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»Die Festnahme kann jederzeit erfolgen«
Der linke Moskauer Politiker Michail Lobanow über seine Verfolgung und die Haltung zum Ukraine-Krieg
Herr Lobanow, Sie sind einer der wenigen verbliebenen linken Politiker in Russland, die ihre ablehnende Haltung zum Krieg offen kundtun. Am 29. Dezember wurden Sie zu Hause festgenommen und mussten eine 15-tägige Haftstrafe wegen angeblichen Widerstands gegen Polizeikräfte absitzen. Hat Sie das überrascht?
Michail Lobanow, Jahrgang 1984, unterrichtet an der Moskauer Lomonossow-Universität Mathematik. Bereits während seines Studiums war er gewerkschaftlich aktiv. Später war Lobanow mehrfach Mitorganisator von Protestaktionen und setzte sich öffentlich für verfolgte Kollegen ein. 2013 gründete er die Gewerkschaft »Universitätssolidarität«, die die Rechte wissenschaftlicher Mitarbeiter vertritt. 2021 kandidierte Lobanow für die KPRF bei den Duma-Wahlen, unterlag jedoch in einer umstrittenen Auszählung. 2022 wurde er mehrfach wegen seiner Antikriegshaltung verhaftet.
In gewisser Weise schon, jedenfalls der Umstand, dass meine Wohnung regelrecht gestürmt wurde. Aber natürlich ist mir klar, dass aufgrund meiner langjährigen politischen und gewerkschaftlichen Tätigkeit eine Festnahme jederzeit erfolgen kann. Nur ging dieser Festnahme nichts voraus, was diese Wahrscheinlichkeit erhöht hätte. Anders als nach den Parlamentswahlen 2021, als wir gegen offensichtliche Wahlfälschungen protestiert haben und diese Proteste theoretisch ein weitaus größeres Ausmaß hätten erreichen können, wären sie vom Staat nicht im Keim erstickt worden. 2022 haben wir zwar auch vieles umgesetzt, aber keine Straßenproteste, auf die der Staatsapparat extrem argwöhnisch reagiert. Als radikal lassen sich unsere Aktivitäten also nicht bezeichnen. Vielmehr haben wir unsere Arbeit im Bereich der lokalen Selbstverwaltung fortgeführt und eine Plattform gegründet für Leute, die als unabhängige Kandidaten bei den Moskauer Bezirkswahlen antreten wollten. Auch gewerkschaftlich waren wir aktiv und natürlich haben wir uns auch zu aktuellen Themen geäußert.
Was wissen Sie über die Strafermittlungen, die als Vorwand für die Hausdurchsuchung bei Ihnen diente?
Die naheliegendste Version ist, dass jemand im Machtapparat eine Einschüchterungsmaßnahme vor Neujahr initiiert hat. Einfach als Erinnerung daran, dass keine Diskussionen über den Konflikt und das allgemeine Geschehen erwünscht sind. Ohne erkennbare Beweislage wurde ein Personenkreis ausgewählt, der keinerlei Verbindungen untereinander hat. Im Moment gelten alle als Zeugen, was die Hausdurchsuchungen formal legitimierte. Ich habe im Anschluss einen am 23. Dezember ausgestellten Durchsuchungsbefehl gesehen, der sich auf ein im August eingeleitetes Strafverfahren gegen den ehemaligen Duma-Abgeordneten Ilja Ponomarjow wegen Diskreditierung der russischen Streitkräfte bezog. Ich hatte nie etwas mit ihm zu tun.
Ist die Maßnahme als eine Art letzte Verwarnung zu verstehen?
Kann sein, aber lägen reale Beweise gegen mich vor, wären sie anders vorgegangen. So wirkte das Verhalten der Polizeibeamten – selbst als ich geschlagen wurde – gekünstelt. Das hatte nicht den Anschein einer Überzeugungstat im Affekt, sondern handelte sich aus meiner Wahrnehmung um einen Befehl, den der Polizist ohne besonderen Begeisterung ausgeführt hat.
Sie bezeichnen sich als Sozialist. Was verbinden Sie mit diesem Begriff?
Ich sehe mich als Teil der globalen Linken, die die geltende Weltordnung im Interesse der Gesamtgesellschaft verändern will, hin zu sozialer Gerechtigkeit und mehr Demokratie. Das können wir nur erreichen, wenn wir durch kollektives Handeln auf unsere Umgebung aktiv einwirken. Linke politische Bewegungen erhalten weltweit immer wieder Auftrieb und schwächen sich dann, wie in den letzten Jahrzehnten geschehen, wieder ab. Mir scheint die Zeit reif für einen neuen globalen Aufschwung. Betrachtet man die vergangenen 15 Jahre, dann trifft dieser Aufschwung auch auf Russland zu, obwohl die Ausgangsposition ziemlich weit unten lag.
Hat sich das nach dem 24. Februar nicht verändert?
Nein. In Russland gibt es an der Basis immer noch rege Aktivitäten, wie die Unterstützung von Menschen, die aus den Konfliktgebieten geflüchtet sind. Diese Soliarbeit und die Organisation ihrer Ausreise aus Russland haben den Beteiligten hier enorme Energie und Mut abverlangt. Es sind viele Antikriegsinitiativen entstanden. Im Frühjahr vor der großen Repressionswelle waren sie noch präsent, aber auch heute bleibt der Austausch untereinander erhalten, auch wenn statt öffentlicher Aktionen nun viele geschlossene Veranstaltungen stattfinden. Zudem gab es Streiks von Kurieren, es gibt Solikampagnen für politische Gefangene, deren Anzahl wächst. Selbst für die Beteiligung an den Bezirkswahlen 2022 fanden sich Hunderte gegen den Krieg eingestellte Kandidaten, die dadurch ein gewisses Risiko eingingen.
Im Gericht beim Berufungsverfahren gegen Ihre Festnahme hielten Sie eine klassische sozialistische Rede. Dabei sagten Sie, Russland erwarte eine Transformation. Können Sie das aufschlüsseln?
Putins Regime hat eine so riesige Menge an verbrecherischen, blutigen, dummen, aber auch klugen Fehlern begangen, dass ich mir nur schwer vorstellen kann, dass es ohne tiefgreifende Veränderungen noch weitere Jahrzehnte überdauert. Ob diese durch das Ableben der Staatsführung oder Protestbewegungen passieren werden, von oben oder von unten, kann ich nicht sagen. Sicherlich wird Putins Regime, das den Krieg nicht gewinnen kann, versuchen, mit revanchistischen Ideen auf die Gesellschaft einzuwirken. Ein Rechtsruck mit Perspektive auf einen neuen Krieg ist sehr wahrscheinlich. Das lässt sich nur über eine breite gesellschaftliche Konsolidierung auf der Basis eines linken antimilitaristischen Ansatzes verhindern. Anders geht es nicht. Dafür braucht es eine breite Organisierung von unten, doch das halte ich grundsätzlich für möglich. Eine Perle bildet sich um ein Sandkorn herum. Das haben wir 2021 beobachtet, als wir selbst bei Null angefangen haben.
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