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- Handball-WM 2023
Fester Glaube an die Utopie
US-Handballer wollen ihren Sport mal wieder daheim populär machen. Immerhin haben sie bei der WM endlich mal ein Spiel gewonnen
Er sei etwas geknickt, das ja, berichtet Ian Hüter. »Da war viel mehr drin«, sagte der US-Handballer nach der 27:32-Niederlage am Donnerstagabend gegen Bahrain. »Diese Mannschaft hätten wir definitiv schlagen können.« Trotzdem genieße er die Atmosphäre bei dieser Weltmeisterschaft sehr. Das gesamte Team freue sich nun auf die Partie an diesem Samstag gegen Dänemark – und auf eine ausverkaufte, laute Arena in Malmö.
Gegen den Titelverteidiger wird das US-Team eine hohe Niederlage kassieren, dessen sind sich selbst die Amerikaner bewusst. Doch ihre Stimmung werde darunter nicht leiden, versichert ihr Kapitän. »Wir wollten unsere Sportart in den Staaten auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles voranbringen«, sagt der Spielmacher. »Das haben wir mit dem Einzug in die Hauptrunde schon erreicht.«
Das Team um den 25-jährigen Hüter, dessen Bruder Patrick ebenfalls zur Auswahl gehört, hat tatsächlich Sportgeschichte geschrieben. Mit dem 28:27-Vorrundensieg in Jönköping gegen Marokko gewann eine US-Auswahl erstmals seit 1964 ein Spiel bei einer WM. Die Verwandtschaft aus San Francisco habe danach gejubelt, berichtet Hüter. »Sie haben das über einen Livestream bei ESPN gesehen. Viele unserer Freunde fanden das cool, dass sie uns bei einem solchen Event sehen konnten, obwohl sie von Handball nicht viel verstehen.«
Damit bringt Hüter bereits das Kernproblem des Handballs auf den Punkt: die immer noch mangelnde Globalisierung der Sportart. Zwar haben sich andere Nationen wie Brasilien oder Bahrain zuletzt gut entwickelt, auch mit Unterstützung skandinavischer Trainer. Die Ägypter sind sogar schon so stark besetzt, dass sie von einer Medaille träumen dürfen. Aber auf dem finanzkräftigsten Sportmarkt der Welt, den USA, ist Handball höchstens so populär wie Bogenschießen oder Curling.
Um das zu ändern, unterstützen der Weltverband IHF und die europäischen Topklubs den US-amerikanischen Nationalverband, indem Talente mit US-Staatsbürgerschaft wie der in Landshut aufgewachsene Tristan Morawski in den Akademien europäischer Vereine ausgebildet werden. Der erst 17-jährige Linkshänder Morawski will nicht weniger als der »Michael Jordan des Handballs« werden und ließ sich bereits beim mehrfachen deutschen Meister in Flensburg schulen.
Logistisch gesteuert wird das Projekt von Deutschland aus. Der Krefelder Andreas Hertelt, der einst mit TuRu Düsseldorf Europapokalsieger wurde, ist heute Teammanager der USA-Auswahl, die vom Norweger Robert Hedin trainiert wird. Von Solingen aus koordiniert der ehemalige Spielerberater Stefan Bögl zudem das Scouting. Während der nationale Verband versucht, daheim langfristig erfolgreiche Strukturen aufzubauen, suchen Trainer und Scouter in ganz Europa nach Talenten, die eine US-Staatsbürgerschaft haben – so wie die Brüder Hüter, die in Neuss aufgewachsen sind und in der 2. Liga für Bayer Dormagen auflaufen. Ihre Mutter stammt aus Kalifornien.
Wie dick das zu bohrende Brett allerdings ist, zeigt ein Blick in die Geschichte. Schon in den 1960er Jahren versuchten deutsche Handballer und Funktionäre, die USA auf die Landkarte des Welthandballs zu zaubern. Hintergrund war der mehrfach gescheiterte Versuch des Weltverbands IHF, Handball nach 1936, als die Feldvariante in Berlin gespielt worden war, wieder in das olympische Programm zu hieven. Die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hatten 1961 in Athen noch mit 21:17-Stimmen gegen die Aufnahme für die Spiele von 1964 votiert. Dabei konnte die IHF sogar auf IOC-Präsident Avery Brundage (USA) als Unterstützer zählen, ein Fan des Feldhandballs.
Das elementarste Problem: die geringe Verbreitung. Während zum Beispiel Volleyball in mehr als 70 Ländern gespielt wurde, hatte die IHF 1961 nur gut 30 Mitglieder. Vielen IOC-Mitgliedern war Handball schlichtweg unbekannt. »Eine Sportart, die in Amerika nicht volkstümlich ist, hat wenig Aussicht, ins olympische Programm zukommen«, kommentierte ein US-Sportjournalist damals. Die IHF initiierte daher die Gründung eines US-Verbandes und erteilte deutschen Handballern die Spielgenehmigung in den Staaten: An der Feldhandball-WM 1963 in der Schweiz nahmen die USA somit erstmals teil. Bei der WM 1964 in der ČSSR spielten die USA erstmals auch bei einem Hallenchampionat.
Im US-Tor stand damals Hans-Jürgen Hinrichs, der mit dem THW Kiel zuvor Meister geworden war, auch in der deutschen Auswahl gespielt hatte – und nun als Manager in der Autoindustrie in den USA Karriere machte. Aufsehen erregte zudem Vincent Drake, ein ehemaliger Basketballprofi, der bei der WM 1967 für Kanada antrat.
Noch hilfreicher für die olympischen Ambitionen waren jedoch die Demonstrationsspiele während der IOC-Session im Oktober 1965 in Madrid. Damals wurden deutsche Stars wie Hansi Schmidt oder Rüdiger-Felix Schmacke eingeflogen, um den IOC-Mitgliedern in zwei Testspielen gegen Spanien die Sportart schmackhaft zu machen. »Die ausgegebene Devise von Bundestrainer Werner Vick hieß, Handball müsse unbedingt wieder olympisch werden«, erinnerte sich Schmacke später. »Deshalb sind wir von ihm angehalten worden, das Spiel am besten ausgeglichen und spannend zu gestalten, weil ein hoher Sieg den IOC-Mitgliedern nicht gefallen hätte.« Die Spieler erfüllten den Auftrag. Und noch in Madrid wurde Handball für die Münchner Spiele 1972 ins Programm aufgenommen.
Der erste Präsident des US-Verbandes, Peter Buehning, war ebenfalls ein deutscher Immigrant. Der Unternehmer entwickelte 1969 einen verwegenen Plan: Während die Jugend der Welt gegen den Vietnamkrieg protestierte, reiste er ins Pentagon und schlug dem Vier-Sterne-General William Westmoreland ein imageförderndes Projekt vor: GIs, die in anderen Sportarten erfolgreich waren, sollten kurzerhand zu Handballern umfunktioniert werden und bei Olympia antreten. Der Name des Programms »Army Champs«. Der Oberbefehlshaber der Vietnam-Streitkräfte stimmte zu.
Kurz darauf gab es die ersten Castings für München. »Ich hatte keine Ahnung, was Handball ist. Ich spielte Basketball. Was ich hörte, war: Es sieht aus wie Wasserball«, erzählte Rick Abrahamson, der im Herbst 1969 die ersten Tests absolvierte. Als die zusammengewürfelte Auswahl kurz darauf gegen Trainer Buehning rebellierte, drohte ihr diensthabender Offizier, sie würden, wenn sie das Training weiter verweigerten, den nächsten Flieger nach Vietnam besteigen. »Das war ein kurzes Meeting«, berichtete der US-Kapitän Dennis Berkholtz später lachend.
Die US-Boys qualifizierten sich sogar für München 1972, siegten dort gegen das aufstrebende Spanien und hielten gegen die traditionsreiche Handballnation Dänemark sehr lange mit. Die folgenden Versuche, den Handball vor den Heim-Spielen 1984 in Los Angeles und 1996 in Atlanta in den Staaten wirklich zu popularisieren, scheiterten jedoch sämtlich.
Nicht nur vor dieser historischen Folie erscheint das neuerliche US-Projekt, Handball in den Staaten zu etablieren, als Utopie. Dessen ungeachtet werden die Hüter-Brüder weiter davon träumen, 2028 in Los Angeles die olympische Bühne zu betreten. Für sie war, so sagt es Kapitän Ian Hüter, der historische WM-Sieg gegen Marokko schließlich erst der Anfang.
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