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Mexiko will USA gnädig stimmen
Mit der Verhaftung des Drogenhändlers Ovidio Guzmán wird vor dem Nordamerika-Gipfel guter Willen demonstriert
Ein mediales Doppel-Déjà-vu ließ die Mexikaner*innen kurz vor dem Nordamerika-Gipfel vor dem Fernseher erstarren. In den frühen Morgenstunden des 5. Januar meldete das Militär die erfolgreiche Festnahme des Drogenhändlers Ovidio Guzmán, Sohn des in den USA einsitzenden Kartellchefs Joaquín »El Chapo« Guzmán. Politische Beobachter*innen, Expert*innen und Menschen mit kollektivem Langzeitgedächtnis rümpften trotz gelungener Operation die Nase und nicht nur wegen der 29 Toten, die sie forderte. Denn die Festnahme einer zentralen Figur der Drogenmafia passierte zufällig kurz vor dem am 10. Januar beginnenden multilateralen Gipfeltreffen mit den strategisch wichtigen Partnern USA und Kanada. Und gerade Uncle Sam, das weiß Mexiko, muss besänftigt werden. Denn die Toten im Drogenkrieg auf mexikanischer Seite spiegeln die USA mit den Fentanyl-Drogentoten jenseits des Río Bravo wider. Die Substanz ist hauptverantwortlich für den Großteil der 107 000 durch Überdosis Gestorbenen in den Vereinigten Staaten 2021 – eine Rekordzahl.
In Mexiko wird Fentanyl produziert und danach exportiert, die Rohstoffe dafür kommen meist aus China. Chapo-Sohn Ovidio Guzmán spielt im Norden Mexikos mit seiner kriminellen Gruppe »Los Chapitos« (die die Behörden nun »Los Menores« – die Minderjährigen – nennen) eine Schlüsselrolle im Fentanyl-Transport in die USA.
Es ist nicht die erste Festnahme eines großen Fisches der Drogenmafia kurz vor einem wichtigen Treffen mit dem nördlichen Nachbarn. Als Präsident López Obrador vergangenes Jahr im Weißen Haus zu Besuch war, wurde zeitgleich in Mexiko der seit Jahren gesuchte Drogenboss Rafael Caro Quintero gefasst. Bereits 2002 tötete ein Polizist Ramón Arellano Félix, eine damals wichtige Führungsfigur des Tijuana-Kartells – kurz bevor ein Treffen mit George W. Bush im Kalender stand. Die Regierung unter Felipe Calderón fasste 2009 Vicente Zambada, Sohn von Ismael Zambada García, der wahrscheinlich wichtigsten Figur des Sinaloa-Kartells. Die Festnahme in Mexiko-Stadt erfolgte kurz vor Barack Obamas Besuch in Mexiko.
Ab und an einen großen Fisch liefern, um die wichtigen Handelspartner zu beruhigen, Normalität vorzugaukeln, Fortschritt zu simulieren – diese Déjà-vus sind Routine geworden. Die Festnahme soll offiziell allerdings kein Thema des trilateralen Treffens werden. Ab dem 10. Januar tauschen sich die Staatsoberhäupter der USA (Joe Biden), Kanadas (Justin Trudeau) sowie Mexikos (Andrés Manuel López Obrador) mehrere Tage aus. Roberto Velasco, Leiter des Nordamerika-Referats im mexikanischen Außenministerium (SRE), musste dieser Tage fleißig Baukasten-Sätze absondern. Er glaube, dass die Vorkommnisse rund um Ovidio Guzmán »kein Thema sein werden«, sagte er der Nachrichtensprecherin Yuriria Sierra beim Sender Imagen Noticias. Es werde »nicht auf der Agenda stehen«, versicherte er auch im Interview gegenüber der Zeitung »Milenio«. Gegen Ovidio Guzmán liegt seit 2019 ein Auslieferungsantrag der USA vor.
Abseits des allgegenwärtigen Drogenhandels und des damit verbundenen Krieges dürfte dem Thema der Migration eine hohe Priorität zukommen: für Mexiko in seiner Rolle als Transitland für eine enorm hohe Zahl zentral- und südamerikanischer Flüchtender, für die USA und Kanada als deren Empfängerländer. Das zeigt sich beispielsweise an Joe Bidens Reiseplanung. Sein erster Stopp in Mexiko: der Grenzübergang im texanischen El Paso zum mexikanischen Ciudad Juárez.
Während Biden zu Beginn seiner Amtszeit eine humane Asylpolitik ankündigte, herrschen an der Grenze nach wie vor horrende Zustände. Seine Ankündigung schenkte Migrant*innen Hoffnung, den Schleppern ein gutes Marketing-Argument. Mit fadenscheinigen Tricks wie dem »Title 42« wird nach wie vor migrantenfeindliche Politik betrieben. Das unter Ex-Präsident Donald Trump verabschiedete Dekret erlaubt es, unter dem Vorwand der Corona-Pandemie Migrant*innen ohne Chance, einen Asylantrag zu stellen, direkt zurückzuschicken. Joe Biden versicherte, den »Title 42« abzuschaffen – was bis heute nicht geschah. Bidens Grenzpolitik ist die Fortführung des Trump’schen Kurses, nur mit freundlicherer Rhetorik. Doch auch Mexiko militarisierte seine Südgrenze seit dem Amtsantritt López Obradors im Jahr 2018.
Vor dem Gipfeltreffen kündigte Biden an, dass die USA nun jeden Monat für die nächsten zwei Jahre 30 000 Migrant*innen legal ins Land lassen werden – aus Kuba, Haiti, Venezuela und Nicaragua. Zur gleichen Zeit verlautbarte man allerdings schärfere Restriktionen an der Grenze zu Mexiko. Außerdem müssen Migrant*innen bereits einen »Sponsor« in den USA haben. Sonst wird wie gehabt abgeschoben. Mit Spannung dürften weitere Vorschläge zu einer gemeinsamen Migrationspolitik der drei Staaten erwartet werden.
Auch erneuerbare Energien sind ein wichtiges Thema auf der Agenda. Die mexikanische Regierung wird ihren »Plan Sonora« Präsident Biden gegenüber formal vorstellen. Regionale Produktionsketten, Elektromobilität sowie den Bau von Stromerzeugungsanlagen sieht der Plan unter anderem vor. Bereits im vergangenen Oktober traf sich Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador hierfür mit dem US-Klimabeauftragten John Kerry in Hermosillo, Sonora.
Der Nachfolger des seit 1994 bestehenden Nafta-Abkommens (North American Free Trade Agreement), USMCA (United States Mexico Canada Agreement), wird ebenfalls zentrales Thema sein; der Vertrag wurde unter Donald Trumps Präsidentschaft neu verhandelt. Mexiko wird vorgeworfen, mit seiner Energiepolitik ausländische Unternehmen zu benachteiligen. Das Gipfeltreffen soll nun Schlichtung bringen.
Eine Befriedung im Kampf gegen die Drogen wird der Gipfel so wenig bringen wie die Verhaftung von Ovidio Guzmán. Denn die kriminellen Gruppen in Mexiko agieren nicht wie Straßengangs, die einen starken Führer brauchen. Sie agieren wie Großkonzerne, bei denen ein Vorstandsboss geht, und ein neuer kommt – während die Geschäfte einfach weiterlaufen.
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