- Kultur
- Zum 95. von Maja Lopatta
Eine eiserne Frohnatur
Die begnadete Erzählerin Maja Lopatta über ihr Leben in der DDR
Dass sie keine Angst vor großen Tieren hat, bewies sie schon vor Jahrzehnten. Da war sie noch nicht Chefin, sondern lediglich Redakteurin der »Unterhaltungskunst«, der »Zeitschrift für Bühne, Podium und Manege«. Das Fachblatt hatte ein Zirkusprogramm verrissen, der Direktor kam mit Dompteur und zwei Braunbären in die Redaktion, um seiner Beschwerde Nachdruck zu verleihen. Das Foto von dieser Visite zeigt ein selbstbewusstes Persönchen am Schreibtisch zwischen zwei – wenngleich gezähmten – Raubtieren, deren wuchtige Tatzen mit den ausgefahrenen Krallen auf dem Heft mit dem beanstandeten Beitrag ruhen. »So richtig wohl war mir bei diesen aufgebrachten Besuchern nicht. Aber ich habe unseren Standpunkt erfolgreich verteidigt.«
Als Lopatta 60 wurde, verließ sie den Henschel-Verlag, bei dem sie 1954 – nach dem Studium der Slawistik und Germanistik in Greifswald – angefangen hatte. In jenem Jahr erschien auch die erste Ausgabe der Zeitschrift, der sie in unterschiedlichen Funktionen bis zur Rente diente.
Die erste Nummer, noch unter dem schlichten Namen »Artistik«, hob sie allein aus der Taufe. Verlagsmitbegründer und -leiter Fritz Erpenbeck, in der Emigration stellvertretender Chefredakteur des vom Nationalkomitee »Freies Deutschland« in Moskau betriebenen gleichnamigen Rundfunksenders, hatte sich mit seiner Frau Hedda Zinner für sechs Wochen nach Österreich verabschiedet. Dort wurde ein Theaterstück von ihr inszeniert, woran das Ehepaar aktiv mitwirken wollte. »Die Lopatta ist verrückt genug, die wird das schon stemmen«, hatte Erpenbeck den zuständigen Gremien hinterlassen. Diese bestanden im Wesentlichen aus alten Männern, die nicht gegen die Linie der Partei (»Der Jugend Vertrauen und Verantwortung«) verstoßen wollten und deshalb nicht maulen mochten. Einzig Lopatta monierte, verwies darauf, letztmalig mit Windeln in Breslau im Zirkus gewesen zu sein. Doch Erpenbeck pflügte jeden Widerspruch unter: »Du machst das schon!«
Sie machte. »Es gab keine Klagen. Vielleicht auch, weil ich die Nummer mit einem Foto einer Oben-ohne-Lady aufgemotzt hatte. Und solche Waghalsigkeiten hatten Seltenheitswert«, kommentiert sie diese Erfahrung in ihren sehr unterhaltsamen Erinnerungen.
Ihrer souveränen Leichtigkeit beim Erzählen kann man sich kaum entziehen. Die Haltung überträgt sich beim Lesen. Selbst bei eher schweren Themen, etwa der Sichtung ihrer Akten beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit, verlässt Lopatta die heitere Gelassenheit nicht. Manche »Menschenerforschungspapiere erreichten eine imponierende Höhe, andere waren im Vergleich eher von mickriger Niedrigkeit. Meine gehörten zu der mickrigen Menge. Soll ich da etwa neidisch werden?«, fragt sie rhetorisch, was sich auch als indirekte Kritik an die Adresse jener liest, die ihre vermeintliche Bedeutung aus dem Umfang ihrer Stasi-Akten ableiten. »Staun: War gar nicht uninteressant, was ich da aus meiner Akte erfuhr. Ich wurde mir richtig sympathisch«, schreibt sie. »Erstaunlich, was die Genossen so alles interessierte. Und oft haben sie gut recherchiert, dass längst im Vergessen Vergrabenes wieder bei mir auftaucht.«
Natürlich hatten sie die Genossen von der unsichtbaren Front als Mata Hari 2.0 anwerben wollen, was sie umgehend Fritz Erpenbeck beichtete. »Mädel, lass die Finger davon, daran würdest du zugrunde gehen«, sagte er, der 1932 im Filmklassiker »Kuhle Wampe« mitgespielt hatte und 1945 mit der Gruppe Ulbricht aus dem Exil nach Berlin zurückgekehrt war. Und nun Lopattas Pointe der Stasi-Geschichte: »Ich wünschte, alle Umworbenen hätten einen Fritz Erpenbeck zur Seite gehabt.« Und sie erwähnt einen Bekannten, der mit 19 Jahren unterschrieben hatte und bis heute dafür zahlen muss. »Wie unfair kann doch so ein Schicksal sein.«
Maja Lopatta ist eine begnadete Erzählerin, sie beherrscht die Kunst der Unterhaltung, durcheilt ihre neun bewusst wahrgenommenen Lebensjahrzehnte in Anekdoten, die sich um Ereignisse und Personen drehen, mit denen sie es zu tun bekam. Etwa die Präsidentin des Komitees für Unterhaltungskunst der DDR, Gisela Steineckert. Es gelang ihr, so Lopatta, »die in der DDR berühmte und heute weiter berühmt-beliebte Schriftstellerin und Textautorin« für einen Beitrag in ihrem Magazin zu gewinnen. »Nach der Honorarüberweisung rief Gisela mich an. ›Kann es sein, dass ihr euch in der Honorarsumme geirrt habt?‹ – ›Nee, leider nicht.‹« So groß sei das Budget nicht, Steineckert habe bereits den höchsten Satz bezogen.
Begebenheiten wie diese könnten ein etwas unfreundliches Licht auf die Beteiligten werfen, wenn sie nicht von Lopatta erzählt werden würden. Sie vermag es immer, in einer sanften Pointe jeglichen unangenehmen Eindruck zu vertreiben. Gisela Steineckert beging 2021 ihren 90. Geburtstag. »Meine Lieblingszeitung, die Berliner Zeitung, brachte es in der Überschrift des Glückwunschartikels gleich auf den Punkt: ›Ohne Gisela Steineckert gäbe es viele der schönsten Lieder der DDR nicht.‹«
Das anrührende Erinnerungsbuch ist unter Mitwirkung ihres Sohnes Chris Lopatta entstanden. Das hätte man ihm nicht zugetraut, würde man nur den im Buch abgebildeten Rechenschaftsbericht kennen, den der Halbwüchsige seiner Mutter vorlegen musste, weil sie von ihm verlangt hatte, Ordnung und Struktur in sein verträumtes Leben zu bringen. »Klavirgeübt Virdelstunde ungefer oder mehr oder weniger!!!!«, steht da in krakeliger Kinderschrift. In der 10. Klasse hatte er seiner Mutter eröffnet: »Ich werde Berufsasozialer.« Das sei keine schlechte Perspektive, erklärte sie unaufgeregt. Dazu bedürfe es aber einer gewissen Vorbildung: Abitur und Studium. »Das Kind machte Abitur.« Und wurde Diplomschauspieler.
Chris Lopatta ist wie seine Mutter eingefleischter Fan des 1. FC Union Berlin, weshalb er auch folgerichtig im »Stück zum Spiel – Eisern Union« mitwirkte. In der Pause sei ein Herr aus dem Publikum auf sie zugekommen, »fiel vor mir auf die Knie und bedankte sich, dass ich der Welt so einen Schauspieler wie Chris Lopatta geschenkt habe. So etwas kann man nicht einmal träumen!«
Aber lesen. Das ist eine wirklich amüsante Lektüre einer unverwüstlichen, oder um im Bilde zu bleiben, eisernen Frohnatur. Alles Gute, Maja Lopatta, und eine frohe Runde an diesem Sonnabend zum 95.
Maja Lopatta: Das Leben ist ein Geschenk. Verlag am Park in der Edition Ost, 258 S., br., 20 €.
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