Wälder widerstandsfähig machen

Mit einer naturnäheren Forstwirtschaft könnten europäische Wälder deutlich besser die Folgen des Klimawandels bewältigen

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 8 Min.
Naturnahe Wälder beherbergen Bäume verschiedener Arten und unterschiedlichen Alters.
Naturnahe Wälder beherbergen Bäume verschiedener Arten und unterschiedlichen Alters.

Stürme, Feuer, Insektenbefall – Störungen sind natürliche Treiber der Walddynamik. Stirbt ein alter Baum ab, bricht Licht durch das Kronendach und eröffnet jüngeren Bäumen ihre Chance. Tote Bäume bieten ihrerseits vielen Arten einen wichtigen Lebensraum und regen, wenn sie sich zersetzen, Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe an. Aufgrund menschlichen Handelns gerät das komplexe Gleichgewicht jedoch zunehmend durcheinander.

Eine kürzlich in der Fachzeitschrift »Global Change Biology« erschienene Studie von Marco Patacca von der Universität Wageningen und Kolleg*innen belegt, dass die Schäden in den europäischen Wäldern in den letzten 70 Jahren signifikant zugenommen haben. »Das liegt zum einen daran, dass sich die Störungen durch den Klimawandel verändern«, erklärt der Mitautor und Doktorand in der Arbeitsgruppe Wald- und Ökosystemresilienz am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Mats Mahnken. Er benennt aber noch einen zweiten Faktor: »Je schlechter die Wälder angepasst sind, desto weniger widerstandsfähig sind sie.«

Mindestens 43,8 Millionen geschädigtes Holz fielen durchschnittlich pro Jahr an. Damit sinkt nicht nur die Wirtschaftlichkeit der Wälder, sondern auch ihre Kapazität, Kohlenstoff zu binden und damit der Erderwärmung entgegen zu wirken. »Es besteht die Gefahr, dass sich europäische Wälder zunehmend von Kohlenstoffsenken in Kohlenstoffquellen verwandeln, wenn sich die Schäden weiter so entwickeln, weil so mehr Holz zersetzt und verbrannt wird«, warnt Mahnken. Das ist umso problematischer, da die EU in ihrem Green Deal auf zunehmende Negativemissionen aus der Forstwirtschaft setzt.

Mit rund 43 Prozent geht fast die Hälfte des gemeldeten Schadens auf das Konto von Windwurf: Besondere Zerstörungskraft entwickelten die Stürme in den beiden Jahrzehnten vor und nach der Jahrtausendwende. Weitere wichtige Agenten für Störungen waren mit 24 Prozent Feuer und mit 17 Prozent der Borkenkäfer, beide mit steigender Tendenz. Laut der Waldzustandserhebung 2021 weisen heute rund 78 Prozent aller deutschen Bäume Schadsymptome auf.

Wälder im Stress

Die sich jüngst häufenden langen Dürren begünstigten Waldbrände. Gleichzeitig schwächen lange Perioden der Trockenheit die Bäume nachhaltig, insbesondere dort, wo diese das nicht gewohnt sind. Damit erhöht sich ihre Mortalität.

Besonders schlecht ergeht es bei langanhaltender Trockenheit reinen Fichtenbeständen, die ohnehin schon mit Borkenkäferbefall zu kämpfen haben. Sie wehren sich gegen diese, indem sie sie mit dem Harz ausschwemmen. »Wenn nur wenig Wasser im Boden ist, können sie aber weniger Harz produzieren und sind damit anfälliger«, erklärt Mahnken. Längere Wärmeperioden ermöglichen es den Käfern zudem, mehrmals im Jahr Nachkommen zu schaffen. »Damit steigt die Borkenkäferpopulation exponentiell an und bedroht auch die widerstandsfähigsten Bäume«, so der Forstwissenschaftler.

Ein weiterer Faktor ist die starke Zufuhr reaktiven Stickstoffs durch Landwirtschaft und Verkehr. »Der erste Effekt von Stickstoffeintrag ist, dass Bäume mehr und schneller wachsen«, erklärt Sophia Etzold von der Eidgenössischen Forschungsansalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in der Schweiz. Eine bereits 2020 in der Fachzeitschrift »Forest Ecology and Management« erschienene Studie von Etzold und Kolleg*innen belegt jedoch, dass die Beziehung zwischen Stickstoffeintrag und Baumwachstum nicht immer linear ist. Im Falle von Buchenwäldern lag der Kipppunkt bei etwa 30 Kilogramm pro Hektar. Oberhalb davon kann der Eintrag sich negativ auf das Ökosystem auswirken, da der Boden versauert und damit etwa die mit Bäumen in Symbiose lebenden Mykorrhiza-Pilze gestört werden. »Auch bilden schneller gewachsene Bäume weniger feste Substanzen und die Dichte und Stabilität des Holzes verringert sich. Dadurch sind sie in Sturmereignissen anfälliger«, so die Biologin. Zudem steige der Wasserbedarf, sodass die Bäume noch schlechter mit länger andauernder Trockenheit umgehen könnten.

Die Schweizer Forstwissenschaftlerin Sabine Braun und Team weisen ihrerseits auf Wechselwirkungen zwischen dem Eintrag reaktiven Stickstoffs und der Bodenchemie in Schweizer Buchenwäldern hin. Höhere Konzentrationen von Stickstoffverbindungen beeinträchtigten etwa die Aufnahme der Pflanzennährstoffe Kalium und Phosphor.

Es ist aber auch die auf maximalen Profit ausgerichtete Forstwirtschaft, die die Wälder angreifbarer für Störungen macht. Vielerorts dominieren immer noch eng gepflanzte Monokulturen jeweils einer Altersstufe. Nachwachsende Bäume erlaubten es dem Wald nach einem Sturm, sich schneller zu erholen, denn damit befindet sich ein Teil des Holzes unterhalb seiner Angriffsfläche. Mischwälder machen es ihrerseits sogenannten Schadinsekten schwerer, sich auszubreiten. »Auch birgt die Durchmischung die Möglichkeit, sich für spätere Zeitpunkte im Klimawandel verschiedene Wege offenzuhalten, in welche Richtung ein Bestand entwickelt werden könnte«, erklärt Mahnken. »Damit wird das Risiko gestreut: Wenn eine Baumart ausfällt, sind noch andere da.«

Neue alte Praktiken

Diese Punkte finden Berücksichtigung in dem Konzept einer naturnäheren Bewirtschaftung der Wälder, das der Professor für Waldwirtschaft an der Universität Kopenhagen, Jørgen Bo Larssen, und sein Team 2022 für das Europäische Forstinstitut (EFI) erarbeiteten. Als Leitprinzipien benennen sie die Erhaltung besonderer Lebensräume, darunter auch von Totholz und sogenannten Habitatbäumen, meist sehr alte Bäumen, die vielen Tieren Wohnraum bieten. Weitere zentrale Maßnahmen sind die Förderung von Mischwäldern, heimischer und standortgerechter Baumarten, Naturverjüngung und Heterogenität auf Landschaftsebene sowie gezielte Zieldurchmesser-Ernten statt Kahlschlag.

Insbesondere Naturverjüngung und die Ernte einzelner Bäume statt Kahlschlag finden sich auch in der von Alfred Möller vor rund 100 Jahren entwickelten Dauerwaldidee wieder. In der Schweiz, dem französischen Jura und Teilen der Vogesen werde das so schon seit Langem praktiziert, erzählt Larssen. Dort kenne man die Gefahren eines Kahlschlags am Hang: »Im nächsten Winter wird dann eine Lawine das Dorf im Tal ausradieren«, meint er. Unterschiedliche Regionen benötigten jedoch je nach Waldtyp und Ausprägung natürlicher Störungen individuell angepasste Bewirtschaftungsmaßnahmen.

Die vielleicht wichtigste Aussage ihrer Publikation sieht Larssen darin, »dass eine Rückkehr zu einer naturgemäßereren Bewirtschaftung automatisch zu einer höheren Widerstandsfähigkeit aber auch einer schnelleren Erholung der Wälder nach Störungen führt und ihre Anpassungsfähigkeit steigern kann«. Das sei angesichts der Unwägbarkeiten des Klimawandels zentral, damit die europäischen Wälder auch in Zukunft ihre verschiedenen Funktionen erfüllen können. Durch die weitgehende Homogenisierung der klassischen europäischen Forstwirtschaft in den letzten 200 Jahren seien die meisten Bestände »extrem weit entfernt von der Strukturvielfalt der ursprünglichen Wälder. Hätte man die Wälder in naturgemäßem Zustand belassen, wäre die durch klimatische Ereignisse verursachte Katastrophe nicht so groß«, versichert er.

Umdenken in der Waldwirtschaft

Auch die EU-Forst-Strategie 2030 propagiert eine naturnähere Bewirtschaftung und führt damit die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 fort. Diese empfiehlt unter anderem, alle verbleibenden Primär- und Altwälder der Union zu kartieren und unter strikten Schutz zu stellen sowie die Quantität, Qualität und Widerstandsfähigkeit aller europäischen Wälder zu steigern. Auch die Bundesregierung erkennt die wachsenden Waldschäden als ernst zu nehmendes Problem und hat es sich zum Ziel gesetzt, die hiesigen Wälder zu »artenreichen, klimaresilienten Wäldern mit überwiegend standortheimischen Baumarten« umzubauen. Seit Ende letzten Jahres fördert sie erstmals private und kommunale Waldbesitzer*innen, die mittels eines klimaangepassten Managements gemäß ihrer Richtlinien das Ökosystem Wald langfristig stabilisieren.

In Deutschland entfallen laut dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW) Hans von der Goltz fünf bis zehn Prozent des Waldes auf Dauerwald mit bereits sichtbaren Strukturen. »Aber es gibt schon viel mehr Betriebe, die sich auf den Weg gemacht haben«, versichert er. Waren es zuvor vor allem Besitzer*innen privater Wälder, läutete bei den staatlichen Wäldern 1990 der verheerende Orkan Wiebke ein Umdenken zu einer naturgemäßeren Bewirtschaftung der Wälder ein, wie sich Larssen erinnert. Vorzeigewälder gibt es, laut von der Goltz, etwa im brandenburgischen Chorin und in Mecklenburg-Vorpommern.

Alte Bäume sind Lebensräume

Als Haupthindernis für das Gelingen des Waldumbaus sieht er einen überhöhten Schalwildbestand. Zwei Drittel der selteneren Baumarten aus Neupflanzungen fielen Wildverbiss zum Opfer. Der britische Forstwissenschaftler Bill Mason und sein Team erklären die noch recht geringe Verbreitung von Dauerwäldern in Europa damit, der Ansatz sei unter praktizierenden Forstwirten noch zu wenig bekannt oder stoße auf Ablehnung. Hinzu komme eine verfehlte Subventionspolitik.

Manchmal ist es auch die schiere Ignoranz, die bereits bestehende einzigartige Dauerwälder zerstört: Für den Ausbau der A49 wurden Ende 2020 im Dannenröder Forst gegen den großen Widerstand von Teilen der Zivilgesellschaft bis zu 250 Jahre alte Eichen und 200-jährige Buchen gefällt. »Die Biodiversität im Wald hängt immer an dem Vorkommen alter Bäume: So leben in alten Eichen über 3000 Arten von Schmetterlingen und Holz bewohnenden Käfern«, erläutert der Biologe und Mitglied des BUND Vogelsberg, Wolfgang Dennhöfer. »Nur in alten Bäumen gibt es genügend Mulmhöhlen, in denen Insekten und später Fledermäuse und Siebenschläfer wohnen.« Diese entstehen über Jahrzehnte hinweg, wenn verschiedene Kleinstlebewesen den äußerlich intakten Baum von innen zersetzen und dabei diese besonderen Lebensräume schaffen. Über 150 Jahre wird es bestenfalls dauern, bis ein ähnlicher Wald wieder herangewachsen ist. Auch die Neupflanzungen nach Orkan Wiebke werden noch viele Jahre brauchen. Aber damit sind wichtige Weichen für die Zukunft gestellt.

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