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- CDU-Parteivorsitzender
Merz orientiert sich nach rechts
Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke über den Kurs des CDU-Bundesvorsitzenden
In seiner Antrittsrede als Parteivorsitzender vor einem Jahr deutete Friedrich Merz eine neue sozialpolitische Linie an. Er sagte, es müsse über Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft geredet werden, Kinder aus ärmeren Haushalten bräuchten mehr Unterstützung. Waren das nur erwartbare Floskeln oder ist davon irgendetwas geblieben?
Mein Eindruck ist wenig bis nichts. Das passt auch zu seiner tiefen Überzeugung als Wirtschaftsliberaler. Merz steht für Deregulierung, Privatisierung und im Zweifel dann auch für Kürzungen im Sozialbereich. Als Parteichef muss Merz allerdings integrieren und sowohl dem unternehmerfreundlichen Flügel – dem er zuzurechnen ist – als auch dem sozialen und konservativen Teil Angebote machen. Da ist er zu populistischer Vielfalt bereit.
Hajo Funke (78) ist Politikwissenschaftler. Bis 2010 lehrte er am Institut für Politische Wissenschaften der Freien Universität Berlin. Er ist Experte für Rechtspopulismus und die extreme Rechte.
Merz erweckte anfangs den Eindruck, sich auch bei gesellschaftspolitischen Fragen öffnen zu wollen. Er gab etwa den Widerstand gegen die Frauenquote in der CDU auf. Seit einigen Monaten macht er allerdings mit polemischen Äußerungen zu den Öffentlich-Rechtlichen, zum Gendern oder zur Migrationspolitik Schlagzeilen. War die anfängliche Öffnung nur eine Finte?
Ich sehe bei Merz keinen grundsätzlichen Wechsel in seiner Grundhaltung. Er greift auf die klassischen Vokabeln einer konservativen, zum Teil rechtskonservativen Partei zurück. 1997 stimmte er im Bundestag dagegen, dass Vergewaltigung in der Ehe eine Straftat wird. 2018 erklärte er, der »Integrationsprozess« in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung sei unterschätzt worden, was man so verstehen kann, dass die Ostdeutschen sich hätten mehr anstrengen sollen. Im vergangenen Jahr sprach er vom »Sozialtourismus« ukrainischer Flüchtlinge. Das ist ein Ausmaß an Rechtspopulismus, der zwar immer in einem Teil der CDU zu hören war, aber das hat eine Intensität, die mich erschreckt. Sein Umgang mit dem Sturm auf das US-Kapitol ist ein weiteres Beispiel. Merz behauptete, Ursache sei der Hass von Frustrierten links und rechts auf alle gewesen, die ihnen widersprechen. Dabei handelte es sich um einen faschistischen Putschversuch.
Inwiefern sind solche Äußerungen der Tatsache geschuldet, dass sich die CDU nach 16 Jahren Regierung in der Opposition wiederfindet, auch im Hinblick darauf, dass sich Merz von der Ära Merkel abgrenzen will?
Merz orientiert sich bei seiner Abgrenzung klar nach rechts, deshalb auch seine Kritik an der Flüchtlingspolitik Merkels. Das ist weit rechts von dem, was die CDU über eineinhalb Jahrzehnte ausgemacht hat. Er hat es gewagt, die alte Leitkulturdebatte wieder anzustoßen. Das hat er durch den Verweis auf den angeblichen »Sozialtourismus« von Flüchtlingen getan, aber auch durch eine rassistisch getönte Kritik an Migrations- und Integrationsproblemen, die er generalisiert. Sehr erfolgreich ist er mit dieser Strategie nicht. Die CDU hängt in den Umfragen bei 28 bis 30 Prozent.
Die CDU sucht nach einem neuen Grundsatzprogramm. Ist angesichts dieser Umstände davon auszugehen, dass die Partei auch mittelfristig nach rechts rückt?
Ich würde mich wundern, wenn gegen Merz eine Modernisierung der CDU versucht würde.
Was ist von der Linie der CDU und von Merz im Ukraine-Krieg zu halten?
Ein Mann wie der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Johann Wadephul wird von Merz richtiggehend losgelassen gegen eine eher mäßigende Haltung der Regierung. Er holzt besonders gegen die Linie von Kanzler Olaf Scholz und der SPD. Angesichts der Gefahr einer Ausweitung des Krieges ist das nicht angemessen. Ich hätte erwartet, dass Friedrich Merz, der lange Zeit außenpolitisch sehr umtriebig war, anders reagiert und eine Debatte hin zu mehr internationaler Diplomatie anstößt. Was er stattdessen tut? Noch mehr Panzer fordern. Das aber reicht nicht bei solch einem gefährlichen Krieg. Da ist es nötig, auch über die Gefahren einer Ausweitung und Möglichkeiten zur Eindämmung zu sprechen. All das passiert in der CDU unter Merz nicht. Das ist eine gefährliche Form von Populismus und eine Negierung großer außenpolitischer Traditionen, sowohl Konrad Adenauers als auch Willy Brandts.
Auch innenpolitisch lässt Merz manches laufen: In Ostdeutschland tut sich die CDU mit einer Abgrenzung zur AfD schwer, sowohl auf kommunaler als auch auf Landesebene. Dabei hatte der Parteichef anfangs erklärt, in solchen Fällen hart durchgreifen zu wollen. Warum tut er das nicht?
Das passt zu ihm. Ich bin nicht überzeugt, dass Merz überzeugt ist, dass es diese Brandmauer nach rechts geben muss. Er lässt es solange laufen, bis es für ihn oder die CDU in Umfragen gefährlich wird. Bisher hat er jedoch nicht offen für eine Kooperation mit der AfD plädiert. Der Lackmustest ist Sachsen, vermutlich auch Sachsen-Anhalt und Thüringen, weil die AfD in diesen Ländern auf über 20, teils 25 bis 30 Prozent kommt. Damit ist die Partei blockadefähig, sofern die CDU sagt, sie arbeite nicht mit der Linken zusammen – selbst nicht mit einer moderaten Linken wie der von Bodo Ramelow in Thüringen. Dann gerät man in die Falle, in der man vor drei Jahren bei der Wahl des Ministerpräsidenten war. Es gibt aber auch in diesen Landesverbänden Kräfte in der CDU, die klar sagen, man müsse die Brandmauer halten. Wenn dann aber keine große Unterstützung aus der Bundespartei kommt und diese sehe ich nicht, dann wird die Brandmauer weiter löchrig.
Ist mit einer Koalition von CDU und AfD in den nächsten Jahren zu rechnen oder zumindest mit der Tolerierung einer Minderheitsregierung durch die AfD?
Bisher sehe ich das nicht, weil es einen Bruch der bisherigen offiziellen und seit Jahren bestehenden Verlautbarungen bedeuten würde. Käme es dazu, würde das zu einem Einbruch der CDU-Anhängerschaft führen. Diese besteht aus einer rechtskonservativen, einer liberalen und einer sozial orientierten Gruppe. Würde man jetzt eine davon klar präferieren, dann ginge ein Riss durch die CDU, der für die Partei gefährlich wäre. Das wird sich Merz gut überlegen. Von seinen Überzeugungen her schließe ich allerdings nicht aus, dass er insgeheim zu so etwas fähig ist.
Warum tun sich liberale Stimme, die es mit Daniel Günther in Schleswig-Holstein oder Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen zweifellos gibt, mit Widerspruch gegen Merz schwer?
Das tun sie nicht. Günther hat mehrfach betont, das ist nicht seine Sprache, die Merz benutzt. Er kritisiert das entschieden und mit Überzeugung. Daniel Günther ist jemand, der einen Kompass hat, der politisch wesentlich liberaler als Merz auftritt. Sowohl Günther wie auch Wüst sind in der CDU sehr anerkannt. Es kann gut sein, dass der nächste Kanzlerkandidat oder die Kandidatin in der CDU noch nicht ausgemacht ist.
Es ist kein wirkliches Geheimnis, dass Merz gerne Kanzlerkandidat werden würde. Ist das Rennen für Sie also noch offen?
Es ist noch nicht geklärt. Das hängt von vielen Faktoren ab, auch davon, wie sich das mit dem Ukraine-Krieg, den sozialen Schieflagen, der Klimakrise und der Integrationsfrage weiterentwickelt. Derjenige in der CDU, der zu diesen Fragen vernünftige Konzepte entwickelt, darauf Antworten findet, die gesellschaftlich mehrheitsfähig sind, hat die besten Karten. Nach allem, was wir jetzt sehen, sind das Daniel Günther und auch Hendrik Wüst.
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