Kopfrechnen im Flug

Österreicher trainieren die besten Springer der Vierschanzentournee

  • Lars Becker, Innsbruck
  • Lesedauer: 4 Min.
Erfolgreiche Zusammenarbeit: Dawid Kubacki (l.) hat durch die Trainingsmethoden von Coach Thomas Thurnbichler einiges dazugelernt.
Erfolgreiche Zusammenarbeit: Dawid Kubacki (l.) hat durch die Trainingsmethoden von Coach Thomas Thurnbichler einiges dazugelernt.

Acht Leidensjahre sind seit dem letzten Triumph eines österreichischen Skispringers bei der Vierschanzentournee vergangen. Das sind Ewigkeiten für die stolzen Austria-Adler, die den Skisprung-Grand-Slam zwischen 2009 und 2015 siebenmal in Folge für sich entscheiden konnten. Diesmal ist der Zug schon vor dem letzten Springen am Freitag in Bischofshofen abgefahren: Stefan Kraft hat als Sechster bereits über 80 Punkte Rückstand auf Überflieger Halvor Egner Granerud.

Einen Sieg wird Österreich bei dieser Tournee aller Voraussicht nach trotzdem feiern. Schließlich werden die besten Zwei der Gesamtwertung vor dem Abschlussspringen von Trainern aus dem Alpenland betreut. Granerud in Norwegen von Alexander Stöckl und der dahinter auf dem zweiten Podestplatz rangierende Pole Dawid Kubacki von Thomas Thurnbichler. Mit Stefan Horngacher steht ein österreichischer Coach auch hinter den Erfolgen der deutschen Skispringer in den letzten Jahren – auch wenn es bei der Tournee viele Enttäuschungen gab. Als die »heißeste Trainer-Aktie« im Skisprung-Zirkus gilt deshalb momentan zweifellos der erst 33 Jahre alte Thurnbichler, der mit Piotr Żyła und Kamil Stoch auf Platz vier und fünf noch zwei Athleten ganz vorne mit dabei hat.

»Wir haben mit ihm verhandelt, aber er wollte nicht zu uns«, hat der deutsche Chefcoach Horngacher verraten. Wahrscheinlich auch deshalb, weil Thurnbichler in Deutschland im zweiten Glied gestanden hätte: Genau wie in seinem Heimatland Österreich, wo er schon per Handschlag die Fortsetzung seiner Arbeit als Co-Trainer von Andreas Widhölzl für diese Saison zugesagt hatte. In Polen jedoch hatte Skisprung-Chef Adam Małysz den Mut, dem jungen Thurnbichler den Cheftrainer-Posten anzubieten. Nachdem eine Einigung mit dem einstigen Austria-Erfolgscoach Alexander Pointner gescheitert war.

Seitdem Thurnbichler völlig überraschend zum polnischen Chefcoach ernannt wurde, stellt er in der Nation, in der Skispringen ein ähnliches Ansehen wie Fußball genießt, die Welt mit außergewöhnlichen Trainings-Methoden auf den Kopf. So mussten Topflieger während Trainingssprüngen Mathe-Aufgaben lösen – eine nach dem Verlassen des Absprung-Balkens, die andere während des Flugs. »Das Ergebnis wurde laut vor der Landung herausgeschrien«, berichtet Kubacki.

Andere Ideen von Thurnbichler sorgten für regelrechte Panik. »Besonders zu Beginn, als wir verschiedene Haltungen in der Luft ausprobieren sollten. Ich dachte, dass ich mich dabei umbringen werde«, erzählt Kubacki. Vor allem die arrivierten Stars wie die Vierschanzentournee-Sieger Kubacki (32) und Kamil Stoch (35) – er ist zwei Jahre älter als Trainer Thurnbichler – waren zuerst skeptisch. Doch die Begeisterung der jungen Athleten im Team riss sie mit und die Erfolge in der Saison sprechen für sich.

Die neuen Trainingsmethoden haben weder Kubacki noch seine Kollegen umgebracht – stattdessen ist er als Gesamtweltcup-Spitzenreiter der erfolgreichste Flieger der bisherigen Saison und konnte das dritte Springen der Tournee in Innsbruck gewinnen. »All die Trainingsmethoden dienten dazu, alte Bewegungsmuster zu durchbrechen und die Beweglichkeit zu erhöhen – körperlich wie geistig«, erklärt Thurnbichler. Kubacki erzählt, dass er nicht nur im Flug, sondern vor allem »mental einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht habe«. Auch ein Verdienst von Thurnbichlers deutschem Co-Trainer Marc Nölke, der sich als Neuroathletik-Experte einen Namen gemacht hat.

»In der vergangenen Saison sind in Polen die Wogen hochgegangen, es war eine Zerrüttung im Team da. Skispringen ist in Polen Nationalsport, in keinem anderen Land ist die Aufmerksamkeit auf den Sport so hoch. Das waren schon Faktoren, aufgrund derer ich mir gut überlegen musste, ob ich mich in ein Haifischbecken reinsetze«, hat Thurnbichler in einem Interview mit »Laola1« erzählt: »Ich bin aber von meiner Grundpersönlichkeit her schon ein Mensch, der Risiken eingeht und aus seiner Komfortzone rausgeht.«

Das war schon in seiner Zeit als Skispringer so, als er bei der Vierschanzentournee 2003 in Bischofshofen als Vorspringer den ersten Doppelsprung der Skisprung-Geschichte zelebrierte: Thomas Thurnbichler landete früh bei etwa 80 Metern, sprang aber im steilen Hang nochmals ab und flog unter dem Jubel der Zuschauer noch einmal 40 Meter weit. Solche verrückten Ideen könnten vermutlich auch die deutschen Skispringer gut gebrauchen. Schließlich dauert ihr Leiden bei der Vierschanzentournee noch viel länger als das im anderen Ausrichterland Österreich: Der letzte Gesamtsieg von Sven Hannawald ist inzwischen 21 Jahre her.

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