Brückenbau zu Berlin

Während die Parteien über den Weiterbau der A100 streiten, ist die Autobahn im Westen der Stadt ein Sanierungsfall

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 6 Min.
Aus eins werden zwei: Der Siegerentwurf für den Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke für die A100 im Westen Berlins.
Aus eins werden zwei: Der Siegerentwurf für den Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke für die A100 im Westen Berlins.

Berlins Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) wird an diesem Sonntag auf einer Demonstration gegen den Weiterbau der Stadtautobahn A100 über Treptow hinaus anradeln. Die Linksfraktion im Bundestag hat das Milliardenprojekt durch Friedrichshain nach Lichtenberg und Prenzlauer Berg in der kommenden Woche auf die Tagesordnung im Plenum gesetzt. Anwohnerinitiativen, Diskussionsrunden, parlamentarische Anfragen: Die A100 steht im politischen Wettkampf vor der Berliner Wiederholungswahl richtig weit oben auf der Agenda. Spätestens seit die bundeseigene Autobahn GmbH im Januar den Planungsauftrag für den Weiterbau vergeben hat.

Die politischen Frontverläufe sind weitgehend klar. Auf der Landesebene sind Grüne und Linke gegen den Weiterbau. Bei der SPD ist das Regierungspersonal bekanntlich dem Auto mehr zugeneigt, als es Teile der Basis sind. Bei der CDU hingegen will man dem Autobahnstück mit einer Überdachung und Begrünung das Label »Klimaautobahn« verpassen. Doch Fernstraßen sind nun einmal Sache des Bundes – und hier verantwortet mit Volker Wissing von der FDP ein Autobahnfreund das Bundesverkehrsministerium. Die auch im Bund mitregierenden Grünen werden sich schwerlich durchsetzen können, den Weiterbau aus dem Bundesverkehrswegeplan zu streichen, weil auch die SPD von Kanzler Olaf Scholz daran festhält.

Der Weiterbau ist schon an sich eine Absurdität. Kosten von über einer Milliarde Euro für eine Fortbewegungsart, die bei der Fertigstellung irgendwann in vielen Jahren einen deutlich geringeren Stellenwert haben wird; dazu ein Doppelstocktunnel unterhalb einer Friedrichhainer Wohnstraße, der diese für zehn Jahre »komplett unbewohnbar« machen würde: Allein aus diesen Gründen ist der Weiterbau für Tilman Heuser, Landesgeschäftsführer des Umweltverbands BUND, »ein Wahnsinnsprojekt« und »hoffnungslos anachronistisch«.

Er ist aber auch mit Blick auf den Zustand der A100 im Westen der Stadt aberwitzig. »Schon jetzt verzögern sich überfällige Sanierungsprojekte um Jahre, weil das Personal für Planung, Genehmigungsverfahren und Ausführung an allen Ecken und Enden fehlt«, sagt Heuser. »Dort werden die Kapazitäten benötigt, die mit einem sinnlosen Vorhaben wie der A100-Verlängerung gebunden werden.«

Zum Beispiel für die Westendbrücke in Charlottenburg. »Die Westendbrücke ist so baufällig, dass sie nun schon seit 2017 Stützgerüste hat«, erklärt ein Stadtführer unweit des Bauwerks an einem kalten Samstagmorgen im Januar einer 20-köpfigen Gruppe. Der Wind pfeift ihnen um die Ohren. Es ist nicht die einzige zukünftige A100-Baustelle im Westen Berlins, die sich die Gruppe an diesem Tag anschauen wird. Für mehrere Brücken müssen hier in den kommenden Jahren viele Millionen Euro in die Hand genommen werden.

Die Helle Panke, der Bildungsverein der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, hat zu der Führung eingeladen. Im Sommer gab es bereits einen Spaziergang entlang des 16. Abschnitts der A100. Das Teilstück vom Autobahndreieck Neukölln bis zum Treptower Park befindet sich nach wie vor im Bau. Es ging um all die Gründe, die dagegen sprechen, eine Autobahn durch die Stadt zu schlagen. Um das, was sich auch angesichts der Wohnungsnot auf den etwas über drei Kilometern anstelle einer Asphaltpiste hätte bauen lassen. Und um das, was droht, wenn die Stadtautobahn im 17. Bauabschnitt bis Prenzlauer Berg verlängert werden sollte.

Doch zurück nach Charlottenburg. Die Westendbrücke verbindet seit 1963 auf fast 250 Metern die A100-Anschlussstellen Kaiserdamm und Spandauer Damm. 90 000 Fahrzeuge fahren täglich darüber, seit 2015 nur noch mit 60 Stundenkilometern, um das Bauwerk nicht zu sehr zu strapazieren. Denn die Verkehrsbelastung ist heute deutlich größer als bei der Einrichtung geplant. Die Brücke muss neu gebaut werden, wobei die darunter verlaufende Fern- und S-Bahn-Trasse zur Herausforderung wird. Die bundeseigene Planungsgesellschaft Deges rechnet frühestens 2028 mit einer Fertigstellung. Das Planfeststellungsverfahren steht noch aus. Die sich auf 45 Millionen Euro belaufende Kostenberechnung aus dem Jahr 2021 wird angesichts der explodierten Baupreise bei Freigabe des Neubaus weit übertroffen sein.

Einen Eindruck von den Kostensteigerungen gibt eine aktualisierte Berechnung des Bundesverkehrsministeriums für ein weiteres Bauvorhaben unweit der Westendbrücke. Für den Umbau des Autobahndreiecks Funkturm geht man statt der einst veranschlagten 300 nun von 409 Millionen Euro aus. Bis zur Auftragserteilung der Bauleistungen kann sich das noch mal erhöhen. Auf Anfrage heißt es von der Deges, dass bis dahin noch einige Zeit vergehe und nicht absehbar sei, wie sich der Markt weiterentwickelt. Auch am Dreieck Funkturm das gewohnte Bild: Höhere Verkehrsbelastung als einst angedacht, keine ausreichenden Instandhaltungsmaßnahmen und schließlich 25 Brücken, die erneuert werden sollen. Seit Januar liegen die Planungsunterlagen aus, man hofft trotz drohender Klagen auf einen Baubeginn 2024.

»Wenn ich mir den Fortschritt großer Infrastrukturprojekte anschaue, hoffe ich, dass die neuen Brücken fertig sind, bevor die alten zusammenbrechen«, sagt die ehemalige Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) beim Spaziergang in Westberlin. Der Weg gen Norden durch den Schlosspark Charlottenburg vorbei am S-Bahnhof Jungfernheide und am Spreeufer entlang führt zu einem weiteren Sanierungsfall, der Rudolf-Wissell-Brücke. Auch diese muss – Stand 2021 – für 270 Millionen Euro neu gebaut werden.

Die Sanierung könnte nicht nur den Ist-Zustand sichern, mit ihr droht auch ein Ausbau der Autobahn. Um den Neubau durchführen zu können, soll zunächst eine zweite Brücke entstehen, die den gesamten Verkehr in beiden Richtungen fassen kann. Anschließend wird die alte Brücke überbaut, abgetragen und neu errichtet. Nach der Baufertigstellung hat jede Fahrtrichtung dann eine eigene Brücke. Aus den jetzigen drei Fahrstreifen pro Richtung werden dann vier. Mehr Platz für Autos – das ist nicht nur bei der Verlängerung von Fernstraßen Programm. Wobei der Entwurf eben mit dem gestiegenen Verkehrsaufkommen und der Entlastung der Wohnquartiere vom Ausweichverkehr verteidigt wurde.

Böse Zungen stellen infrage, ob man die Autobahnbrücke überhaupt braucht, um das Umland an Berlin anzubinden, wie es gern heißt. Denn die Rudolf-Wissell-Brücke – die sich, kommt man von Süden, am Jakob-Kaiser-Platz auffädelt in die A100 nach Wedding und die A111 über Reinickendorf zum Autobahnkreuz Oranienburg – ist ja auch eine Asphaltpiste für die Berliner im Nordwesten.

»Wenn sie schon gebaut wird, wollen wir mit dem Rad auch darüber«, sagt Henning Voget vom Radverkehrsclub ADFC Berlin beim Rundgang. Der Ingenieur kritisiert, dass ein Radweg beim Neubau nicht vorgesehen ist. Er hat einen eigenen Entwurf erstellt, nach dem ein solcher abgehängt unterhalb der Fahrbahn verlaufen würde. Noch sei es nicht zu spät, die planerischen Vorbereitungen zu treffen, sagt Voget.

Die Gruppe hat die Rudolf-Wissell-Brücke passiert, an ihrem Endpunkt blickt sie über die Spree auf das, was von der einstigen Siemensbahnbrücke noch übrig ist. Hinter der Gruppe steht eine Informationstafel: 2029, 100 Jahre nach ihrer historischen Inbetriebnahme, soll die neue Siemensbahn vom Bahnhof Jungfernheide bis nach Gartenfeld in Spandau fahren. »Vielleicht in H0«, der Norm für Modelleisenbahnen, wird gescherzt. Denn auch für die Siemensbahn müssen zahlreiche Brücken der Viadukt-Strecke saniert werden, auf der 1980 der Verkehr eingestellt wurde. Darüber hinaus braucht es den Neubau von zehn Brücken zwischen Jungfernheide und der Spreequerung. Doch die Brücken der Bahninfrastruktur sind noch einmal ein Kapitel für sich.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -