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- Rodel-WM in Oberhof
Adrenalinjunkie in der Achterbahn: Sascha Benecken
Interview mit dem Weltmeister über die Oberhofer WM vor seiner Haustür und seinen Sport in der Zukunft
Bei den letzten Weltmeisterschaften auf Ihrer Hausstrecke in Oberhof waren Sie 17. Mit Ihrer Schülerband Plexic und dem Lied ›Adrenalin‹ bekamen Sie damals den Zuschlag als offiziellen Titelsong der WM. Wann haben Sie dieses Adrenalin als junger Rodler selbst zum ersten Mal gespürt?
Seit er acht Jahre ist, sitzt Sascha Benecken auf dem Rennschlitten. 24 Jahre später will der gebürtige Suhler im Doppelsitzer mit Toni Eggert zum neunten Mal Weltmeister werden – das erste Mal auf seiner Oberhofer Heimbahn. Benecken beschreibt sich als »Adrenalinjunkie in der Achterbahn«, spricht über Gefahren und Reize seines Sports, sieht die WM auf der neuen millionenteuren Bahn auch als Wagnis und baut dabei auf die Thüringer als sportverrücktes Volk.
Ich habe schon mit acht oder neun Jahren das erste Mal auf dem Schlitten gesessen. Das war in Oberhof, ich war noch auf der Grundschule in Suhl. Es war eine Schulmeisterschaft und richtig schön draußen. Man hat einen Schlitten, setzt sich drauf und fährt im Grunde Achterbahn auf Eis runter. Da gibt es dann zwei Arten von Kindern: Die, die Angst haben und die, die von diesem Zeitpunkt an infiziert sind.
Was genau hat Sie beim Rodeln als Achtjähriger infiziert?
Diese Geschwindigkeit, dieses Kribbeln im Bauch, die Aufregung. Im Vorfeld ist das belastend. Aber wenn man dann unten ist, ist es natürlich super. So entsteht dann der klassische Adrenalinjunkie.
Und wie ist das Gefühl in der Bahn?
In dem Moment, in dem man losfährt, wird man so fokussiert, dass – selbst wenn man plötzlich einen schweren Husten oder so was hat – der Körper das alles völlig unterdrückt. Man ist nur im Jetzt. Man ist, glaube ich, selten so sehr bei sich, wie wenn man mit 100 Stundenkilometern in der Eisrinne runterschießt.
Auch nicht, wenn Sie – was Sie gerne machen – allein in der Natur unterwegs sind?
Der Geist ist ein Luder. Er möchte beschäftigt werden, er möchte Ablenkung. Auch wenn man im Wald ist, kann man einen Zustand puren Seins erzeugen. Aber das ist sehr anstrengend, und es gelingt auch nicht immer. Während es beim Rodeln so ist: Wenn die Ampel auf Grün geht, ist man völlig auf das konzentriert, was man abrufen muss. Wir haben nicht ohne Grund einen Helm auf. In aller Regel geht es glimpflich aus. Aber jeder von uns, der lange genug dabei ist, hat auch schon schwere Unfälle miterlebt.
Das fühlt sich dann vermutlich an, als wäre man direkt auf Beton geknallt.
Genau. Was wir als glücklichen Umstand in den Bahnen haben, ist, dass wir meist nicht rausfliegen, sondern in Richtung rutschen. Das Problem ist nur, dass man sich durch die hohe Geschwindigkeit überall, wo man hinfasst, verbrennt. Elendige Brandblasen an den Handballen oder offene Stellen am Ellenbogen – das ist nicht besonders schön.
Ihr Traum vom Olympiasieg – ist der durch Ihr Leben als Vater von zwei Kindern inzwischen kleiner geworden?
Im Moment ist das für mich noch so weit weg, dass ich damit eigentlich abgeschlossen habe. Es kann sein, dass wir die WM im nächsten Jahr in Altenberg und die 2025 in Whistler mitmachen und alles gut läuft. Aber man muss dabei immer sehen: Es ist mein Kindheitstraum, den ich mir gerade erfülle. Kein Partner weiß, worauf er sich da einlässt, bevor es tatsächlich passiert. Und meine beiden Kinder können ja nun mal gar nichts dafür. Die müssen es so schlucken, wie es ist. Und speziell die beiden Covid-Winter waren extrem. Das gipfelte dann in den Spielen in Peking. Dieser Wahnsinn, diese Angst, sich anzustecken – das war wirklich völlig verrückt.
Nach dem Zuschlag für Oberhof äußerten Sie den Wunsch, diese WM, zusammen mit der Biathlon-WM im Februar, möge auch in der Bevölkerung positiv wahrgenommen werden. Da schwangen Zweifel mit.
Grundsätzlich sind die Thüringer ein sportverrücktes Volk, im positiven Sinne. Aber ich bin nicht so mit Scheuklappen unterwegs, dass ich nicht weiß, dass es eventuell auch andere wichtige Projekte gibt, um die sich ein Freistaat zu kümmern hat. Und uns war allen klar, dass, wenn wir die Biathlon- und Rodel-WM bekommen, die Sportstätten umfassend saniert werden müssen. Das war einfach fällig. Wenn man dann eins und eins zusammenzählt und weiß, dass dafür sehr viel Geld lockergemacht werden muss, ist die Frage immer: Wie kritisch wird das am Ende diskutiert? Denn Oberhof hat natürlich eine exponierte Rolle und profitiert nicht nur bei den Sportstätten, sondern auch extrem in der Infrastruktur und allem Drum und Dran. Wo andere Standorte sagen könnten, wir könnten auch mal wieder eine neue Ortsdurchfahrt oder Ähnliches bekommen.
In den Umbau der Rodelbahn floss mit 44 Millionen Euro sogar mehr Geld als in die Modernisierungsarbeiten für die Biathlon-Anlage. Welche Unterschiede zu vorher haben Sie beim Runterfahren ausgemacht?
Ein großer Unterschied ist die neuartige Überdachung, die ja nicht nur funktionell, sondern auch stilistisch futuristisch ist. Die Bahn ist jetzt insgesamt deutlich offener, auch für die Zuschauer. Was für die Zukunft dieser Sportstätte aber noch viel wichtiger ist: Im Kinder- und Jugendbereich wurde ein riesiges Haus gebaut, das sich über zwei Starthöhen erstreckt, sodass da bei 300 Kindern auf einmal wirklich jedes einen Platz findet. Als wir Kinder waren, hatten wir entweder gar keine Möglichkeit zum Umziehen oder haben in irgendwelchen gammligen Baucontainern gehaust, wo es nass, kalt und eklig war. Das ist natürlich auch ein Hemmschuh, wenn es darum geht, Nachwuchs zu rekrutieren. Denn diese Mentalität »Augen zu und durch« hat man heute eigentlich nicht mehr. Es soll jetzt schon ein Stück weit annehmbar sein. Und das ist es jetzt.
Von einem Heimvorteil kann man wegen der drei Jahre andauernden Umbauarbeiten an der Bahn nun nicht sprechen, oder?
Das internationale Feld, wie es hier aufgeschlagen ist, ist in den letzten Jahren in Oberhof im Grunde gleich viel gefahren wie wir. Einen direkten Heimvorteil haben wir deshalb nicht. Aber es ist natürlich trotzdem etwas anderes auf einer Bahn, die quasi vor der Haustür liegt und die man von Kind auf gefahren ist. Die fährt man auch mit 40 Grad Fieber runter. Ob man dann der Schnellste ist, sei mal dahingestellt. Aber man kann auf jeden Fall so fahren, dass man unten ankommt.
Wie beurteilen Sie beim Thema Energie die verstärkten Diskussionen um die Zukunft des Wintersports – generell und speziell auf das Rennrodeln bezogen?
Wenn das Klima insgesamt sehr, sehr stark umschwenkt … Ideale Wintersportbedingungen hätte man jetzt eigentlich – da muss ich aufpassen, wie ich es sage – in Peking. Weil man dort anhaltend Minusgrade und ein kontinental-trockenes Klima hat, wodurch man, auch wenn kein Niederschlag fällt, mit wenig energetischem Aufwand Schnee produzieren und auch eine Bahn eineisen kann. Ich kann mir vorstellen, dass die bei den Spielen in Peking nicht einmal die Kühlung anhatten. Einfach, weil die Überdachung riesig ist. Wenn dort dann permanent minus 15 Grad sind, müssen sie einfach nur Wasser draufspritzen und es gefriert. Aus politischer Sicht geht das aber im Moment natürlich nicht.
Wäre Kanada eine Alternative?
Wenn man nördlich genug ist. Eigentlich müsste man gucken, dass man näher an den Polarkreis kommt. Aber auch das ist schwierig. Der Wintersport, wie wir ihn kennen, ist halt hauptsächlich im Alpenraum gewachsen. Dadurch ist dort sehr viel entstanden.
Viele Anlagen werden ja auch längst als Sommer-Rodelbahnen genutzt.
Genau. Vielleicht muss man auch nicht mehr so viele Bahnen permanent überall vereisen. Sondern man sagt: Okay, die Wintersportarten Bob, Skeleton und Rodeln müssen sich absprechen – und dann schaut man eben, wie man um die Welt reist. Viele Bahnen kann man zudem ja wirklich auch mit Räderschlitten fahren. Das ist ähnlich wie die Diskussion beim Skispringen, wo sie sagen: Eigentlich könnten wir auch permanent auf Matten springen. Das könnte man sich alternativ auch für den Kinder- und Jugendsport überlegen: Kurzbahnen nicht mehr mit großem Aufwand einzueisen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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