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»Der mediale Diskurs ist überhitzt«
Bewegungsforscher Sebastian Koos über Strategien der Klimabewegung und ihre Wahrnehmung
Lützerath war das Symbol des 1,5-Grad-Ziels. Das klang so, als hätte man bei erfolgreicher Verteidigung den Klimawandel stoppen können. Welche Macht kann eine Bewegung haben?
Sebastian Koos ist Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Soziale Bewegungen am Exzellenzcluster »The Politics of Inequality« und am Fachbereich Soziologie der Universität Konstanz. Er forscht unter anderem zu Klimaprotesten in Deutschland und im Globalen Süden.
Anders als wir denken, ist die Macht von sozialen Bewegungen häufig begrenzt. Man kann durchaus kurzfristig Einfluss haben, aber der Politikwandel, den eine Bewegung versucht voranzutreiben, vollzieht sich meist nur langsam. Im Jahr 2019 etwa hatten wir eine sehr gelungene Mobilisierung zum Thema Klima, die im politischen Diskurs einen Unterschied gemacht hat.
Sie meinen Fridays for Future (FFF).
Genau. Das war ein sehr großer Erfolg. Soziale Bewegungen können es schaffen, bestimmte Themen auf die politische Agenda zu setzen, aber haben häufig deutlich weniger Einfluss darauf, wie die Dinge dann politisch verhandelt und entschieden werden.
Was könnte denn konkret von Lützerath bleiben? Ein weiteres Dorf in Deutschland, das der Kohle weichen soll, Mühlrose in der Lausitz, hat noch Chancen aufs Überleben. Vielleicht gibt es kein »nächstes Lützerath«.
Es ist schon ein Erfolg, wenn Lützerath der letzte Ort wäre, der abgebaggert wird. Gleichzeitig ist es für die Umweltbewegung und auch für die Grünen ein Menetekel, das sicherlich nachhaltig Symbolcharakter haben wird. Lützerath ist für mich wie ein Gletscher, der verschwindet. Nur ist in diesem Fall der menschliche Einfluss direkt zu beobachten. Es ist ein starkes Bild, dass man hier buchstäblich die Erde verbrennt. Ein Problem wird sein, nach großen Erwartungen mit der »Niederlage« umzugehen. Das hatte die Klimabewegung schon einmal, 2009 in Kopenhagen: Die dortige Klimakonferenz war eine Riesenenttäuschung und der »Climate March« endete mit Hunderten von Festnahmen.
Aus Lützerath wurde berichtet, dort hätten erfahrene Aktivist*innen, jüngere Aktivist*innen sowie Anwohner*innen aus der Region zusammengearbeitet. War das eine Besonderheit?
Meistens sind soziale Bewegungen heterogener und bunter, als wir denken. Bei den großen Demonstrationen sehen wir, dass sich unterschiedliche Gruppen bewusst zusammenschalten. Oder dass ein Bündnis über die Zeit relativ organisch erwächst. In dem Fall haben verschiedene Gruppen versucht, an einem Strang zu ziehen, sinnvollerweise. Dass sich etwa Fridays for Future von den existierenden Bewegungen oder Parteien distanziert, um die eigenen, sehr authentischen Forderungen zu stellen, ist vorbei. Man hat gemerkt, man muss mit anderen zusammenarbeiten.
Insbesondere Fridays for Future wurde vorgeworfen, hauptsächlich die weiße Mittelschicht zu vertreten. Warum ist das so?
Bewegungen repräsentieren nie die gesamte Gesellschaft. Nach unseren Studien sind es meistens besser gebildete Menschen, die aktiv sind. Auch bei den Querdenkern waren überproportional besser gebildete Menschen dabei, anders, als viele vielleicht vermutet hätten. Ein gewisses Wissen mitzubringen ist wichtig, aber auch der Glaube an die Selbstwirksamkeit. Man muss sich Verständnis für einen politischen Prozess zutrauen, um zu sagen: Hier kann ich was bewegen. Im Diskurs um die Klimaaktivisten von der Letzten Generation habe ich mehrfach gehört, dass die doch überwiegend aus behüteten, wohlhabenden Verhältnissen kommen und dann der Mehrheit sagen wollen, wie sie zu leben hat. Das sehe ich anders, aber zum Teil wird das als moralische Bevormundung empfunden, die durchaus Reaktanz auslöst, also eine Art Trotzreaktion.
Ist es eine Generationenfrage, ob man sich eher der Klima- oder der klassischen Umweltbewegung zugehörig fühlt? Also, die Jüngeren beschäftigen sich automatisch mit dem Klima und die Älteren kommen aus einer anderen Tradition und arbeiten inzwischen in einer NGO?
Die Klimabewegung ist spezifischer im Problemzuschnitt, die Umweltbewegung breiter orientiert. Letztere hat eine längere Geschichte. Mit mittlerweile großen, mitgliederstarken Organisationen und den Ressourcen auf verschiedene Weise, beispielsweise über Expertisen, Kampagnen oder über Gerichte, Einfluss zu nehmen. Aber auch die Klimabewegung ist älter als FFF, die gab es auch schon vor 20 Jahren. Nur hat sie einen großen Aufschwung erfahren und ein neues Gesicht. Für die jungen Aktivist*innen sind die älteren Strukturen nicht unmittelbar attraktiv. Gleichzeitig waren Initiativen wie Greenpeace oder BUND von Anfang an bei den Demonstrationen von FFF dabei, haben mit mobilisiert und waren auch medial präsent. Mit der Zeit ist das zusammengewachsen. Spezifische Taktiken, wie beispielsweise die Blockaden der Letzten Generation, bleiben meist auf eine Gruppe beschränkt. Vielleicht kann jetzt nochmal eine neue Koalition entstehen, weil man sich auf »Lützerath bleibt« leichter einigen konnte als auf die Ausgestaltung der Energiewende.
Wenn Greta Thunberg sagt, dass Atomkraftwerke nicht so schlimm sind wie Kohlekraftwerke, kriegen ältere Umweltaktivist*innen wahrscheinlich die Krise.
Das sehen wir schon bei den Grünen, dass die Debatten von Jung und Alt sehr unterschiedlich sind. Also zwischen den Generationen, die sich sehr stark an der nuklearen Frage abgearbeitet haben, und denen, die dazu ein anderes Verhältnis haben.
Lange Zeit hörte man von Greenpeace wenig, obwohl sie einst für aufsehenerregende Aktionen bekannt waren. Gerade diese Woche haben Aktivist*innen von Greenpeace eine Bohrinsel von Shell im Atlantik besetzt. Interessant ist, dass das derzeit kaum wahrgenommen wird. Und dass man bei Ölplattformen inzwischen weniger an Tankerhavarien und ölverschmierte Enten denkt als daran, dass fossile Energien dem Klima schaden.
Die verhinderte Versenkung der Plattform Brent Spar 1995 war seinerzeit eine Art Durchbruch für Greenpeace. Aktivist*innen experimentieren mit bestimmten Aktionsformen und daraus ergibt sich dann ein bestimmtes Repertoire. Dass der Schulstreik so erfolgreich sein würde, konnte man nicht vorhersehen. Die Letzte Generation will mit Straßenblockaden große Wirkung erzielen. Dabei zielen Aktionen zivilen Ungehorsams immer auf die öffentliche Meinung. Im Hinblick darauf scheinen mir die Straßenblockaden aktuell nicht mehr zu funktionieren. Bewegungen suchen nach Aktionsformen, die eine Strahlkraft entfalten könnten. Das ist schwer. Die Bewegungsforschung zeigt, dass man sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen muss.
Extinction Rebellion hat zumindest in Großbritannien die Strategie geändert, weg von Aktionen, über die sich alle aufregen. Gleichzeitig versucht hier die AfD, Klima-Terrorismus herbeizureden. Ist das ein normaler politischer Prozess, durch den eine Bewegung durch muss?
Soziale Bewegungen haben meist einen gewissen Lebenszyklus, in dem es zu einer Ausdifferenzierung kommt. Manche der Teilnehmenden ziehen sich wieder zurück, andere, meist eine Minderheit, können sich radikalisieren. Derzeit stellt sich die Frage, wie stark die Radikalisierung tatsächlich ist. Ich habe das Gefühl, der mediale Diskurs ist da etwas überhitzt. Studien aus Großbritannien und den USA kamen zu dem Ergebnis, extreme Aktionen können einen positiven Effekt auf das Klimabewusstsein in der Bevölkerung haben. In meiner Wahrnehmung lässt sich das nicht so leicht auf den deutschen Kontext übertragen. Die Leute scheinen eher genervt, auch wenn man eigentlich eine breite Basis hatte. Man weiß, dass es gerade bei Menschen, die sich als politische Gegner positionieren, beispielsweise AfD-, aber auch CDU-Wähler*innen, Wahrnehmungsverzerrungen gibt, sie nehmen Aktionen zivilen Ungehorsams als viel gewalttätiger wahr als sie sind. Das kann zu einer weiteren Abnahme der Unterstützung führen.
Früher sind aus Bewegungen Parteien entstanden, zumindest eine große, die jetzt ein bisschen untendurch ist bei der Bewegung. Nun gibt es aber die Klimaliste. Hat so eine Partei eine Chance, die eigentlich fast das Gleiche sagt wie die Bundesregierung, nur glaubwürdiger?
Ich glaube nicht. Da gibt es kein Vakuum, keine Lücke, die sie füllen könnte, weil das Feld mit den Grünen schon besetzt ist und sich auch andere Parteien den Klimaschutz auf die Fahnen schreiben.
Was können die Klimaschützer*innen also machen? Klebeaktionen gehen nach hinten los, Lützerath ist vorbei und eine neue Partei hat keine Chance. Muss mehr Angst geschürt werden vor dem Klimawandel? Die Anti-Atombewegung war ihrerzeit erfolgreich, weil alle Angst hatten.
Emotionen sind wichtig, aber Angst und auch Wut tragen selten zu einer konstruktiven Lösung bei. Was ich bei FFF überzeugend fand, man war sehr authentisch und hat die negativen Botschaften positiv verpackt: Wir wollen eine Zukunft, und darum geht es. Insgesamt glaube ich, dass man die ganze Bandbreite an Engagement benötigt. Und Geduld, auch wenn wir nicht viel Zeit haben. Es gibt viele Aktionsformen, die legitim sind – auch ziviler Ungehorsam –, sie müssen nur die Leute erreichen. Gleichzeitig glaube ich, dass die Aktivist*innen den klassischen Weg in die Parteien, ins politische System, gehen müssen. Auch wenn das frustrierend sein kann.
Gerade im Regionalen gibt es oft diese Widersprüche zwischen Umwelt- oder Landschaftsschutz und Klimaschutz. Zum Beispiel Windräder, die Fläche brauchen und Vögeln und Fledermäusen schaden. Sind diese Konflikte lösbar, ist es trotzdem ein Ansatz, lokal zu agieren?
Auf jeden Fall. Bei uns in Konstanz wurde früh der Klimanotstand ausgerufen, aber die lokale Politik hat trotzdem sehr wenig gemacht, und da ist man immer wieder ran. Man kann gerade im Kleinen leichter Einfluss nehmen. In der Summe ergibt das dann doch eine wichtige Veränderung.
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