Wenn die Ukraine sich zum Hilfsmittel des Kampfes gegen Russland macht, dann ist die Frage, in welchem Maße sie unterstützt werden soll, vor allem auch dadurch bedingt, ob man die westlichen Kriegsziele unterstützt oder nicht. Die Fortsetzung dieses Krieges »mit allen Mitteln« ist die schlimmste Option.

Für Ferdinand Lassalle begann alle revolutionäre Tat damit, offen und klar zu sagen, was ist: In diesem Krieg hat die Partei Die Linke in ihren Erklärungen nicht von Beginn an eindeutig über die Vorgeschichte des Krieges gesprochen, sich nicht hart gegen die Eskalationsdynamik gestellt, nicht konsequent die Priorität auf Verhandlungen betont und auch nicht offen gesagt, dass es im Ergebnis der Verhandlungen keine Rückkehr zu den Grenzen der Ukraine vor 2014 geben wird. Damit war die Partei Die Linke letztlich Anhang des Mainstreams.

Machen wir uns nichts vor: Setzt sich dieser Krieg lange Zeit fort, dann sind wirksamer Schutz der Lohnabhängigen, sozialökologische Transformation und Wirtschaftsdemokratie und ein resilientes Gemeinwesen nur leere Phrasen. Zudem wächst mit jedem Tag die Gefahr einer nuklearen Eskalation. Die Frage von Krieg und Frieden und die soziale Frage können in Kriegszeiten nicht getrennt werden. Deshalb sollten durch die Partei Die Linke die Lieferung von Angriffswaffen an die Ukraine und die Fortsetzung des Wirtschaftskrieges mit aller Klarheit und Überzeugung verurteilt werden.

Viele in der Führung der Partei Die Linke haben Angst, alleine zu bleiben gegen rechts und den Mainstream. Im Augenblick der Wahrheit, im Moment der schärfsten politischen Zuspitzung fehlt die Klarheit dialektischer Analyse, der Mut zur Alleinstellung. So wird man aber überflüssiges Anhängsel des herrschenden Blockes – überflüssig für diesen Block, überflüssig für die Bürgerinnen und Bürger, überflüssig selbst für jene, die sich als links verstehen.Linke Alleinstellung in zentralen Streitfragen der Zeit muss nicht in die Sekte führen, wenn sie sich auf die jeweils brennenden Fragen konzentriert. Wenn sie den Kompass der Orientierung auf die Lohnabhängigen, auf ein solidarisches Mitte-unten-Bündnis fest im Auge hat. Es ist die alte soziale Frage »Wem nützt es?«, die von links verbindet – gerade auch Ökologie, Feminismus, Demokratie, Frieden, Menschlichkeit und Menschenrechte. Und die dafür sorgt, dass diese nicht zur Legitimierung von Kriegen missbraucht werden.

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