Wildwuchs bei den Erneuerbaren

Nach einem Kurswechsel in der spanischen Energiepolitik explodiert der Eigenverbrauch von Solarstrom

  • Ralf Streck, Donostia
  • Lesedauer: 4 Min.

Eines ist in Spanien klar: Wegen der stark gestiegenen Strompreise, der Abschaffung der sogenannten »Sonnensteuer« 2019 und der staatlichen Förderung von Solaranlagen zum Eigenverbrauch kam es hier zum Solarboom. »Wir hatten mit einem zweistelligen Wachstum gerechnet, und wir haben ein dreistelliges erzielt«, erklärt der Sprecher der Vereinigung der Produzenten Erneuerbarer Energien. Jon Macías leitet die Abteilung für Eigenverbrauch. Allein in diesem Sektor sollen 2022 insgesamt 2,5 bis 2,7 Gigawatt neue Solarstromleistung installiert worden sein. Damit habe sich die Kapazität praktisch verdoppelt. Dabei hatte sie sich schon im Vorjahr stark erhöht. »In zwei Jahren haben wir die Leistung vervierfacht«, führt Macías aus.

Vor allem die hohen Strompreise hätten »die Energiewende beschleunigt«. Doch Macías streicht heraus, dass die Nutzung von mehr als 65 Prozent der installierten Kapazität auf den industriellen Eigenverbrauch entfällt. Mit der eigenen Erzeugung ließen sich die Stromrechnungen von Firmen um »mehr als 60 Prozent« senken, rechnen die Installationsfirmen vor. Der Zuwachs wäre noch größer, wenn die Installationsfirmen nicht überlastet wären. »Seit dem vergangenen Sommer kommen wir nicht mehr hinterher«, erklären diese unisono.

»Wenn man sich mit den Firmen unterhält, spricht niemand mehr darüber, dass ihnen Arbeit fehlt«, hatte Daniel Pérez im Interview mit dem Online-Portal eldiario.es erklärt. Der Vizepräsident des Photovoltaikverbands (UNEF), dem größten im Land, erläutert, dass der Sektor zwischen »50 000 und 60 000 Beschäftigte « aufnehmen könne. Gehe der Boom weiter wie in den letzten beiden Jahren, könne es zu einer großen Herausforderung werden, qualifiziertes Personal zu finden.

Einige Projekte mussten wegen Personalmangels schon gestoppt werden. Auch Lieferengpässe hätten den Zuwachs behindert. Bemängelt werden Engpässe bei Wechselrichtern, mit denen der Strom aus den Solarmodulen in die hausüblichen 220 Volt umgewandelt wird. Probleme gäbe es zudem bei Batterien, zum Teil auch bei Solarmodulen. Darüber hätten sich die Preise für Industrieinstallationen um zehn bis 15 Prozent verteuert und bei meist kleineren Hausanlagen sogar um 20 bis 30 Prozent. Auch die UNEF beklagt die Abhängigkeit von chinesischen Produkten, da zum Beispiel die einheimische Produktion von Solarpanels fast vollständig verschwunden sei.

Dass es trotz gestiegener Preise zum Solarboom kommt, hat neben hohen Strompreisen vor allem damit zu tun, dass die Koalition aus Sozialdemokraten (PSOE) und der Linkskoalition Unidas Podemos die von der konservativen Vorgängerregierung 2015 eingeführte »Sonnensteuer« abgeschafft hat – über diese wurde nicht nur der Eigenverbrauch besteuert. Über eine teure und bürokratische Registrierung wurde der Eigenverbrauch fast vollständig ausgebremst, wie der Ausbau erneuerbarer Energien insgesamt. Dadurch gingen Zehntausende Arbeitsplätze verloren und auch deshalb fehlen heute Installateure.

Nun wird der Eigenverbrauch gefördert. Spanien hat mit etwa 3000 Sonnenstunden im Jahr ein riesiges Potenzial für Solarstrom. Im Sommer 2021 wurde ein Subventionspaket von 1,3 Milliarden Euro für Solaranlagen sowie Speicher- und Klimaanlagen mit erneuerbaren Energien aufgelegt. Anlagen von Privatpersonen können bis zu 40 Prozent subventioniert werden, bei kollektivem Eigenverbrauch – etwa für Eigentumswohnungen in Hausgemeinschaften – können es auch 50 Prozent werden. Regional unterschiedlich können die Investitionen steuermindernd abgesetzt werden. Die Mittel für die direkten Subventionen kommen aus dem sogenannten Wiederaufbaufonds der EU. Eingespart werden sollen mehr als eine Million Tonnen klimaschädliches CO2 pro Jahr.

Nach Ansicht der Branche dürften die Prognosen der Regierung weit übertroffen werden. Aus einem Dokument der Börsenaufsicht geht hervor, dass die Verbände damit rechnen, dass die installierte Leistung für Eigenverbrauchsanlagen, die ihren Überschuss ins Netz einspeisen, 2030 sogar doppelt so hoch ausfallen könnte wie von der Regierung angesetzt. Die Regierung erwartet neun Gigawatt, im besten Fall 14.

Ein Problem ist, dass hier auf Schätzungen zurückgegriffen werden muss. Deshalb bereitet die Regierung ein Gesetz vor, um die Stromversorger dazu zu verpflichten, mindestens vierteljährlich Daten zu den angeschlossenen Eigenverbrauchsanlagen zu übermitteln. Nach dem bisherigen Informationssystem des Stromnetzbetreibers (REE) gab es Ende September des vergangenen Jahres 140 000 Anlagen. Die hätten aber nur eine Gesamtkapazität von knapp einem Gigawatt. Das wäre nicht einmal ein Fünftel der Leistung, von der die Branchenverbände ausgehen. Nach den Daten des Eigenverbrauchsregisters wären es sogar nur knapp 25 000 Anlagen mit nicht einmal 350 Megawatt Leistung. Für Vorhersagen und Planung ist REE allerdings auf verlässliche Daten angewiesen.

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