Kritik wird bestraft

Der ungarische Bürgermeister Péter Márki-Zay über das finanzielle Ausbluten oppositioneller Kommunen

  • Interview: Edmond Jäger
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie werfen der Regierung von Viktor Orbán vor, ihre Stadt Hódmezövásárhely bewusst zu benachteiligen. Worin besteht diese Benachteiligung?

Das grundsätzliche Problem ist, dass die Regierung das Geld praktisch nicht auf normativer Grundlage an die Kommunen verteilt. Es wird nicht anhand vorher festgelegter Kriterien entschieden, welche Kommune wie viel Geld von der Regierung bekommt, sondern nach Hörigkeit – auch wenn das auf dem Papier anders ist. Das Problem besteht seit der Machtübernahme des Fidesz im Jahr 2010 und ist seitdem immer schlimmer geworden. Seit Beginn des Ukraine-Krieges sind die Energiekosten der Kommunen in Ungarn um das Sechs- bis Zehnfache gestiegen. Daher hatte Fidesz verkündet, die Energiekosten der Kommunen aus dem Staatshaushalt zu kompensieren. Die Kommunen sollten dafür ihren Bedarf erläutern. Am Montag vor einer Woche wurde die Liste der Kommunen vorgestellt, die Geld erhalten und siehe da: Meine Stadt, Hódmezövásárhely, fehlt. Ich habe persönlich mit dem zuständigen Regierungsbeauftragten gesprochen. Die notwendigen Anträge haben wir als Stadt gestellt. Von einem Formfehler kann daher keine Rede sein.

Interview

Péter Márki-Zay ist seit 2018 Bürgermeister von Hódmezövásárhely. Bei der Wahl in Ungarn 2022 war der liberalkonservative Politiker gemeinsamer Spitzenkandidat der Opposition.

Welche Folgen hat diese Entscheidung für Ihre Stadt?

Wir versuchen so gut es geht, eine soziale Schieflage zu vermeiden. Wir haben die Löhne der kommunalen Beschäftigten nicht angetastet und einigen Hundert armen Kindern konnten wir ein kleines Weihnachtsgeschenk überreichen. Doch wir haben schon zehn Prozent unserer Angestellten entlassen müssen. Eine harte Entscheidung, an der aber kein Weg vorbeiführte. Wir sparen schon an allen Ecken und Enden, Museen haben wir zum Beispiel geschlossen. Doch eine Einnahmenerhöhung wird uns von der Regierung praktisch untersagt. Im Zuge der Corona-Maßnahmen hat Budapest den Kommunen den Großteil ihrer Steuergrundlagen entzogen, indem die Gewerbesteuer, die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen, durch die Regierung halbiert wurde. Außerdem fließt die Kfz-Steuer nun komplett an die Regierung.

Fidesz weist außerdem darauf hin, dass einige oppositionelle Kommunen sehr wohl mit Geld bedacht werden.

Wenn ich mir anschaue, wo das Geld hinfließt, dann zeichnet sich für mich ein Trend ab. Es sind die rebellischen Oppositionellen, die davon ausgeschlossen werden. Diejenigen, die sich mit Kritik am Regime zurückhalten, werden auch nicht bestraft. Es ist ein Trend, der auch in anderen Bereichen schon zu beobachten ist. Das Regime kooptiert einen Teil seiner Gegner und der besonders hartnäckige Teil soll fertiggemacht werden. Daran sieht man: Mit Rechtsstaatlichkeit hat das Orbán-Regime nichts zu tun. Ich hoffe, auch die EU wird das erkennen und Druck ausüben, damit das antidemokratische und korrupte Regime überwunden werden kann.

Kann man das als neue Taktik sehen, dass ein Teil der Opposition eingebunden werden soll?

Das befürchte ich. Es ist ähnlich wie im Fall der Medien. Auch da gibt es Tendenzen, deren kritische Berichterstattung abzuschwächen, sie aber nicht zu kompletten Sprachrohren des Regimes umzubauen. Das beste Beispiel hierfür ist das ehemals größte Online-Medium »Index.hu«. So etwas droht nun auch den Kommunen: eine erkaufte Pseudo-Unabhängigkeit, die man gegenüber dem Ausland als angebliche Opposition präsentieren kann. Doch gibt es, wie gesagt, nach wie vor rebellische Bürgermeister und zu diesen gehöre ich. Und wir sollen zermürbt werden. Eine politisch motivierte Verteilung von Geldern, die Gemeinden diskriminiert und bestraft, deren Wahlverhalten den Fidesz stört, sollte bei der EU durchfallen.

Leiden wegen deren Rechtsstaatsverfahren letztlich nicht alle ungarischen Kommunen unter einem Wegfall der EU-Gelder, auch die oppositionellen?

Doch. Unser Wunsch ist ja nicht, dass die EU Ungarn kein Geld zahlt, sondern, dass es nicht in die Taschen von Orbán und die seiner Strohmänner fließt. Aufgabe der EU ist aus meiner Sicht, sicherzustellen, dass das Geld ohne Korruption nach Ungarn fließt und es dort ankommt, wo es ankommen soll und dass der Rechtsstaat wiederhergestellt wird.

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