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Rechtsbeugung für Neuwahlen
Italiens Ex-Innenminister steht wegen Freiheitsberaubung in Palermo vor Gericht
»Seit sieben Jahren werden die Nicht-Regierungsorganisationen behindert, blockiert und verleumdet. Der Einzige, der angeklagt wurde, ist allerdings der ehemalige Innenminister Matteo Salvini. Die Wahrheit ist nur eine: Wir retten Leben.« Das erklärte ein Sprecher der Nichtregierungsorganisation Open Arms am Rande des Prozesses, der derzeit in Palermo gegen Salvini läuft. Die Anklage lautet: Freiheitsberaubung und Amtsanmaßung.
Es geht um 20 Tage im August 2019: Das Schiff »Open Arms« der gleichnamigen spanischen Menschenrechtsorganisation hatte vor Libyens Küste 147 Schiffbrüchige aufgenommen und gemäß dem internationalen Protokoll die italienischen Behörden aufgefordert, ihm einen »sicheren Hafen« zuzuweisen. Doch nichts passierte. Italien wurde damals von einer Koalition aus der 5-Sterne-Bewegung und der rechtsextremen Lega regiert.
19 Tage an Bord festgehalten
19 Tage mussten die Flüchtlinge auf dem Schiff unter menschenunwürdigen Bedingungen ausharren, bevor sie endlich im sizilianischen Agrigent wieder sicheren Boden unter den Füßen hatten. Und das trotz einer gegenteiligen Meinung eines Verwaltungsgerichts und letztendlich nur, weil das Gericht von Agrigent die sofortige Landung der »Open Arms« angeordnet hatte. Unter anderem führte der damalige Innenminister als Begründung für seine Weigerung an, er habe erfahren, dass unter den Flüchtlingen »auch Terroristen« seien.
Nun muss sich Salvini vor Gericht verantworten. Zuletzt wurden unter anderen der damalige Ministerpräsident Giuseppe Conte und Ex-Außenminister Luigi Di Maio (beide 5-Sterne-Bewegung) als Zeugen gehört.
Vor allem Conte widersprach den Ausführungen seines einstigen Innenministers: »Ich kann mich nicht erinnern, jemals von Terroristen an Bord der ›Open Arms‹ gehört zu haben. Genauso wenig wie von möglichen Absprachen zwischen der Organisation und den Menschenschmugglern.« Er habe Matteo Salvini mehrmals aufgefordert, zumindest die Minderjährigen an Land zu bringen, und zudem nie die Auffassung vertreten, dass Europa erst die Versicherung geben sollte, die Flüchtlinge auf andere Staaten zu verteilen.
Conte beschrieb dem Gericht das politische Klima jener Tage innerhalb der Regierung: »Die Koalition war einem Auseinanderbrechen nahe und uns stand möglicherweise eine Wahlkampagne bevor, in der das Thema Migration sicherlich eine wichtige Rolle spielen würde. Salvini wollte mich in jener Phase als schwach und sich selbst als entschlossen darstellen.« Tatsächlich kam es bald zur Regierungskrise, Salvini kündigte die Koalition auf. Allerdings löste Staatspräsident Sergio Mattarella nicht – wie angenommen – die Kammern auf, sondern berief eine neue Koalition aus 5-Sterne-Bewegung und fortschrittlichen Parteien, die bis Januar 2021 hielt.
Ähnlich wie Conte äußerte sich Ex-Außenminister Luigi Di Maio: »Dass Salvini einen ›sicheren Hafen‹ verweigert hatte, erfuhren wir erst durch die Presse. Es hat in der ganzen Zeit keine Sitzung des Ministerrates und auch keine informellen Gespräche zu diesen Themen gegeben.« Auch Di Maio betonte, dass alle an mögliche Neuwahlen gedacht hätten: »Ich glaube, dass alles, was damals geschah, nur auf die Wählergunst ausgerichtet war.«
Blumige Einlassungen seitens Salvinis
Lega-Chef Salvini, der in der aktuellen Rechtsaußen-Regierung Minister für Infrastrukturen ist, antwortete wie immer arrogant und blumig: »Heute bin ich wieder einmal in Palermo, in dem Sitzungssaal, in dem die Maxi-Prozesse gegen die Mafia stattfanden. Ich riskiere bis zu 15 Jahren Haft, weil ich Italien und seine Grenzen verteidigt habe, weil ich Menschenleben gerettet und dafür gesorgt habe, dass Gesetze eingehalten werden.«
Die nächste Verhandlung ist für den 24. März angesetzt. Salvini werde dem Gericht dann seine Sicht der Dinge erklären, teilte seine Verteidigerin Giulia Bongiorno mit, ehemalige Ministerin für Verwaltungsfragen.
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