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Zwischen Hannawald, Haaland und Hanks

Auf dem Weg zum dominierenden Skispringer liegt hinter Halvor Egner Granerud schon eine bewegte Geschichte

  • Lars Becker, Garmisch-Partenkirchen
  • Lesedauer: 4 Min.
Halvor Egner Granerud dominierte die ersten beiden Springen der Vierschanzentournee.
Halvor Egner Granerud dominierte die ersten beiden Springen der Vierschanzentournee.

Als Sven Hannawald vor 21 Jahren den letzten deutschen Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee feierte, war Halvor Egner Granerud noch ein kleiner Bub im fernen Norwegen. Doch schon damals verband sie etwas, denn Granerud war vermutlich Hannawalds größter Fan im Ursprungsland des Skispringens. »Ich bin daheim im Garten gesprungen und meine Ski hatten die gleiche Farbe wie die von Sven Hannawald«, erzählte der heute 26-Jährige dieser Tage.

Mittlerweile ist Granerud nach seinen überragenden Siegen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen auf dem besten Weg, selbst das wichtigste alljährliche Skisprung-Event zu gewinnen. Sven Hannawald traut dem fliegenden Norweger sogar zu, dass er auch die Konkurrenzen in Innsbruck und Bischofshofen für sich entscheidet – und damit als vierter Skispringer nach Hannawald, Kamil Stoch und Ryoyu Kobayashi alle vier Springen bei einer Tournee für sich entscheidet. »Ich gebe ihm gern den Schlüssel zu unserem exklusiven Klub«, sagt Hannawald: »Granerud springt derzeit einfach überragend.« In dieser Einschätzung sind sich alle Fachleute einig.

Ein begnadeter Flieger war der Gesamtweltcupsieger 2020/21 schon immer, doch oft scheiterte er in den vergangenen zwei Wintern bei diversen Saisonhöhepunkten an seinen eigenen Nerven. Ob bei der Vierschanzentournee oder den Weltmeisterschaften 2021 in Oberstdorf, wo er als Topfavorit keine Einzelmedaille gewinnen konnte. »Halvor ist ein 24-Stunden-Athlet, tut alles für den Sport. Manchmal etwas zu detailverliebt und zu verkopft«, sagt Norwegens Cheftrainer Alexander Stöckl: »Aber er bekommt das immer besser in den Griff. Bei den wichtigsten Springen des Jahres solch eine Leistung zu zeigen, ist gigantisch und extrem nervenstark.«

Granerud selbst sagt, dass er »einen Weg gefunden hat, mit dem Druck umzugehen«. Dabei half ihm auch ein Psychologe. Auch aus diesem Grund setzte er sich direkt nach seinem Siegsprung beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen in Yoga-Meditationspose in den Schnee – ganz nebenbei offenbar auch noch eine Hommage an Norwegens Fußballstar Erling Haaland, der die Pose auch schon häufiger nach seinen Toren eingenommen hat. »Ich habe so viel Freude, Stolz und Erleichterung gefühlt. Schließlich ist einer meiner größten Träume als Skispringer in Erfüllung gegangen«, beschrieb Granerud später diesen Moment.

Ein noch größerer Traum wäre der erste norwegische Tournee-Gesamtsieg seit Anders Jacobsen vor 16 Jahren: »Das würde die Welt für mich bedeuten.« Bei 26,8 Punkten Vorsprung in der Tournee-Gesamtwertung auf den Polen Dawid Kubacki – umgerechnet fast 15 Meter – ist das mehr als wahrscheinlich. Und das, obwohl Trainer Stöckl immer zittert, ob Granerud seinen rechten Ski rechtzeitig in die richtige Flugposition bringt. Der Fehler hat ihn schon ein paarmal in Bedrängnis gebracht und lässt ihn immer gefährlich nah an den rechten Rand des Aufsprunghügels segeln. »Trotz seines Skifehlers macht Granerud vor allem im Flug die entscheidenden Meter. Wenn sein System erst mal greift, dann fliegt er einfach geradeaus«, meint sein langjähriger deutscher Rivale Karl Geiger bewundernd.

Granerud ist tatsächlich ein außergewöhnlicher Flieger, das zeichnete sich schon in seiner Kindheit ab. Seinen Eltern gab er angeblich den klaren Auftrag mit, dass sie ihn vom Playstation-Spielen abhalten sollen: »Schließlich will ich einmal der Beste der Welt werden«, soll er gesagt haben. Auf dem Weg dahin gab es dennoch einige Umwege. In seiner wilden Jugendzeit sprang Granerud nach einem Grillfest mit Freunden nackt von einer 60-Meter-Schanze in Oslo. Natürlich wurde das bildlich festgehalten. Seitdem hat Granerud den Spitznamen »Nakenhopperen« weg. Noch heute findet er übrigens, dass das »mein witzigster Tag im Leben als Skispringer war«.

Später jobbte der heutige Skisprungstar in einem Kindergarten in seiner Heimat Trondheim. Dort musste er sich im Frühling 2020 Geld dazuverdienen, nachdem im Winter davor ein 23. Platz sein bestes Weltcupresultat gewesen war und er kaum noch vom nationalen Verband gefördert wurde. Der vielseitige Spaßvogel machte offenbar auch in dem neuen Job mitten in der Corona-Pandemie eine sehr gute Figur. Die Direktorin der Einrichtung berichtete, dass die Kinder sehr glücklich bei dem Skispringer gewesen seien. Granerud machte sich in dieser Zeit aber auch Gedanken, was er aus seinem Skispringer-Leben machen will.

Das war der Beginn seines spektakulären Aufstiegs. Im Winter 2020/2021 gewann der Norweger den Gesamtweltcup und den Teamtitel bei der Skiflug-WM. Allerdings musste er in jenem Winter auch eine lange Quarantäne nach einer Corona-Erkrankung während der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf überstehen. An Tag 14 der quälend langen Quarantäne postete Granerud ein Bild von sich beim Kaffeetrinken mit einem Schneemann, dem er den Namen Wilson gegeben hatte. Wie im Film »Cast Away«, in dem Tom Hanks nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel strandet und ein Volleyball zum einzigen Gesprächspartner wird. Mittlerweile will jeder in der Skisprungwelt mit Halvor Egner Granerud reden – sogar sein einstiges Idol Sven Hannawald.

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