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Bauchschmerzen bleiben
Das Ende der Isolationspflicht ist riskant, meint Marten Brehmer
Als vor knapp drei Jahren die Pandemie begann, hatte ich wie viele andere die Hoffnung, dass am Ende von Corona eine riesige Party stehen würde. Nach der entbehrungsreichen Zeit der sozialen Distanz würde es ein großes Gruppenkuscheln geben, niemand bräuchte sich mehr Sorgen wegen geteilter Biere und Zigaretten zu machen. Karl Lauterbach würde erst mit großem Knall das Ende der Pandemie verkünden und dann eigenhändig ans DJ-Pult im Darkroom treten, um die Menschen mit drückenden Beats zum langersehnten Nahtanz zu animieren.
So kam es nicht. Still und leise geht die Pandemie – zumindest aus staatlicher Sicht – zu Ende. Dass nach mehr als 1000 Tagen die Maskenpflicht in Bus und Bahn endet, ist den meisten Zeitungen nur eine Meldung wert. Die Menschen treiben andere Sorgen um. Im 24. Jahr des neuen Jahrtausends fürchten sie sich nicht mehr vor dem Erstickungstod, sondern vor einem Atomkrieg. Angesichts der mehr als 5000 Berliner Familien, die um einen Angehörigen trauern, der ihnen von Corona genommen wurde, wäre großes Jubeln wohl auch pietätslos.
Bauchschmerzen bleiben ohnehin. 100 Menschen sterben bundesweit täglich an Corona. Anders als vor drei Jahren gibt es heute Impfstoffe und Medikamente. Aber: Die Gefahr neuer Varianten wird es weiter geben.
Mitte Februar soll jetzt die Pflicht enden, sich bei einer Infektion in Quarantäne zu begeben. Die Senatsverwaltung setzt stattdessen auf Eigenverantwortung. Das hinterlässt ein ungutes Gefühl, wenn wir uns daran erinnern, wie leichtfertig nicht wenige Mitbürger in den Pandemie-Jahren mit dieser Eigenverantwortung umgegangen sind. Und berechtigte Sorgen: Wie soll ohne Isolation die Verbreitung des Virus in Grenzen gehalten werden? Werden Arbeitgeber es jedes Mal akzeptieren, wenn sich Mitarbeiter bei einer Corona-Infektion isolieren wollen? Was ist mit prekär Beschäftigten, die sich keine »freiwillige« Quarantäne leisten können? Corona wird dann noch mehr als bisher zu einer sozialen Frage – und die große Party findet nicht für alle statt.
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