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Dem Aderlass zum Trotz

Union Berlin gewinnt alle Spiele der Winter-Vorbereitung – verliert aber Verteidiger Julian Ryerson

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: 5 Min.
Unerwarteter Abgang: Union muss fortan ohne Julian Ryerson auskommen.
Unerwarteter Abgang: Union muss fortan ohne Julian Ryerson auskommen.

Am Freitag beging der 1. FC Union Berlin seinen 57. Vereinsgeburtstag. Drei, vier Jahre in der Klubhistorie seit 1966 sind nur eine kleine Epoche. Aber seit dem Bundesliga-Aufstieg 2019 ticken die Uhren in Köpenick gefühlt schneller. Ins erste Pflicht-Heimspiel im neuen Jahr am Samstag (15.30 Uhr) gegen die TSG Hoffenheim geht der FCU als Tabellenfünfter.

Mit bislang 27 Zählern ist die Mannschaft auf einem sehr guten Weg, erneut vorzeitig das Saisonziel Klassenerhalt zu erreichen. Im vierten Jahr der Zugehörigkeit zum deutschen Oberhaus kann die Elf sogar die beste erste Halbserie der Vereinshistorie spielen.

Dazu ist aus den beiden Begegnungen gegen Hoffenheim und am kommenden Mittwoch (20.30 Uhr) bei Aufsteiger Werder Bremen nur ein einziger Zähler vonnöten. Denn 27 Punkte hatten die Eisernen in der Saison 2021/22 nach 17 Spieltagen eingesammelt, in der Rückrunde sogar 30. Das zeigt, dass Union konstant oben mitspielt.

Die wegen der WM in Katar ungewöhnlich lange Winterpause meisterte Union von den Zahlen her problemlos. Alle sechs Testspiele gegen den FC Hansa Rostock (2:0), FC St. Gallen (4:1), FC St. Pauli (3:2), zweimal FC Augsburg (1:0 und 4:1) und den slowakischen Erstligisten MSK Zilina (3:1) wurden gewonnen.

Allerdings gab es nach dem sonnig-warmen Wetter während des Trainingslagers vom 2. bis 11. Januar im spanischen Campoamor Probleme mit dem Wetter-Umschwung. Ausgerechnet bei der Pflichtspiel-Generalprobe am vergangenen Samstag gegen Zilina mussten vier Akteure grippebedingt passen – unter ihnen mit Sechser Rani Khedira und Angreifer Sheraldo Becker zwei wichtige Stammkräfte.

Immerhin konnte Trainer Urs Fischer am Donnerstag größtenteils Entwarnung geben. Bis auf den gesperrten Verteidiger Diogo Leite, den nach der Grippe erst wieder kurzfristig mittrainierenden Stürmer Sven Michel sowie den beiden nach einem Mittelfußbruch beziehungsweise einer Magen-Operation noch im Aufbau befindlichen Mittelfeldakteuren András Schäfer und Morten Thorsby sind fast alle Alt-Unioner fit.

Freilich muss auch noch Linksverteidiger Jérôme Roussillon passen. Dem bislang einzigen Winterzugang vom VfL Wolfsburg fehlt nach mitgebrachten Wadenproblemen noch die Spielfitness.

Union ist von der Papierform her gegen den Tabellenelften Hoffenheim Favorit. Aber Fischer, der in den letzten Wochen neben der gewohnten Abwehr-Dreier-Kette auch an einer Vierer-Formation feilen ließ, sieht die Ausgangslage sachlich. »Wo wir stehen, werden wir nach dem Spiel gegen Hoffenheim wissen. Ich habe das Gefühl, dass noch einiges fehlt. Resultate in der Vorbereitung können auch täuschen«, sagte der 56-Jährige.

Drei der bisher vier Winter-Abgänge waren einkalkuliert. Verteidiger Tymoteusz Puchacz (Leihe an Panathinaikos Athen) sowie die Eigengewächse Laurenz Dehl (Leihe an Viktoria 1889 Berlin) und Fabio Schneider (Greifswalder FC) spielten in den Planungen von Fischer keine Rolle.

Der Blitzwechsel von Allrounder Julian Ryerson Anfang dieser Woche zu Borussia Dortmund brachte allerdings den Union-Kosmos ins Wanken. Viele Fans trauern dem norwegischen Nationalspieler nach, der für eine festgeschriebene Ablöse von fünf Millionen Euro aus dem Vertrag gekauft wurde. Neben Kapitän Christopher Trimmel und Ersatztorwart Jakob Busk gehörte Ryerson zu den letzten verbliebenen Aufstiegshelden von 2019.

Ryerson hatte sich wie der Verein in den letzten Jahren prächtig entwickelt. Der Verteidiger war populär und galt mittelfristig als Nachfolger des 35 Jahre alten Trimmel, auch wenn dieser im Januar seinen Vertrag um ein weiteres Jahr verlängerte und damit ab dem Sommer in seine zehnte Union-Spielzeit geht. Der Klub rechnete nicht mit dem Abgang von Ryerson. »Da wurden wir auf dem falschen Fuß erwischt. Das passt uns natürlich überhaupt nicht«, erklärte Fischer.

Union verlor mit Grischa Prömel (TSG Hoffenheim), Marvin Friedrich (Borussia Mönchengladbach) und Robert Andrich (Bayer 04 Leverkusen) schon etliche Leistungsträger, die unter Fischer gewaltige Fortschritte machten. Alle fühlten sich bei Union sehr wohl. Derzeit stehen sie mit ihren Mannschaften allerdings hinter den Eisernen in der Tabelle. Aber in puncto des Gehaltes haben sie sich deutlich verbessert. »Man muss damit klarkommen, dass dann ein größerer Verein kommt und dir einen Spieler wegkauft. Auch wir verpflichten ja Spieler. Am Schluss ist es ein Kreislauf«, so Fischer.

Ihn dürfte es anspornen, die Altvorderen trotz des steten Aderlasses weiter zu ärgern. Auf dem aktuellen Rang fünf kamen die Köpenicker bereits zum Ende der vergangenen Spielzeit an. Union hat sich vorn einsortiert – und zeitweise musste sich die ganze Liga hinter den Wuhlheidern einreihen.

Erstmals in ihrer kurzen Bundesliga-Historie erklommen sie die Tabellenspitze. Vom 6. bis zum 12. Spieltag logierte Union siebenmal in Folge ganz oben. »Spitzenreiter, Spitzenreiter«-Rufe erklangen regelmäßig aus den Blöcken der Union-Fans. Vor allem im Stadion An der Alten Försterei, wo Union nunmehr seit 13 Partien keinen dreifachen Punktverlust zu beklagen hat, zeigen die Gegner regelmäßig Respekt.

Erst in der letzten der sechs englischen Wochen am Stück ging der Mannschaft kurz vor dem WM-Break anscheinend die Luft aus. In den Partien in Leverkusen (0:5), daheim gegen Augsburg (2:2) und beim SC Freiburg (1:4) ergatterte sie nur noch einen von neun möglichen Punkten. »Ich bewerte die ersten 15 Spieltage positiv. Wir haben trotz der Dreifachbelastung 27 Punkte«, sagte Fischer.

Obwohl es im Sommer im Kader erneut eine große Fluktuation gab, liegt Union dennoch in allen drei Wettbewerben gut im Rennen. Mit einem Kraftakt, sprich vier 1:0-Siegen in der Europa League in Folge, konnte Union trotz der vielen englischen Wochen die beiden Europacup-Auftakt-Niederlagen daheim gegen Saint-Gilloise und bei Sporting Braga (jeweils 0:1) doch noch wettmachen.

Auch hier ist Union im Vergleich zur Teilnahme an der Europa Conference League gereift. Im Vorjahr schied man in der Gruppenphase aus. Nun gibt es am 16. und 23. Februar gegen Ajax Amsterdam die Chance, die Runde der letzten 16 Mannschaften der Europa League zu erreichen. Schade ist allerdings, dass nur rund 2700 Unioner nach Amsterdam reisen können. Es gibt nicht mehr Tickets.

Im DFB-Pokal steht Union Berlin bereits im Achtelfinale. Am 31. Januar kann daheim gegen den VfL Wolfsburg das Viertelfinale erreicht werden.

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