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Rishi Sunak, der Zauderer
Großbritanniens neuem Premierminister fehlt es an Entscheidungsstärke
Eigentlich wollte Rishi Sunak am Montag über das Gesundheitssystem reden. Genauer gesagt über seinen Rettungsplan für die Notfallmedizin, den er an dem Tag vorstellte – mehr Spitalbetten, mehr Ambulanzen. Aber stattdessen sprachen alle über den jüngsten Regierungsskandal, der dem Premierminister Kopfschmerzen bereitet.
Am Sonntag hatte Sunak den Kabinettsminister und Tory-Parteivorsitzenden Nadhim Zahawi gefeuert. Wochen zuvor war bekannt geworden, dass dieser eine saftige Summe an Steuern nachzahlen musste, inklusive Strafgeld. Weil er in Bezug auf seine Steuerprobleme nicht genügend transparent gewesen war, hatte er sich mehrerer schwerer Verstöße gegen den Ministerialkodex schuldig gemacht – so das Fazit des regierungseigenen Ethikberaters.
Der Entscheid, Zahawi kurzerhand zu schassen, war denn auch konsequent. Aber noch scheint die Affäre nicht vorbei. Oppositionspolitiker und Journalisten hatten am Montag weitere Fragen: Hätte Sunak seinen Minister nicht schon viel früher feuern sollen? Wieso hatte er ihn im vergangenen Herbst überhaupt ernannt, zumal er offenbar über die Steuerprobleme Bescheid wusste?
Die Episode verweist auf einige grundlegende Probleme, mit denen Sunak hadert. Die Bilanz seiner ersten drei Monate in der Downing Street ist eher bescheiden. Zwar hat es es geschafft, der Tory-Regierung einen Anstrich von Nüchternheit und Seriosität zu verleihen – Eigenschaften, die man unter seinen Vorgängern Boris Johnson und Liz Truss schwer vermisst hatte. Aber darüber hinaus hat Sunak wenig vorzuweisen. Er bleibt zögerlich und blass, hangelt sich von Woche zu Woche und hinkt dem politischen Geschehen hinterher, statt eine klare Strategie zu verfolgen. Antworten auf die großen Probleme des Landes scheint er nicht zu haben. Zum Beispiel beim Gesundheitssystem NHS, das laut Insidern kurz vor dem Kollaps steht. Gemäß Sunaks Notfallplan werden in den kommenden zwei Jahren 800 zusätzliche Ambulanzen unterwegs sein, zudem werden 5000 Krankenhausbetten aufgestellt. Aber Sunaks Vorstoß sei wohl »zu wenig, zu spät«, urteilt das Institute for Government in einem neuen Arbeitspapier; eine langfristige Lösung müsse her, um Geld- und Arbeitskräftemangel zu beheben. Anfang Januar konnte sich Sunak nicht einmal dazu durchringen, einzuräumen, dass der NHS in der Krise steckt.
Auch in der Krise der Lebenshaltungskosten, die den Hintergrund bildet zur größten Streikbewegung seit langer Zeit, agiert Sunak unbeholfen. Obwohl Statistiken zeigen, dass Lohnabhängige im öffentlichen Sektor am meisten unter den steigenden Kosten leiden, weigert sich Sunak, Lohnverhandlungen zu eröffnen. Es ist kein Geld da und basta, lassen seine Minister verlauten. So weiten sich die Arbeitskämpfe immer weiter aus. Am Mittwoch traten erstmals mehrere hunderttausend Lehrer in den Ausstand, zusammen mit Eisenbahnangestellten und Uni-Dozenten. Es wurde der größte Streiktag seit Jahrzehnten.
Dass Sunak oft zögerlich vorgeht, ist auch den parteiinternen Flügelkämpfen geschuldet. Um zum Beispiel die Wirtschaft auf Vordermann zu bringen, wäre mehr Einwanderung nötig; aber politisch kann sich Sunak kaum darauf einlassen, denn für viele Parteikollegen hat die Beschränkung der Einwanderung höchste Priorität. Andere Tories fordern dringend Steuersenkungen, um das Wachstum anzukurbeln. Aber Sunak sagt: Angesichts der Lage der öffentlichen Finanzen ist das nicht drin. »Auf der einen Seite verstehe ich, dass er sich nicht konstant Gefechte mit seinen Abgeordneten liefern will«, sagte ein anonymer Tory-Hinterbänkler gegenüber der »Huff Post«. »Aber wir sind jetzt in einer Situation, wo wir nicht wissen, wofür die Regierung steht.«
Dazu kommen mehrere Skandale und Affären, die immer wieder die Schlagzeilen beherrschen. Nadhim Zahawi ist bereits der zweite Minister, den Sunak in den ersten 100 Tagen verloren hat. Bald könnte noch ein Dritter hinzukommen: Justizminister und Vizepremier Dominic Raab, gegen den eine Untersuchung wegen Mobbing läuft. Gerade für Sunak, der sich als Saubermann verkauft, sind solche Affären überaus schädlich.
Was den Tories vor allem Kopfschmerzen bereitet: Ihre Umfragewerte bleiben mies, die Partei hinkt rund 20 Prozentpunkte hinter der Labour-Partei her. In Westminster kommt man zunehmend zu dem Schluss, dass Sunak keine Erneuerung der Tory-Partei bewerkstelligen kann, sondern vielmehr dazu da ist, ihren Niedergang zu verwalten. Ein Sieg der Labour-Partei bei den nächsten Wahlen wird von den allermeisten erwartet.
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