Die Mutmacher

Linke und SPD in Berlin drehen im Kampf um Wählerstimmen noch einmal ordentlich auf

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 6 Min.

»Noch vier Wochen, dann haben wir gewonnen«, ruft Katina Schubert am Freitagabend auf dem Kleinen Parteitag der Berliner Linken den Delegierten zu. Die Linke-Landeschefin schwört die Genossen im »Festsaal Kreuzberg« in Treptow darauf ein, bei jeder sich bietenden Situation Menschen auf der Straße davon zu überzeugen, der Partei bei der Wiederholungswahl am 12. Februar ihre Stimme zu geben. Und sei es beim »Rumlungern« vor den Schulen, wenn man die eigenen Kinder abholt und mal wieder warten muss. »Es gibt viele Gelegenheiten, man wartet viel in Berlin«, sagt Schubert.

Ihre Gewinnprognose ist fraglos kühn und wohl vor allem dem Überschwang der gut gelaunten Parteitagsrede geschuldet. Aktuellen Umfragen zufolge liegt Die Linke unverändert bei 12 Prozent und damit merklich hinter den Koalitionspartnern SPD und Grüne, die auf mindestens 18 Prozent kommen, und erst recht hinter der CDU, die auf mindestens 21 Prozent taxiert wird. Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer gibt als Zielmarke dann auch nur »ein gutes Wahlergebnis« vor.

Entmutigen lassen will man sich jedenfalls nicht von den Umfragen. Katina Schubert sagt: »Berlin wird gut regiert – durch Die Linke.« Und das werde auch so bleiben, heißt es selbstbewusst, wobei die einzige Option hierfür bekanntlich die Fortsetzung des aktuellen Mitte-links-Bündnisses ist. »Lasst uns mit vollem Willen in die neue Regierung gehen, die werden wir dann auf links drehen. Wir werden der Stadt den Infrastruktur-Sozialismus bringen«, sagt Landes-Vize Tobias Schulze.

Was unter »Infrastruktur-Sozialismus« zu verstehen ist, konkretisiert Die Linke in einem am Freitag verabschiedeten »Sofortprogramm zur Berlin-Wahl 2023« mit elf Punkten. Der Fokus des Papiers liegt dabei erwartungsgemäß auf dem Mietenthema. Oder wie Klaus Lederer sagt: auf »frischen Ideen fürs Wohnen«.

So will die Partei nach der Wahl im Senat unter anderem ein »Sicher-Wohnen-Gesetz« für einen besseren Mieterschutz auf den Weg bringen, mit dem Vermieter gesetzlich zu sozialen Mindeststandards verpflichtet werden. Dazu gehört die Vermietung von Wohnungen an Menschen mit Wohnberechtigungsschein nach einer festen Quote ebenso wie die Verpflichtung zur Sanierung und Instandhaltung von Häusern, ein Abrissverbot oder die Offenlegung der Eigentumsverhältnisse. Bereits im November hatte Die Linke hierzu Eckpunkte vorgestellt. Die Grünen arbeiten an einem ähnlichen Konzept.

Darüber hinaus drängt Die Linke weiter auf die Umsetzung des Volksentscheids Deutsche Wohnen & Co enteignen. Mit Blick auf den Abschlussbericht der vom Senat in diesem Zusammenhang eingesetzten und von einer Vertreterin der Sozialisierungsinitiative auf dem Landesparteitag als »Verschleppungstaktik« kritisierten Expertenkommission sagt Lederer: »Ich bin total gespannt auf das, was im Mai dann auch vorgelegt wird. Und ich denke, dass wir bis Ende 2023 mit dem Senat einen Gesetzentwurf zur Vergesellschaftung der großen privaten Wohnungsbestände erarbeiten und den dann auch beschließen und abschließend im Parlament vorlegen zur Abstimmung.« Klar sei aber: »Das wird es weiterhin nur mit der Berliner Linken geben.«

Auch in dieser Hinsicht gibt sich der Kultursenator und Vizechef des Senats demonstrativ optimistisch. »Ich kann natürlich weder für die Grünen noch für die SPD sprechen, aber ich gehe davon aus, dass sich beide an den Volksentscheid gebunden fühlen, wenn die entsprechenden Fragen geklärt sind«, hatte Lederer – die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot voraussetzend – kurz vor dem Parteitag schon in einem Interview erklärt.

Davon könne er ja gern ausgehen, sagt Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey am Samstag am Rande einer Klausurtagung der SPD-Abgeordnetenhausfraktion zu »nd«. »Ich habe nach wie vor sehr, sehr große Vorbehalte, und mir ist nicht klar, wie wir damit das Wohnungsproblem lösen«, wiederholt die SPD-Spitzenkandidatin und bekennende Gegnerin der Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen ihr altbekanntes Mantra. Wobei als Nachsatz der Klassiker nicht fehlen darf: »Es entsteht eben keine einzige Wohnung dadurch.«

Auf die Frage, wie sie denn mit dem Abschlussbericht der Kommission umzugehen gedenke, sagt Giffey: »Na, die werden ja nicht sagen: Jawoll, machen! Die werden wahrscheinlich sagen: Das und das spricht dafür, das und das spricht dagegen, muss man abwägen. Und dann müssen wir uns politisch hinsetzen und darüber sprechen, wie man damit umgeht.« In Sachen Vergesellschaftungsgesetz finde sie es auch »erstaunlich, dass sich Herr Lederer da schon so weit nach vorn bewegt«. Sie sehe da »keinen Automatismus«.

Konsequenterweise wird das Thema Vergesellschaftung auf der SPD-Klausur, für die man ins brandenburgische Nauen gereist war, zumindest im presseöffentlichen Teil kein einziges Mal erwähnt. Wie der Parteitag des Koalitionspartners am Freitag verfolgt auch das Treffen der in Umfragen ebenfalls nicht allzu rosig dastehenden Sozialdemokraten vor allem ein Ziel – und das heißt: Selbstbewusstsein und Geschlossenheit ausstrahlen.

»Lassen wir uns nicht beirren von Umfragen und Klickzahlen«, sagt Giffey in ihrer fleißig beklatschten Rede vor der Fraktion. Wichtig sei, dass sich die Sozialdemokraten jetzt »nicht abbringen lassen« von ihrem Kurs, weder durch »Spielchen« wie die üblichen Koalitionsspekulationen noch durch »Diskussionen über Umfragen oder sonst was«.

Sie sei sich sicher, dass die SPD nach der Wiederholungswahl am 12. Februar »sehr, sehr zügig wieder ins Regieren« komme. Auch im Hinblick auf die Organisation der Wahl gibt sich Giffey unbeschwert. Ihre nach allen Erfahrungen bei der Wahl im September 2021 erst mal etwas gewagt wirkende Vorhersage: »Das wird gelingen. Wir sorgen dafür, dass das funktioniert, und dann steht da auch SPD drauf.« Überhaupt laufe es in Berlin doch weitgehend glänzend unter ihr als Regierender Bürgermeisterin. Erst vor wenigen Tagen hätten ihr Unternehmer gesagt, dass sie »sehr, sehr angetan« seien, »von dem, was wir gemacht haben«.

Ähnlich SPD-Fraktionschef Raed Saleh: »Die SPD hat gearbeitet, und wir haben geliefert«, betont Saleh an gleich drei unterschiedlichen Stellen seiner Rede an die Fraktionsmitglieder. Der Spandauer Strippenzieher schreibt so ziemlich alle irgendwann beschlossenen Maßnahmen seiner Partei zu. Ob Landes- und Vergabemindestlohn oder 29-Euro-Ticket: »Das alles wurde von uns erdacht und von der SPD durchgesetzt.« Wobei auch Saleh auf die argumentative Kraft von Anekdoten aus dem Politiker-Alltag setzt. So hätte ihm in Spandau ein Mann auf der Straße gerade erst gesagt, wie froh er sei, dass das 29-Euro-Ticket fortgeführt wurde. Gleich mitvereinnahmt wird die – von der Linken durchgedrückte – Reduzierung des Preises für das Sozialticket auf 9 Euro.

Überhaupt verzichten Saleh und Giffey in ihren Beiträgen zur Gänze darauf, den Koalitionspartner Die Linke zu erwähnen. Stattdessen schießt Saleh einmal mehr gegen Grünen-Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch, die einer Verstetigung des 29-Euro-Tickets über den April hinaus kritisch gegenübersteht. Er bleibe dabei, sagt Saleh: »Nicht Frau Jarasch entscheidet, ob das sehr erfolgreiche 29-Euro-Ticket im Interesse der Berlinerinnen und Berliner ist. Das entscheiden die Berlinerinnen und Berliner bei der Wahl.«

Vor allem aber geht es gegen die CDU und die von ihr losgetretene Vornamendiskussion. »Ich kann nicht akzeptieren, dass der Name eines Menschen darüber entscheidet, ob er als guter oder schlechter Mensch eingestuft wird. Das kann doch nicht wahr sein«, sagt Giffey. Gewiss, es gebe Probleme mit Jugendgewalt. »Aber allen, die hier einen anderen Vornamen oder irgendetwas haben, latent zu sagen, ihr gehört hier nicht dazu, das ist nicht in Ordnung.«

Saleh reitet unterdessen vergnüglich auf der De-facto-Absage von Grünen-Spitzenkandidatin Jarasch an eine Koalition mit der CDU unter Landes- und Fraktionschef Kai Wegner herum. Auf die in der ersten Reihe vor ihm sitzende eigene Spitzenkandidatin verweisend, sagt er: »Genossinnen und Genossen, da sitzt die Regierende Bürgermeisterin von Berlin. Und irgendwo schleicht der Herr Wegner von der CDU – der einsame Kai.« Und damit hat er momentan tatsächlich recht.

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