Zweckentfremdeter »Abhörparagraf«

Das Verbot für Aufnahmen von Polizeieinsätzen ist ein internationaler Sonderweg

Die Praxis der deutschen Polizei, Aufnahmen von Polizeieinsätzen mit Verweis auf das Strafgesetzbuch zu untersagen, ist im internationalen Vergleich eher die Ausnahme. Zu diesem Schluss kommt ein Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste im Bundestag, die hierzu 16 Länder betrachtet haben, darunter neben zahlreichen EU-Staaten auch Großbritannien und Israel. Demnach findet sich nur in Portugal und in der Schweiz die Möglichkeit für ein Verbot von Aufnahmen des »gesprochenen Wortes«, wenn sich dieses wie in Deutschland an die aufnehmende Person richtet.

Zur Frage der Dokumentation polizeilicher Maßnahmen existiert in Deutschland inzwischen eine Rechtsunsicherheit. Umstehende wurden schon vor Jahren aufgefordert, Aufnahmen mit Verweis auf das Kunsturhebergesetz zu unterlassen, obwohl dieses nur auf die spätere Veröffentlichung der Bilder zielt. Im Jahr 2015 hatte jedoch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Polizei ihre Maßnahmen nicht mit der bloßen Möglichkeit einer künftigen Strafbarkeit begründen kann.

Seitdem verbietet die Polizei das Filmen häufig nach dem Paragrafen 201 Strafgesetzbuch. Der Paragraf ist eigentlich auf das Abhören vertraulicher Kommunikation gemünzt und schützt die Vertraulichkeit des von anderen Personen nichtöffentlich gesprochenen Wortes. Damit bezieht sich dieser »Abhörparagraf« zwar nicht auf die Erstellung von Videos, jedoch verfügen Kameras an Mobiltelefonen üblicherweise über keine Möglichkeit zur Abschaltung der Tonspur.

In einem eigenen Absatz stellt der Paragraf 201a StGB auch Videoaufnahmen unter Strafe, jedoch ausschließlich, wenn dies in ihrer Privatwohnung ohne deren Zustimmung erfolgt oder Personen in ihrer Hilflosigkeit zur Schau gestellt werden. Verbote von Audioaufnahmen werden indes von der Polizei auch im öffentlichen Raum verhängt.

In Berlin hat sich gegen die willkürliche Anwendung des »Abhörparagrafen« das Bündnis »Go Film The Police« aus 14 Gruppen und Organisationen gegründet. Zu den Initiatoren gehört die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), die das um sich greifende Verbot der Dokumentation entsprechender Vorfälle beklagt. Polizeiliche Maßnahmen im öffentlichen Raum könnten nicht als »nichtöffentlich« verstanden werden, heißt es in einem Offenen Brief. »Daher kritisieren wir die missbräuchliche Anwendung dieses Paragrafen als klaren Versuch, eine kritische Öffentlichkeit und Zeug*innenschaft zu kriminalisieren.«

Einige der ausgesprochenen Verbote wurden bereits vor Amts- und Landesgerichten verhandelt. Dabei ging es vorwiegend um die Frage, wann ein Polizeieinsatz als »nichtöffentlich« zu verstehen ist, obwohl dieser in der Öffentlichkeit erfolgt. In der Rechtsprechung hat sich dazu der Begriff der »faktischen Öffentlichkeit« etabliert. Worte von Polizeibeamten, die jederzeit von weiteren, beliebigen Personen wahrgenommen werden können, fallen demnach nicht unter die Strafvorschrift. Anders verhält es sich mit Gesprächen etwa in Polizeifahrzeugen oder an unbelebten Orten.

Inzwischen haben sich auch zwei Oberlandesgerichte mit der Anwendung des »Abhörparagrafen« befasst, jedoch unterschiedlich geurteilt. Laut einem Beschluss des OLG Zweibrücken sei im dort verhandelten – allerdings sehr speziellen – Fall das Filmen eines Polizeieinsatzes, der sich gegen einen begrenzten Kreis richtete, rechtswidrig gewesen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf betonte demgegenüber, dass die Polizei immer damit rechnen muss, dass ihre Worte zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangen, auch wenn sich diese nur an einen begrenzten Kreis richten. Beide Gerichte verzichten auf grundsätzlich klärende Aussagen zur Rechtsfrage. Dies müsste durch den Bundesgerichtshof erfolgen.

Wie in Deutschland ist in vielen anderen Ländern die spätere Veröffentlichung audiovisueller Aufnahmen ebenfalls unzulässig. Derartige Straftatbestände existieren laut dem Bundestagsgutachten etwa in Finnland, Österreich und Schweden. Demgegenüber kann in Norwegen die Veröffentlichung zulässig sein, wenn dies für »Zwecke der öffentlichen Kontrolle von Polizeihandlungen« erfolgt, heißt es in der Ausarbeitung.

Ein solches Schlupfloch lässt auch der deutsche Paragraf 201 zur »Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes«. Demnach ist die Veröffentlichung der Aufnahmen nicht rechtswidrig, »wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird«. Ob die Dokumentation eines rechtswidrigen Polizeisatzes ein solches öffentliches Interesse darstellt, obliegt jedoch in der Praxis oft der Willkür der eingesetzten Polizeibeamten.

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