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Sie wollen nur, dass das Töten aufhört

Der Dokumentarfilm »Das Hamlet Syndrom« versetzt fünf junge Ukrainer in die Hamlet-Situation von »Sein oder Nichtsein« und will sie über Trauer und Trauma des Krieges befragen

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Was wird aus den jungen Menschen des Hamlet-Projekts, die hier von ihrem zurückliegenden Kampfeinsatz sprechen, von der Ukraine, Russland und Europa?
Was wird aus den jungen Menschen des Hamlet-Projekts, die hier von ihrem zurückliegenden Kampfeinsatz sprechen, von der Ukraine, Russland und Europa?

Wie sehen sie aus, die Helden des Krieges? Wie alle Kriegshelden zu allen Zeiten: schwer beschädigt, für das normale Leben nicht mehr tauglich, lebende Tote. Käthe Kollwitz und Ernst Barlach haben für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges Ehrenmäler geschaffen, die die Soldaten als Opfer zeigen: leidend, schmerzverzerrt, unverstanden. Für solche Darstellungen wurden Kollwitz und Barlach nach dem Ersten Weltkrieg vom »Stahlhelm« und dem Kriegerwitwenverein attackiert, von den Nazis ohnehin. Doch die Geschichte bezeugt es: Heroisch ist nichts an einem Krieg, und jeder Tag, den er fortdauert, ist einer zu lang. In einem Krieg gibt es keine Sieger, nur Besiegte, auf beiden Seiten der Front türmen sich sinnlos Hingemetzelte. Die Dabeigewesenen wissen, dass Heldenlegenden immer nur in der Etappe wuchern, an Stammtischen, auch digitalen.

Dazu schrieb Heiner Müller 1977 seine »Hamletmaschine«, ohne die man heute nicht mehr über Shakespeares »Hamlet« sprechen sollte. »Die Zeit ist aus den Fugen«, wie nie zuvor. Diesen Satz könnte man dem sehenswerten Dokumentarfilm über junge Ukrainer angesichts des Krieges voranstellen, den Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski drehten.

»Das Hamlet Syndrom« versetzt fünf junge Ukrainer, drei Männer und zwei Frauen, in die Hamlet-Situation von »Sein oder Nichtsein« – will sie über Trauer und Trauma des Krieges mit Russland anhand von Spielszenen befragen. Ist das naiv? Der literarisierende Einstieg scheint einigen der Mitspieler dann auch unangemessen, sie verweigern sich, wehren ab oder sagen etwas, was hier nicht gefragt ist. Was sie erlebt haben, passt in kein »Projekt«. Aber so kommen dann auch Dinge zur Sprache, für die es sonst vielleicht keine Form gegeben hätte.

Wie heißt es doch bei Müller in seiner drastischen »Hamlet«-Verabschiedung, die auch ein Zurücklassen des Entweder-Oder-Weltbildes ist: »Mein Platz, wenn mein Drama noch stattfinden würde, wäre auf beiden Seiten der Front, zwischen den Frontlinien, darüber.« Was die Mitzwanziger hier im Würgegriff hält, wirkt ähnlich. Man könnte es wieder mit Müller sagen, der den Zweiten Weltkrieg immer in sich trug: »Der Mund entsteht mit dem Schrei.«

Das Schockierende an diesem Film ist, dass er bereits 2020 gedreht wurde, als Rückblick auf den Krieg in der Ostukraine 2014 und 2015. Man glaubt, es hinter sich zu haben, spricht über die zurückliegende Hölle »damals«, nicht ahnend, dass dies nur ein Prolog für den kommenden Schrecken war. Slavik etwa hatte in der Ostukraine gekämpft und war von russischen Separatisten gefangen genommen worden. Er glaubte, dass man ihn erschießen würde. Ein Held, was ist das? Ihn braucht man das nicht zu fragen, er hatte nur einen Gedanken: »Gott vergib uns den Scheiß, der hier abgeht.« Sein Vater sagt, die Zeit, in der sein Sohn an der Front war, habe ihm zehn Jahre seines Lebens geraubt. Jeden Tag, jede Minute sei die Angst dagewesen, dass er getötet werde.

Auch Katya war freiwillig an der Front gewesen, wollte die Ukraine verteidigen. Sie ist hart, hat trotz ihrer Jugend etwas durchdringend Militärisches in ihrem Wesen. Ihre Mutter versteht nicht, dass sie zur Waffe greifen musste. Die Tochter leidet unter diesem Unverständnis, aber würde es wieder tun.

Der Film geht glücklicherweise immer wieder von den mitunter deplatziert wirkenden Spielszenen rund um die »Hamlet«-Proben weg – denn von Hamlet, dem zögerlichen, Stiefvater-hassenden, halbverrückten Dänenprinzen führt kein Weg in diesen schmutzigen Krieg. Da schon eher Georg Trakls »Grodek«-Gedichte, die er schrieb, nachdem er sich 1914 allein als Sanitäter in der Schlacht bei Gródek in Galizien mit Dutzenden Schwerverletzten und Sterbenden wiederfand. Er konnte ihnen nicht helfen und sah sich in der Hölle gefangen – und kam aus ihr nie mehr heraus.

Siegen oder sterben? Ist das eine Alternative oder sind es eher zwei Seiten einer Medaille? Ein Verdammungsspruch für die Soldaten auf beiden Seiten der Front, die nur eines wollen: dass das Töten aufhört. Der Rest ist Propaganda. Auch darum geht es im »Hamlet Syndrom«. Die ukrainische Flagge kommt auf der Probe ins Spiel. Da zeigt sich, wie groß die innere Zerrissenheit dieser jungen Menschen ist, die die Ungeheuerlichkeit des Krieges vor Augen haben, den erbärmlichen Tod, zerfetzt von Granaten, in Leichensäcke verpackt die menschlichen Überreste. Und die Flagge? Darf man mit ihr spielen, sie ins hässliche Geschehen hineinziehen oder ist sie heilig? Man streitet sich heftig, geht weg, wenn die Stimme versagt und kommt doch wieder. Einen erträglichen Ausdruck für die übermächtige Angst und den allgegenwärtigen Ekel gibt es nicht. Der Fatalismus ist groß: »Man kann über alles sprechen, aber es gibt nichts zu sagen.«

Oxana ist die einzige von ihnen, die fortgehen wird, zuerst nach Polen und von da vielleicht weiter in den Westen. Europa, das war doch ihr großer Traum gewesen auf dem Maidan, nicht der ukrainische Nationalismus! Wir sind den ganzen Film über im Jahre 2020, einer Zwischenkriegszeit, wie hier keiner ahnt.

Dramaturgische Beraterin für diese deutsch-polnische Co-Produktion war Tamara Trampe, eine ostdeutsche Dokumentarfilmerin, im Winter 1942 von einer ukrainischen Soldatin an der Ostfront bei Woronesch geboren, ihr Vater war ein unbekannter Offizier der Roten Armee. Das Thema hat sie lebenslang nicht losgelassen, immer wieder hat sie die Mutter dazu interviewt, die Originalschauplätze besucht (2014 entstand »Meine Mutter, ein Krieg und ich«). Sie lebte im Schatten des Zweiten Weltkriegs bis zu ihrem Tod im November 2021.

Was wird aus den jungen Menschen des Hamlet-Projekts, alle nach 1990 geboren, die hier von ihrem zurückliegenden Kampfeinsatz sprechen, von der Ukraine, Russland und Europa? Von ihrem Hass und ihrem Ekel, der Verwirrung, die sie mit sich tragen. Von den Schuldgefühlen den Eltern gegenüber, die um das Leben ihrer Kinder fürchten. Nun, so hört man, kämpfen sie wieder in einem viel größer gewordenen Krieg. Ob sie überhaupt noch leben?

»Das Hamlet Syndrom«: Polen, Deutschland 2022. Regie: Elwira Niewiera, Piotr Rosołowski. 85 Minuten. Start: 19. Januar.

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