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- Das Theaterstück »münchhausen remix«
Der die Bahn verpasst
So bitter, so wahr: Das Theaterstück »münchhausen remix« von Armin Petras am Staatstheater Cottbus
Münchhausen ist abwesend. Jene Figur, an der sich die Frage nach Wahrheit und Lüge im Spiel stellt, bleibt hier eine Leerstelle. Denn der Schauspieler des Münchhausen verdient (nebenberuflich oder hauptberuflich, wie man will) sein Geld als Verkäufer bei Zalando und kommt deshalb viel zu spät. Die Vorstellung dauert so lange, wie wir auf ihn warten. Als er endlich eintrifft, endet der Abend nach gut 90 Minuten. Das ist ein seit Pirandellos »Sechs Personen warten auf einen Autor« immer wieder variiertes Motiv: Einbruch der Realität ins Spiel.
Armin Petras kennt dieses Gefühl, in seinem Leben von etwas ganz und gar Unspielerischem plötzlich überwältigt zu werden, seitdem ihn im Zusammenhang mit einer Inszenierung von »Dantons Tod« unbegründete Rassismus-Vorwürfe trafen. Aus dem Unbehagen eines jungen schwarzen Schauspielers in dieser Inszenierung wurde medial verstärkt ein »Fall«, die Biografie samt Werk von Armin Petras schienen plötzlich nicht mehr für ihn zu sprechen, weil niemand genauer hinhören wollte. Fast wurde er so zur Unperson. Ein groteskes Spiel jenseits der Bühne.
Das Gefühl, stigmatisiert zu sein, kennt Petras also, die plötzliche Einsamkeit des bis eben umworbenen Erfolgsregisseurs. Vermutlich ist »münchhausen remix« der Versuch von Autor und Regisseur Petras, die Abwesenheit Münchhausens in eine spielerische Form zu bringen. Zugleich bietet er als Co-Schauspielchef (der Petras in Cottbus auch ist) dem neuen Ensemble-Mitglied Manolo Bertling die Gelegenheit, sich mit einem abendfüllenden Monolog dem Cottbuser Publikum vorzustellen.
Die Urfassung des »münchhausen«-Monologs stammt bereits von 2015 und entstand in Zusammenarbeit von Petras mit dem Regisseur Jan Bosse und dem Schauspieler Milan Peschel für die Ruhrfestspiele in Recklinghausen. Dort bezog man sich im Untertitel noch auf Jean Genet und Friedrich Nietzsche. Hier der Dramatiker mit krimineller Energie und da der Philosoph, der das Pathos der Distanz wie eine Flagge vor sich hertrug. Eine unausrechenbare Melange.
Für Cottbus hat Petras seinen Monolog nun neu geschrieben, und man bekommt den Eindruck, als solle der Text auf Kaffeefahrt gehen. Der Sieg der Ersatzstoffe, der Platzhalter über die abwesenden Hauptdarsteller, die ihr Handwerk verstehen! Die Mittelmäßigen und Karrieristen erstürmen die Bühne. Zuvor hatte ich den Ankündigungstext für den Abend noch für bloß schlecht formuliert gehalten, aber er trifft den Erregungspunkt der Massenkultur. Da war die Rede davon gewesen, dass der die Abwesenheit seines Gegenübers kompensierende zweite Schauspieler »drauflos plappere«, aus dem »Nähkästchen plaudere« und mit »geschnodderten Betriebsinterna« beginne. Das trifft dann genau den Gestus dieses Abends. Und nichts fängt lange Zeit den Absturz der Inszenierung in die Regionen des Alleinunterhalters auf. Wie im amüsierwütigen Ferienclub heben die Zuschauer auf Zuruf die Arme. Bertling betreibt dieses Zuschauer-Fishing auf wirklich schamlose Art und Weise. Er ist hier mehr Animateur als Schauspieler. Nichts scheint einfacher als Manipulation.
Oder soll er genau das sein: Die Trivialgestalt eines Publikum-Verführers, der nichts anderes mehr sein will als ein Machtzombie über noch so armselige Gestalten (uns als Publikum)? Schwer zu sagen, was die Absicht von Petras gewesen sein mag, Bertling – den er aus langjähriger Zusammenarbeit kennt – hier im Löwenkostüm auftreten und Konfetti streuen zu lassen. Von den Intrigen des Theaterbetriebs räsonierend folgt der Slogan: »Einfach weiterspielen bis nichts mehr peinlich ist.« Maskiert da einer seinen Ekel vor dem Gewerbe, das mit Wahrheit und Lüge hantiert, als lägen nicht Welten zwischen ihnen? Eigentlich ist es das Metier von René Pollesch, anhand der Nabelschau des Theaters die Welt zu erklären. Er betreibt dies an der Berliner Volksbühne auf artistisch kühle Weise, ignoriert das Publikum völlig. Anders Petras, der sich hier an ihm reibt, es vorführt und doch auch zu unterhalten versucht – und sei es mit den Mitteln des Boulevards.
Ab und zu blitzt dann doch etwas von der Paradoxien bildenden Kraft in seiner Sprache auf, etwa wenn es heißt: »Egal, wo man stirbt, Hauptsache gar nicht.« Der auf bunten Abend getrimmte Alleinunterhalter-Ton von Manolo Bertling transportiert auch die wenigen und sehr vorsichtig angedeuteten Abgründe im Text auf die immer gleiche kulinarische Art und Weise – und das ist wahrlich zum Fürchten.
Diese Inszenierung wirkt trotz – oder gerade wegen – des unbeirrbar heiteren Publikums sehr traurig, wie das Angstprodukt von einem, der den Glauben an seine Stärke ebenso wie an die Urteilskraft seines Gegenübers verloren hat.
Ganz am Ende nach den schier unendlichen Entertainer-Suaden dann doch ein meisterlicher Kunstgriff des Regisseurs, der ihn erkennbar macht. Münchhausen (Jörg Trost) ist endlich da und sagt kein Wort. Im Hintergrund läuft ein kurzer Film über einen Tag im Doppelleben des Münchhausen-Darstellers als Zalando-Verkäufer. Eingeschlafen nach der Arbeit in der Kneipe beim Bier sehen wir ihn seine Bahn verpassen. Sie fährt ab und er bleibt zurück. So knapp, so bitter, so wahr.
Nächste Vorstellungen: 16.4., 30.4., 16.5.
Mehr Infos unter: www.staatstheater-cottbus.de
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