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Covid-Pandemie: Gefährliche Normalität

Die Maskenpflicht in Zügen fällt und das RKI ändert seine Risikobewertung

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Robert-Koch-Institut stuft die Gefahr der Covid-Pandemie nur noch als »moderat« ein. Begründet wird die Herabstufung mit einer deutlichen Abnahme schwerer Krankheitsverläufe. Auch gebe es derzeit keine Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems mehr. Die Beschäftigten in Altenheimen und Krankenhäusern könnten hier etwas anderer Meinung sein, erst Mitte Dezember war der Personalmangel beispielsweise an der Berliner Charité wieder so schlimm geworden, dass elektive Operationen abgesagt und Betten gesperrt wurden. 

Auch die Abschaffung der Maskenpflicht in Fernzügen begründete das Bundeskabinett mit der Entspannung der Lage und dem Erfolg der bisherigen Schutzmaßnahmen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rief dazu auf, die Maske freiwillig weiter zu tragen.

Weiterhin müssen Besucher*innen von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Arzt- und Zahnarztpraxen bis zum 7. April, wenn das Infektionsschutzgesetz ausläuft, FFP2-Masken tragen, für den Zutritt zu Kliniken und Pflegeheimen braucht es außerdem einen negativen Schnelltest. In Nordrhein-Westfalen reicht seit Weihnachten ein privat durchgeführter Test, der auch nicht vorgezeigt werden muss – eigentlich reicht es also, zu sagen, man habe sich getestet. 

Die Maskenpflicht für die Beschäftigten in ambulanten medizinischen Einrichtungen haben Bayern und Baden-Württemberg bereits aufgehoben. Wie in einem Domino-Spiel forderten Gesundheitspolitker*innen und Ärztevertreter*innen direkt eine weitergehende Abschaffung der Maskenpflicht und mehr »Eigenverantwortung«. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, der Infektiologe Professor Andrew Ullmann, sprach von einem »folgerichtigen Schritt«, die Pandemie sei vorbei.

Auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, und der Deutsche Hausärzteverband forderten ein Ende der Maskenpflicht in Praxen und medizinischen Einrichtungen. Die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie sprach sich auch für ein Ende der Testpflicht beim Zutritt zu medizinischen Einrichtungen aus. Ausnahmen solle es nur für einzelne Versorgungsbereiche wie etwa die Onkologie oder Transplantationseinrichtungen geben. Auch Gassen hatte argumentiert, nicht in jeder Praxis würden Hochrisikopatient*innen behandelt. Die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Martina Wenker, äußerte hingegen, es sei »mindestens fahrlässig, jetzt das Ende der Hygieneschutzmaßnahmen einzuläuten«.

So müssen Menschen während ihrer Krebserkrankung auch zu anderen Ärzt*innen, und Personen mit transplantierten Organen müssen ihr Immunsystem lebenslang unterdrücken, damit die Organe nicht abgestoßen werden. Diese Personengruppen halten sich also keineswegs nur in der Onkologie oder in Transplantationszentren auf. Die sogenannten Risikogruppen sind überall – und sie können sich nicht selbst schützen. Zu den vunerablen Gruppen gehören unter anderem Rheumakranke, Menschen mit Lungenerkrankungen wie COPD, Diabetiker*innen oder Menschen mit Autoimmunerkrankungen. Auch bestimmte Formen von Long-Covid machen für zukünftige schwere Verläufe verletzlicher. 

Das Ende der Maskenpflicht begründen viele mit dem Ende der Pandemie – Covid sein nun endemisch, die Maßnahmen demnach überzogen. Das sieht die Weltgesundheitsorganisation anders: Die WHO bewertete Ende Januar Covid-19 weiter als weltweiten Gesundheitsnotstand. Zwar geht der WHO-Notfallausschuss davon aus, dass ein Wendepunkt möglicherweise bevorstehe, kritisiert aber, dass weltweit die Überwachung und genetische Sequenzierung abgenommen habe. Dies erschwere die Entdeckung neuer Varianten und die Verfolgung der bereits bekannten. Weltweit wurden nach Angaben der WHO zuletzt rund 6,8 Millionen Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus gemeldet.

Auch in Deutschland liegt die Zahl der gesamten Todesfälle weiterhin deutlich über dem Durchschnitt. Nach vorläufigen Ergebnissen einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes stiegen 2022 die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr um 3,4 Prozent, das sind etwa 35 000 Personen, die der Übersterblichkeit aufgrund des Virus zum Opfer gefallen sind. Im Dezember 2022 lagen die Sterbefallzahlen sogar um 19 Prozent über dem Vergleichswert der vier Vorjahre.

Die niedrige Inzidenz gilt auch als Beleg für eine Abschwächung der Gefahr. Aktuell beträgt der bundesweite Inzidenzwert, also die Sieben-Tage-Inzidenz von registrierten Corona-Infektionen pro 100 000 Einwohner*innen, laut RKI 93, sie ist damit 19  Prozent höher als in der Vorwoche. Allerdings werden viele Corona-Fälle nicht mehr gemeldet und registriert, auch weil Schnelltests mittlerweile nur noch in Ausnahmefällen kostenlos sind. Expert*innen gehen von einer hohen Dunkelziffer aus, etwa, weil die Abwasserwerte teilweise deutlich höher sind. 

Ein Ende Januar veröffentlichtes Preprint verschiedener Wissenschaftler*innen um Madison Stoddard hat modelliert, welche Auswirkungen eine Normalität hätte, in der wir so lebten wie vor der Pandemie. Aufgefrischt Geimpfte hätten demnach im Schnitt 1,4 Covid-Infektionen pro Jahr, 12,5 Prozent von ihnen hätten zu einem beliebigen Zeitpunkt Long-Covid. Die Modelle zeigen, dass es ohne Schutzmaßnahmen zunehmend schwierig wird, sich selbst zu schützen: Kontaktverminderung und die Qualität der Atemluft könnten nicht ausschließlich und ausreichend individuell beeinflusst werden. Die Wissenschaftler*innen rufen dazu auf, eine Maskenpflicht an Orten der Grundversorgung aufrechtzuhalten, um der Bevölkerung eine individuelle Entscheidungsfreiheit in Hinsicht auf mögliche Ansteckungen mit Corona zu ermöglichen.

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