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Klimabewegung: Blockaden, Massen oder Petitionen?
Die Klimabewegung konnte Lützerath zwar nicht retten, ist aber gestärkt aus der Mobilisierung hervorgegangen
Deutschland hat im vergangenen Jahr ebenso viele klimaschädliche Emissionen verursacht wie 2021 und verfehlt damit die ohnehin viel zu niedrigen Minderungsziele des Klimaschutzgesetzes. Ein wesentlicher Grund für die auf hohem Niveau stagnierenden Emissionen ist der verstärkte Einsatz von Kohle- statt Gaskraftwerken zur Stromproduktion.
Im Twitter-Account von Greta Thunberg, dem Gesicht der internationalen Bewegung Fridays for Future (FFF), ist ein Tweet vom November 2021 oben angeheftet. Darin wiederholt die Aktivistin ihre Überzeugung, die Herrschenden könnten sofort damit beginnen, echte Klimapolitik zu betreiben. Dass diese im Zweifel die Interessen eines Konzerns wie RWE mit Polizeigewalt verteidigen lassen, haben in diesem Januar wohl einige Aktivist*innen während der Räumung von Lützerath zum ersten Mal am eigenen Leib erfahren.
Kurz nach der Räumung des Dorfs verlangte Thunberg am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos gemeinsam mit FFF-Mitstreiterinnen Vanessa Nakate (Uganda), Luisa Neubauer (Deutschland) und Helena Gualinga (Ecuador) jedoch nicht etwa, den RWE-Konzern zu enteignen. Nein, man forderte die CEOs von »Big Oil« mit einer Onlinepetition dazu auf, keine weiteren Lagerstätten fossiler Rohstoffe mehr zu erschließen. Sollten sie das ignorieren, werde man auch in Zukunft Massenproteste organisieren.
Solche Aufrufe entspringen wohl nicht der Hoffnung, mächtige Konzernchefs zu beeindrucken, sondern sollen die eigene Basis mobilisieren. Schließlich ist die Klimaschutzbewegung auf öffentlichen Druck zur Erreichung ihrer Ziele angewiesen. Dass seit 2018 aus dem »Schulstreik« einer 16-Jährigen vor dem schwedischen Parlament in Stockholm ein weltweites Netzwerk entstehen konnte, zeigt, dass viele Menschen sich mit den beschönigenden Aussagen von Politiker*innen und Firmen über den Klimawandel nicht mehr abspeisen lassen.
Gleichzeitig zeigt der Hass, der sich auf Frontfrauen der Klimaschutzbewegung wie Thunberg oder Neubauer entlädt: Was sie tun, kann ganz falsch nicht sein. Es fehlt ihnen aber ein Begriff von Gesellschaft und ein Verständnis für die dem Kapitalismus eigenen Produktions- und Akkumulationsprozesse. Ohne echten Streik an den Produktionsorten, ohne enge Bündnisse mit den Lohnabhängigen, mit Handwerker*innen und Kleinbäuer*innen fehlt den Umweltaktivist*innen von Fridays for Future außerdem die notwendige Schlagkraft, um einen nachhaltigen Wandel anzustoßen.
Andere Methoden im Spektrum des zivilen Ungehorsams haben in den vergangenen Jahren Aktivist*innen von Extinction Rebellion und jüngst der Letzten Generation ausprobiert. Dazu zählten unter anderem Blockaden von Straßen und Flugplätzen. Der britische Zweig von Extinction Rebellion will diese Aktionsform künftig jedoch nicht mehr nutzen, da sie wenig verändert habe. Vielmehr wolle man im April 2023 die Parlamentarier*innen in London mit einer geplanten Massendemonstration zu klimafreundlichen Zugeständnissen bringen. Neu ist das nicht, und die Wirkung bleibt fraglich.
Die deutsch-österreichische Gruppe Letzte Generation engagiert sich seit etwa einem Jahr für eine konsequente Klimapolitik, bleibt in ihren Forderungen nach einem Tempolimit für Autobahnen und der Fortführung des 9-Euro-Tickets aber recht bescheiden. Das langfristige Ziel sieht Lilly Schubert, eine der Sprecher*innen der Letzten Generation, in einem demokratischen Umbau der Gesellschaft durch einen sogenannten Gesellschaftsrat, der aus einem per Losverfahren zusammengesetzten Querschnitt der Bevölkerung bestehen solle. Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Migrationshintergrund sollen dabei abgebildet werden. Allerdings räumt sie im Gespräch mit dem »nd« ein: »Niemand von uns weiß, was wirklich was bringt. Ich bin dankbar für jede Person, die sich selbst ermächtigt und etwas gegen die katastrophal unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung unternimmt.« Eigentlich, ist sich Schubert sicher, »wird nur ein starker, vielstimmiger Protest erfolgreich sein«.
Die öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Letzten Generation reizen die Verfechter*innen des Systems bis aufs Blut. Hochgekocht sind die Emotionen wegen der Farb- und Lebensmittelanschläge auf Kunstwerke. Keines davon wurde beschädigt, alle befanden sich hinter Glas, hier und da hat ein Rahmen etwas abbekommen und musste ausgewechselt werden. »Wir bleiben beim zivilen Widerstand, wir bleiben bei der Störung des Alltags, und wir werden das auf ganz Deutschland ausweiten«, sagt Schubert. Die Gewaltfantasien und tätlichen Angriffe gegen die Aktivist*innen stehen dabei in keinem Verhältnis zum entstandenen »Schaden«.
Auch die Reaktionen der bürgerlichen Presse zeigen: Eine Sitzblockade auf der Straße ist nicht nur ein Angriff auf den motorisierten Individualverkehr und die falschverstandene »Freiheit« der Autofahrer*innen, sondern wird gleichsam als Angriff auf die petrochemische Industrie und letztlich auf die gesamte, auf der Ausbeutung insbesondere fossiler Rohstoffe beruhende kapitalistische Wirtschaftsordnung verstanden.
Auf den Zusammenhang von Kapitalismus, Kolonialismus und Klimakrise machen die europaweit vernetzten Aktivist*innen von Ende Gelände immer wieder aufmerksam. Der Berliner Verfassungsschutz empörte sich 2019, dass diese »die Klimakrise zu einer Krise des politischen Systems zuspitzen« würden. Das Aktionsbündnis ist Teil der Anti-Kohle-Bewegung und ist anders als die gemäßigteren Teile der Klimaschutzbewegung wie Fridays for Future eher linksradikal orientiert. Die Aktionen um die Lützerath-Räumung haben gezeigt, dass linksradikale Aktivist*innen die Klimabewegung nicht unterwandern, sondern Teil von ihr sind. Appellen an Regierende erteilt das Bündnis eine klare Absage. Luka Scott, ein*e Sprecher*in des Bündnis, erklärt im Interview mit »nd«: »Bewegung findet immer im außerparlamentarischen Raum statt. Am Ende brauchen wir einen radikalen Systemwandel, und der kommt von unten.« Außerdem werde der Wandel von einer globalen Bewegung, die sich aus verschiedensten sozialen Akteur*innen und Aktivist*innen zusammensetze, mit je unterschiedlichen Mitteln gegen die Herrschaftsinteressen erkämpft werden müssen. »Das bewusste Ineinandergreifen verschiedener Aktionsformen und die riesige Bereitschaft zu zivilem Ungehorsam während der letzten Räumungstage von Lützerath haben eine neue Qualität.« Daran müsse die Bewegung in Zukunft anknüpfen.
Zu den Aktionsformen von Ende Gelände zählen seit dem vergangenen Jahr auch gezielte Sabotageakte gegen Maschinen und Technik. Für die Aktivist*innen rechtfertigen die ausbleibenden Maßnahmen, um den Klimawandel auch nur zu verlangsamen, Sachbeschädigung als legitime Protestform. So gelang es Aktivist*innen im Sommer 2022 auf den Baustellen für Flüssigerdgas-Terminals in Wilhelmshaven, Scheinwerfer und Lkw-Reifen unbrauchbar zu machen. Solche Störungen des Betriebsablaufs verzögern die Kapitalverwertung zumindest für einen Moment.
Der verlorene Kampf um Lützerath hat vielen Aktivist*innen die Augen geöffnet: Auch von grünen Politiker*innen ist wenig zu erwarten in Sachen Umwelt- und Klimaschutz. Grünen-Mitglied Luisa Neubauer hat dort »ein Vorgehen von den Grünen erlebt, das wir der Partei nicht zugetraut hätten. Das hat uns entsetzt«, sagte sie im »Spiegel«-Streitgespräch mit der grünen Fraktionschefin im Bundestag, Katharina Dröge. Trotzdem wolle sie weiter den Dialog suchen. Die Genoss*innen vom Aktionsticker Lützerath zogen Ende Januar bei Twitter deutlicher Bilanz: »Auch die Grünen haben uns als Klimabewegung verraten. #Lützerath ist geräumt, der Kampf geht weiter! Parteien sind keine Verbündeten. Auch beim Kohleausstieg: Alles muss man selber machen.« Wie dieses Selbermachen aber so funktionieren soll, dass die Verschlimmerung der Klimakrise verhindert werden kann, das bleibt weiterhin offen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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