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Bauen versus schützen
In Buch zeigt sich beispielhaft der Konflikt um die Neuversiegelung zugunsten des Wohnungsbaus
Einerseits braucht Berlin neuen bezahlbaren Wohnraum. Das ist nicht zu leugnen. Andererseits hat sich das Land vorgenommen, den Flächenverbrauch bis 2030 auf Nettonull zu senken – auch um zu einem klima- und ökologiegerechten Umdenken in der Stadtentwicklung zu kommen. »Zielkonflikt« ist das Wort, das seit einiger Zeit in keiner Debatte über Bauvorhaben mehr fehlt. Auch in der Diskussion um das neue Stadtquartier »Am Sandhaus« im Pankower Ortsteil Buch ist im Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses von Zielkonflikten die Rede.
Hier sollen nach dem Willen der Senatsbauverwaltung rund 2700 neue Wohnungen entstehen. Bevor der Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses am Montag über die Pläne beriet, hatte eine Anwohnerinitiative ihre gesammelten Unterschriften an Mitglieder des Ausschusses übergeben. Sie fordert eine Überarbeitung der bisherigen Planung, die Ausdruck einer »Betonideologie« sei, und den Schutz des dortigen Feuchtbiotops Moorlinse.
Schon seit Jahrzehnten gibt es Ideen für die Entwicklung des Gebiets unweit des S-Bahnhofs Buch. Zu DDR-Zeiten entstand hier unter anderem das Stasi-Krankenhaus. Nach der Wiedervereinigung gab es dann Pläne für zahlreiche Wohnungen. Zuletzt mit der Änderung des Flächennutzungsplan 2019 blieb dann nur noch ein »schmaler Siedlungskorridor« an der Straße Am Sandhaus übrig, wie es von der Senatsbauverwalung heißt. Wo vorher noch eine Bebauung geplant war, sollen jetzt der Wald und die Moorwiese bestehen bleiben. Also alles gut, Zielkonflikt gelöst?
»Der Senat stellt das zwar anders dar und hat sich mit der Moorwiese gerühmt: Der Plan ist aber vergiftet, weil diese mit hohen Bauten umringt wäre«, sagt André Fabian von der Bürgerinitiative Buch am Sandhaus. Die Anwohner halten die Pläne für überdimensioniert. Die Liste an negativen Folgen sei lang: Neuversiegelung ökologisch wichtiger Flächen, Beeinträchtigung des Abenteuerspielplatzes Moorwiesen und des Artenschutzes. Auch der Naturschutzbund (Nabu) hält die Zielzahlen für den Wohnungsbau für zu hoch. Die Moorlinse, die für zahlreiche Vogelarten Brutgebiet sei, würde dadurch beeinträchtigt.
Der Nabu setzt sich dafür ein, dass das Areal um die Moorlinse zum Naturschutzgebiet wird. Doch auch die Naturschützer wissen, dass die Unterschutzstellung die Moorlinse nicht vor »den Menschenmassen des neu geplanten Stadtquartiers« retten wird, wie Juliane Schlaberg vom Nabu sagt. Fabian sagt, dass die Bürgerinitiative selbst einen alternativen Planungsentwurf erstellt habe, demzufolge maximal 1000 Wohneinheiten verträglich werden. »Es wird aber an der Mindestzahl 2000 auf Biegen und Brechen festgehalten und alles andere muss sich unterordnen.«
Christian Gaebler, SPD-Staatssekretär für Bauen und Wohnen, entgegnet, dass man am Ende bei 500 Wohnungen lande, wenn man mit 1000 zu planen anfange. »So richtig finde ich Zehngeschosser um einen Abenteuerspielplatz auch nicht«, sagt er. Man müsse aber die Gesamtsituation sehen. Gerade die Kräfte, die sagten, es gebe zu wenig Wohnungsbau, würden bei konkreten Projekten dann auf der Bremse stehen. »Das gilt auch für Teile der Regierungsfraktion«, sagt Gaebler.
Dass sich Grüne und Linke für eine Änderung des Flächennutzungsplans aussprechen, wonach Gebiete wie die Elisabeth-Aue in Pankow und die Felder und Kleingärten von Späthsfelde in Treptow vom Beton verschont blieben, sorgte vergangene Woche für Empörung beim Koalitionspartner SPD. Von Verhinderung dringend benötigten Wohnungsneubaus sprach auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) im »Tagesspiegel«. Es klang fast so, als werde die Wohnungsfrage, wenn nicht sogar Gedeih und Verderb Berlins am Ende auf der Elisabeth-Aue entschieden. Dass dort in diesem Jahrzehnt keine Wohnung bezugsfertig werden würde und es zahlreiche andere Gebiete gibt, bei denen eine Entwicklung verabredet ist, es aber nur mühsam vorangeht: egal, es ist ja schließlich Wahlkampf.
»Man muss sich entscheiden, wo gebaut werden soll, in der Innenstadt oder am Rand«, meint Staatssekretär Gaebler. Tatsächlich werden überall immer wieder Gründe gegen einzelne Bauvorhaben nicht zuletzt von Anwohnern vorgebracht. In bereits bestehenden Quartieren hat niemand Interesse an Nachverdichtungen, welche die Lebensqualität der Anwohner mindern und für die allzu oft Stadtgrün weichen muss.
Am Rand der Stadt protestieren Naturschützer gegen die Neuversiegelung und Zersiedelung, also den hohen Flächenverbrauch für wenige Menschen. »Buch wurde oft nach den Bedürfnissen Berlins geplant. ›Dafür ist doch noch Platz in Buch‹, hat man sich in Kaiserzeiten, in der DDR und auch nach der Jahrtausendwende gedacht«, beschreibt es Wolfgang Mochmann von der evangelischen Kirchengemeinde in Buch.
Ein Zielkonflikt definiert sich dadurch, dass unterschiedliche Ziele gesetzt werden, »deren gleichzeitige, volle Erfüllung sich ausschließt«, wie es im Duden heißt. Und vielleicht passt der Begriff am Ende doch nicht für das neue Quartier in Buch. Denn die Anwohner lehnen die Entwicklung hier nicht grundsätzlich ab. Neubau und Naturschutz ließen sich vereinen, ist André Fabian überzeugt. Dazu dürfe aber nur auf den bereits versiegelten Flächen gebaut werden. »Das klappt nicht, wenn man von vornherein eine festgelegte Zahl an Wohnungen hier hineinpresst.«
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