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»Europas Watergate«

Das EU-Parlament untersucht einen der größten europäischen Spionageskandale, hat dazu aber kaum Befugnisse

Der Stellvertretende Europol-Direktor und Leiter der Abteilung »Operationen«, Jean-Philippe Lecouffe, im PEGA-Ausschuss.
Der Stellvertretende Europol-Direktor und Leiter der Abteilung »Operationen«, Jean-Philippe Lecouffe, im PEGA-Ausschuss.

Mit einer Überwachungssoftware wie »Pegasus« werden Mobiltelefone aus der Ferne überwacht. Die hierzulande als »Trojaner« bezeichneten Programme können über manipulierte Links auf Geräten von Zielpersonen installiert werden. So wird das Handy zur Wanze: Angreifer können Mikrofon und Kamera anschalten, Ortungsdaten auslesen und sämtliche Kommunikation mitlesen.

Die kanadische Bürgerrechtsorganisation Citizen Lab konnte ab 2016 nachweisen, dass einige EU-Staaten mit »Pegasus« politische Gegner, Anwälte und Journalisten ausspähen. Bekannt wurde die ausufernde Schnüffelei mit »Pegasus« etwa zu Polen, Ungarn, Zypern und Spanien, in Griechenland nutzt die Regierung hierzu den Trojaner »Predator«.

Nach den immer zahlreicher werdenden Berichten hat das EU-Parlament den Untersuchungsausschuss »PEGA« eingerichtet, der im Frühjahr einen Bericht zur staatlichen Spionage innerhalb der EU vorlegen soll. Die zuständige Berichterstatterin Sophie in ’t Veld veröffentlichte im November erste Ergebnisse und spricht darin von »Europas Watergate«.

Hersteller von »Pegasus« ist die israelische Trojanerschmiede NSO, im PEGA-Ausschuss hatten die Abgeordneten deshalb deren Chefjustiziar eingeladen. Der gab zu, dass die Firma Kunden in zwölf EU-Staaten beliefert habe. Damit würden etwa »etwa 12 000 bis 13 000 Ziele« jährlich angegriffen.

Im Vergleich zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen nationaler Parlamente ist der PEGA zahnlos. Zeugen werden für Falschaussagen nicht bestraft und können auch nicht zur Teilnahme gezwungen werden. So ließ etwa das deutsche BKA eine Einladung zur Anhörung in Brüssel aus »Termingründen« platzen. Fraglich ist auch, wie die EU selbst zum grundrechtswidrigen Einsatz von »Pegasus« ermitteln könnte. Einen Anlass gibt es: Bei einer Untersuchung sollen auch »Spuren einer Kompromittierung« auf Telefonen des Justiz-Kommissars Didier Reynders gefunden worden sein.

Die PEGA-Berichterstatterin in ’t Veld fordert, dass Europol in den EU-Mitgliedstaaten tätig wird, die mit ihren Staatstrojanern offenbar Grundrechte verletzen. Die in Den Haag angesiedelte EU-Polizeiagentur sei hierzu berechtigt, nachdem die Abgeordneten vor einem Jahr grünes Licht für eine Neufassung der Europol-Verordnung gegeben hätten.

Tatsächlich kann Europol nach Artikel 6 Absatz 1a ihrer neuen Verordnung nationale Ermittlungen vorschlagen und diese koordinieren. Zuvor war Europol darauf angewiesen, dass eine Regierung offiziell um Unterstützung bittet.

»Europol unterlässt es bewusst, Maßnahmen zu ergreifen, und lässt zu, dass Verbrechen nicht untersucht werden«, sagt in ’t Veld dem »nd«. Im PEGA-Zwischenbericht von November beschrieb die Abgeordnete die möglichen Verfehlungen, wegen derer Europol ermitteln könnte. Demnach falle der Missbrauch von Spionageprogrammen unter Cyberkriminalität, die auch Korruption und Erpressung nach sich ziehen könnten.

Allerdings müsste der betreffende Mitgliedstaat Ermittlungen auf seinem Hoheitsgebiet zustimmen, räumt in ’t Veld ein. »Die Anwendung von Zwangsmaßnahmen fällt ausschließlich in die Zuständigkeit der zuständigen nationalen Behörden«, bekräftigt auch der Vorsitzende des PEGA-Ausschusses, Jeroen Lenaers, auf Anfrage.

Es kann jedoch als ausgeschlossen gelten, dass Regierungen, die mit Staatstrojanern politische Gegner ausspionieren, Europol freiwillig gegen sich ermitteln lassen. Zumal es sich etwa bei Polen und Ungarn um Staaten handelt, die sich gern gegen zuviel Macht aus Brüssel zur Wehr setzen.

Ende September schrieb Europol tatsächlich an fünf ungenannte EU-Staaten mit der Frage, ob die Agentur bei Ermittlungen in Sachen »Pegasus« oder »Predator« behilflich sein könnte. Vier von ihnen hätten geantwortet, keiner habe jedoch eine längerfristige Unterstützung angefordert, meldete die Europol-Chefin Catherine De Boelle jüngst an den PEGA-Ausschuss.

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