- Berlin
- Ankunftszentrum Tegel
Flucht aus der Ukraine: Im Ankunftszentrum ist Ankommen unmöglich
Im Aufnahmezentrum Tegel leben Geflüchtete wochenlang auf 2,6 Quadratmetern pro Person
Zwischen Hauptbahnhof und Kanzleramt liegt eine Bushaltestelle. Ein Shuttlebus fährt von hier aus im Halbstundentakt zum Ukraine-Ankunftszentrum im früheren Flughafen Tegel. Mehrere Mitarbeiter*innen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) stehen dort und zeigen den Ukrainer*innen den Weg. Aber es gibt kein Bushäuschen, wo man sich unterstellen könnte. Als »nd« das Ankunftszentrum besuchen möchte, fällt gerade ein Bus aus. Ältere Menschen, eine Mutter mit Kind und das DRK-Personal stehen im strömenden Regen. Niemand weiß genau, wann der Bus kommt. Erst nach einer halben Stunde können sie in den Shuttle einsteigen.
Anders als mit einem Shuttlebus kann man das Ukraine-Ankunftszentrum nicht erreichen. An der Tür zum früheren Flughafengebäude sortieren Security-Mitarbeiter die Angekommenen: Wer hier schon wohnt, wird eingelassen. Neuzugang wird zur Registrierung geleitet. Besucher*innen bekommen nur mit einem Termin Einlass.
Das Ankunftszentrum wurde vergangenes Jahr eingerichtet, um Geflüchtete aus der Ukraine zu registrieren und sie anschließend in andere Bundesländer zu verteilen. Bis die Busse nach Hamburg, Gießen oder Chemnitz abfuhren, schlief man eine Nacht in Tegel. Inzwischen haben sich die Bedingungen geändert: Von den rund 100 Ukrainer*innen, die jeden Tag neu ankommen, bleiben die meisten in Berlin. Das erzählt Regina Kneiding, Sprecherin des Berliner Landesverbandes des DRK. Weil es zu wenige Unterkünfte in der Stadt gebe, müssten sie Wochen auf dem Flughafengelände zubringen. Derzeit seien von den 2500 Schlafplätzen 2100 belegt. Diese Woche wird die Ankunft afghanischer Ortskräfte erwartet. Und auch die müssen zunächst in Tegel unterkommen.
Die Wohnbedingungen erinnern an die Turnhallen, in denen Berlin 2015 Asylbewerber*innen unterbrachte. Eine Leichtbauhalle, die zum Teil aus Zeltplanen besteht, bereitet das DRK gerade für die Afghan*innen vor. 400 Menschen sollen in dem Großzelt mit Stahleingang unterkommen. In jeder Kabine müssen 14 Personen in Doppelstockbetten schlafen. Die Betten sind so dicht übereinander, dass erwachsene Menschen auf dem unteren Bett nicht einmal sitzen können. Stühle gibt es nicht. Die Kabine ist nur durch einen Vorhang vom Gang getrennt. Türen erlauben die Brandschutzbestimmungen nicht, erläutert Kneiding. Denn im Brandfall könnten 14 Menschen die Minikabine sonst nicht schnell genug verlassen.
Die 14 Personen teilen sich zwei Regale für ihre persönliche Habe. Im Nachbarzelt, in dem man essen und sich waschen kann, steht jedem ein Spind für Wertsachen zur Verfügung – Spinde wie in Schwimmhallen. Wer direkt im Flughafengebäude schläft, hat nicht einmal so einen Spind. »Wir sind eine Notunterkunft«, sagt Regina Kneiding. »Die Standards für Gemeinschaftsunterkünfte können wir hier nicht erfüllen.« In einer Gemeinschaftsunterkunft stehen einem Menschen gesetzlich mindestens 6 Quadratmeter Wohnraum zu und ein eigener Schrank. Der Berliner Flüchtlingsrat hat errechnet, dass ein Bewohner in Tegel mit 2,6 Quadratmetern Wohnraum auskommen muss.
An diesem Mittag gibt es in der Kantine Kartoffelsuppe in Plastikbechern und dazu Baguette. Ein Wahlessen, das man bei mehr als 2000 Personen dem Caterer durchaus zumuten könnte, ist nicht vorgesehen. Die Menschen sitzen an den Tischen und löffeln ihre Suppe.
Geradezu vorbildlich ist die medizinische Versorgung in Tegel. Rund um die Uhr arbeiten Sanitäter*innen, tagsüber auch Ärzt*innen. Von Infekten über Hauterkrankungen, Lähmungen bis zu schweren Kriegsverletzungen reiche das Spektrum, das man behandele, sagt eine Ärztin. Oft würden die Geflüchteten nach der Erstuntersuchung an Fachärzte überwiesen oder ins Krankenhaus gebracht. Aber es gebe auch Pflegefälle, gebrechliche Menschen und schwangere Frauen, die in den Minikabinen schlafen müssen. Die hohe Zahl älterer, schwer kranker Menschen unter den Ukrainer*innen ist für Berlin eine neue Erfahrung. Aus anderen Krisengebieten haben es solche Menschen selten bis nach Deutschland geschafft.
Der Berliner Flüchtlingsrat kritisiert, dass die Stadt das Ukraine-Ankunftszentrum abschottet. Die Nichtregierungsorganisation kam nur im Rahmen einer geplanten Tour hinein; Kontakte zwischen Bewohner*innen und Besucher*innen oder Ehrenamtlichen sind nicht vorgesehen. »Aus Sicherheitsgründen müssen wir ja wissen, wer hier drin ist. Aber über Zugang zu Ehrenamtlern sollten wir noch einmal nachdenken«, sagt Regina Kneiding dazu.
Besucher*innen könnten auch für eine besser ausgestattete Kleiderkammer sorgen. Dringend gebraucht werden Unterwäsche, Schuhe und Winterjacken, sagt eine Mitarbeiterin. Aber wie sollen Bürger*innen Kleidung vorbeibringen, wenn sie auf einen unregelmäßigen Shuttelbus angewiesen sind und dann nicht auf das Areal gelangen?
Kinder, die hier wohnen, werden noch nicht zur Schule angemeldet, sagt Regina Kneiding. Das verstößt gegen das Schulgesetz. Die Wartezeit auf einen Platz in einer Willkommensklasse beträgt in Berlin ohnehin Monate, der Aufenthalt im Notaufnahmezentrum verlängert diese zusätzlich. Dass aus der Ukraine Onlineunterricht angeboten wird, hilft da wenig. Erstens fehlen in Tegel Rückzugsräume, um diesem Unterricht zu folgen. Und zweitens deutet nichts darauf, dass der Krieg bald zu Ende ist.
Für viele ukrainische Kinder ist darum eine Zukunft in Deutschland und damit ein deutscher Schulabschluss wichtig. Auch für erwachsene Tegel-Bewohner*innen gibt es keinerlei Deutschkurse. Solange sie im Ankunftszentrum leben müssen, können Geflüchtete nicht ankommen.
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