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Denkmal könnte Opfer von Spekulanten werden
Seit Jahrzehnten verfällt in Hamburg die Schilleroper. Seit 2014 ist das Grundstück in Privatbesitz
Bei starkem Wind klappert manchmal etwas. Seit einem Jahr rostet das Skelett der Schilleroper an der nach ihr benannten Straße im Hamburger Stadtteil St. Pauli vor sich hin. Laut der Kulturbehörde der Hansestadt ist es »als letzter erhaltener fester Zirkusbau des 19. Jahrhunderts in Hamburg und wahrscheinlich sogar in Deutschland ein bedeutendes Denkmal«.
Doch der Feststellung folgten keine Taten für den Erhalt des Gebäudes. Zwar wurde es 2012 förmlich unter Denkmalschutz gestellt. Doch der gilt nur für das Gerippe. Das 24 Meter hohe Geflecht aus Stahlstangen ist ein Mahnmal für jahrzehntelanges Versagen von Politik und Behörden, ein Menetekel für ihre Ohnmacht gegenüber Spekulanten.
In dem 1891 als »Circus Busch« eröffneten Haus drehten bis 1899 vor einem oft mehr tausendköpfigen Publikum Elefanten und Eisbären ihre Runden. Ab 1904 erfolgte der Umbau zum »Schiller-Theater«. Hier hatte der andernorts in der Stadt viel gerühmte Hans Albers 1913 seinen ersten Auftritt. In den 1920er-Jahren wurden Opern und Revuen dargeboten, aber auch »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« von Bertolt Brecht und Kurt Weill. Nach einer Zwangsversteigerung 1931 wurde das Haus als »Schiller-Oper« neu eröffnet. Eines der Stücke, die zur Aufführung kamen, hieß »Der Wanderer« und stammte von einem gewissen Joseph Goebbels.
Nach Kriegsbeginn 1939 wurde die Schließung verfügt, weil Luftschutzräume fehlten. Eine Brandbombe zerstörte 1943 große Teile des Gebäudes, die nie wiederhergestellt wurden. Von September 1944 bis März 1945 waren in der Ruine über 600 italienische Kriegsgefangene und ukrainische Zivilisten eingesperrt, die zur Arbeit gezwungen wurden. Am Bauzaun um das nackte Stahlgerüst hat das St. Pauli-Archiv erst im August 2021 ein Banner mit den Namen der Internierten angebracht.
1951 führten in der Rotunde Motorradartisten ihre Kunststücke vor, später kamen im »Hotel Schilleroper« Fernfahrer unter. Zwischen 1963 und 1970 diente das Haus als Unterkunft für Arbeitsmigranten aus Italien. Und in den 1990er Jahren hielten die Behörden der Hansestadt das heruntergekommene Gebäude noch für die Unterbringung von Asylsuchenden aus Afghanistan und dem ehemaligen Jugoslawien sowie für Obdachlose für geeignet.
Im Laufe der Zeit beherbergte das einst imposante Haus Restaurants und Bars, Musikclubs gaben Gastspiele. Und immer wieder wurden Konzepte zur Nutzung als Theater oder Zirkus entwickelt, die nicht zuletzt am Einspruch des zuständigen Bezirksamts Hamburg-Mitte scheiterten. Mal berief es sich darauf, dass das Areal als Grünfläche ausgewiesen sei, mal auf einen Bebauungsplan, der den Vorhaben zuwiderlief. Und der Verfall schritt voran. »Die Geschichte der Schilleroper ist eine Geschichte der verpassten Möglichkeiten«, stellt der Hamburger Kunsthistoriker Jörg Schilling fest.
Seit 2014 gehört das Gelände der »Schilleroper Objekt GmbH«, die auf ihrer Website prahlt: »Wir geben Hamburg ein Stück Zukunft zurück!« Man wolle »sozialen Wohnraum« schaffen sowie »kleine Läden, ein Restaurant mit Außenbereich, ein Fitnesscenter«. Es gehe um »Architekturen für fließende Lebensmodelle zwischen Wohnen und Arbeiten«. Pläne, die 2017 vom damaligen Leiter des Bezirksamts höchstselbst vorgestellt wurden, sahen ein zehnstöckiges Hochhaus vor, in dem die Schilleroper verschwunden wäre.
Die Lage zwischen den angesagten und teuren Quartieren St. Pauli und Schanzenviertel ist lukrativ. Wie „sozial“ der Wohnungsbau sein könnte, steht in den Sternen. Denn bei blumigen Ankündigungen ist es geblieben. Ein Bauantrag wurde nicht gestellt. Die Eigentümerin beschränkte sich darauf, gegen den Denkmalschutz zu klagen und den Abriss vorzubereiten. Die Behörden setzten Fristen, die verstrichen, und führten Gespräche ohne Ergebnis.
Im März 2021 rückten die Bagger an. Sie gingen so rabiat vor, dass das schützenswerte Gerippe gefährdet war. Eine Anwohner-Initiative verbreitete über die sozialen Medien ein Video, sodass die Behörden sich gezwungen sahen, die Abbruch vorläufig zu stoppen. Unter Aufsicht konnte die Entkernung freilich fortgesetzt werden. Zuletzt stritt die Eigentümerin mit den Ämtern um den Rostschutz für die freigelegten Stahlträger.
Von »Jahrzehnten der Untätigkeit und des Aussitzens« sprach die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft bereits 2018. »Die Eigentümerin tanzt den Behörden auf Nase herum«, empörte sich unlängst deren Sprecherin für Stadtentwicklung, Heike Sudmann. Im Mai 2021 beantragte die Linke, die Enteignung zu prüfen, weil »die Eigentümerin ihrer Pflicht zum Erhalt des Denkmals nicht nachkommt». Als „Tragödie« bezeichnet die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Anke Frieling, den Umgang mit der Schilleroper. Die Regierungsparteien SPD und Grüne schweigen beredt.
»Anscheinend spielt die Eigentümerin weiter auf Zeit«, vermutet Heike Sudmann. »Denn je länger das Stahlgerüst ungeschützt da steht, desto größer ist die Gefahr, dass es zusammenbricht. Und dann wäre der Denkmalschutz weg.« Die letzten Spuren der über 130-jährigen Geschichte dieses für Kultur und Stadtgesellschaft bedeutenden Ortes wären damit getilgt. »Alle Beteiligten handeln in einem ausgeprägten gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein«, behauptet die Eigentümerin dennoch auf ihrer Webseite.
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