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Sicherheit ohne Polizei
Proteste gegen soziale und Klima-Ungerechtigkeit werden zunehmend kriminalisiert, meint Lakshmi Thevasagayam nach der Räumung von Lützerath.
Lützerath mag zerstört sein – der bittere Gewinn für die Klimagerechtigkeitsbewegung jedoch ist, dass die Politik, der »Rechtsstaat« und die das Gewaltmonopol innehabende Polizei ihr hässliches Gesicht und ihre untrennbare Liaison mit profitgierigen Megakonzernen wie RWE der gesamten Welt offenbart haben.
Trotz der unklaren Faktenlage und der Grundrechtsverletzung durch die jahrzehntelange Politik gegen den Klimaschutz im Rheinischen Braunkohlegebiet spielen Grüne & Co. treu an der Seite von RWE den Verrat an der Menschheit weiter. Die Perversität dieser Regierung, die sich mit einem 1,5-Grad-Programm wählen ließ, personifizierte sich im Großaufgebot einer Polizei, die mit hastigen und lebensbedrohlichen Mitteln den Rekord für die schnellste Räumung für einen Privatkonzern aufstellen wollte. Die Gewalt spitzte sich bei der Großdemo mit über 35 000 Menschen zu, wo ein Großteil sich entschloss, in Richtung Lützerath zu gehen. Die Gewalt, auf die sie trafen, war für viele gut situierte weiße Menschen die erste Erschütterung ihres Bildes über die Polizei. Das erste Mal, dass Diplomingenieur Felix oder Kindergärtnerin Sabrina zur Zielscheibe von Fäusten im Gesicht, von Knüppeln und Pfefferspray wurden. Das, was für rassifizierte und andere marginalisierten Menschen in Deutschland potenziell tödliche Realität ist, wurde in Lützerath klar: Die Polizei sorgt nicht für die Sicherheit der Menschen, sie sorgt für die Sicherheit des Staates. Und der Staat schützt zuallererst die Profite von Konzernen wie RWE statt die Rechte eines jeden Menschen.
Es ist kein Zufall, dass in Zeiten der multiplen Krisen im Globalen Norden die Kriminalisierung und die Gewalt durch die Polizei gegen Menschen, die sich gegen eine profitorientierte Staatsform und für ihre Rechte organisieren, steigt. Nach Lützerath sind der Fechenheimer Wald in Hessen und der Heidebogen-Wald in Sachsen von der Räumung bedroht – in Hessen im Auftrag des Bundes, bei wieder schwarz-grüner Landesregierung. Statt Tempolimit noch mehr Autobahn, statt konsequenter Klimapolitik Schutz der Autolobby. Auch in Atlanta in den USA wurde ein Park verteidigt, damit er nicht für ein Polizeitrainingszentrum zerstört wird. Die massiv militarisierte Polizei in den USA stürmte am 18. Januar den Park und eröffnete das Feuer. Manuel »Tortuguita« Páez Terán, ein Aktivist für Klimagerechtigkeit, wurde durch diese Schüsse ermordet.
Doch nicht nur Klimaaktivist*innen, die für das Recht auf eine intakte Umwelt und Gesundheit kämpfen, erleben eine zunehmende Kriminalisierung – auch Arbeiter*innen, die ihr Recht auf Streik wahrnehmen. Großbritannien erlebt eine der größten Protestwellen seiner Geschichte. Gesundheitsarbeitende, Lehrer*innen, der Transportsektor und viele mehr kämpfen gegen jahrzehntelange Sparpolitik. Die Antwort der Regierung Sunak: ein Anti-Streik-Gesetz. Laut Amnesty International schränkt es internationale Arbeiternehmer*innenrechte ein, z.B. die Notdienste in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber zu verhandeln, und macht Strafen an die Gewerkschaft möglich, wenn die vom Staat vorgeschriebenen Regeln nicht eingehalten werden. In Frankreich waren über eine Million Arbeiter*innen auf der Straße, um gegen Macrons Rentenaltererhöhung zu protestieren. Dabei kam es zu gewaltvollen Ausschreitungen; einem Mann musste der Hoden amputiert werden, weil er von der Polizei in den Schritt geschlagen wurde.
Die Polizei hat jetzt schon angesagt, mit noch mehr Gewalt gegen unseren gemeinsamen Protest für eine klimagerechte Welt durchzugreifen. Um uns erfolgreich zu organisieren, müssen wir den Polizeiapparat abschaffen, um kollektive Strukturen aufzubauen, die uns, den Menschen, die sich für unsere Rechte einsetzen – egal ob an der Tagebaukante, am Streikposten oder an den Grenzen Europas – Sicherheit geben.
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