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Katina Schubert: Enteignung geht auch ohne Giffeys Gewissen

Berlins Linke-Landeschefin Schubert über die Arbeit von Rot-Grün-Rot in Berlin und die Zukunftsprojekte ihrer Partei

  • Interview: Rainer Rutz
  • Lesedauer: 9 Min.

Frau Schubert, Die Linke will Rot-Grün-Rot in Berlin auch nach der Wahl am Sonntag fortführen. Zugleich fallen die Spitzen von SPD und Grünen, Franziska Giffey und Bettina Jarasch, derzeit übereinander her, als gäbe es kein Morgen. Das klingt nach schlechten Ausgangsbedingungen.

Eine Koalition wird nicht von zwei oder drei Spitzenleuten gebildet, sondern von Parteien. Und da kommt es ganz wesentlich darauf an, ob die inhaltlichen Positionen so weit übereinanderzubringen sind, dass sich daraus ein Regierungshandeln ableiten lässt. Wir haben einen Koalitionsvertrag, der gilt für fünf Jahre.

Interview

Katina Schubert ist seit 2016 Berliner Landesvorsitzende und seit Februar 2021 eine der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Linken. Die 61-jährige Politikwissen­schaftlerin und gelernte Journalistin trat 2001 der PDS bei, nachdem sie zuvor bereits für die Bundestagsfraktion der Partei gearbeitet hatte. Von 2012 bis 2016 war Schubert Landesgeschäftsführerin der Berliner Linken. Im Abgeordnetenhaus, dem sie seit der Wahl 2016 angehört, ist sie in der aktuellen Legislaturperiode Sprecherin für Flüchtlingspolitik der Linksfraktion.

Sie wollen also nicht mal den Koalitionsvertrag anrühren?

Doch auf jeden Fall. Aber entspannt bleiben. Wir werden nach der Wahl mit Sicherheit zusammenkommen und dann an den wesentlichen Stellen prüfen, wo es Überarbeitungsbedarf gibt. Einfach auch aufgrund der Tatsache, dass die Welt sich weitergedreht hat, dass wir in einer anderen Situation sind als vor nun bald anderthalb Jahren, als wir angefangen haben, den Koalitionsvertrag auszuhandeln. Und dann werden wir sehen. Gerade im Mietenbereich gibt’s noch eine Menge nachzuarbeiten.

Was die Umsetzung des Vergesellschaftungs-Volksentscheids betrifft, hat Franziska Giffey jetzt das alte Lied der Taiga angestimmt. Es entstehe keine einzige Wohnung durch Enteignung, sie könne das nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Die Linke will dagegen noch 2023 ein Vergesellschaftungsgesetz vorlegen. Ist das nicht Augenwischerei, wenn es dafür gar keine parlamentarischen Mehrheiten gibt?

Es ist wichtig, dass wir einen funktionierenden Gesetzentwurf haben, über den dann auch die weitere Debatte läuft. Und jenseits von Gewissensfragen – mit Verlaub, das ist nun wirklich keine Gewissensfrage: Wenn sich tatsächlich keine parlamentarischen Mehrheiten dafür ergeben, gibt es immer noch die Möglichkeit eines zweiten Volksentscheids, konkret: eines Gesetzesvolksentscheids. Ich bin mir sehr sicher, dass dieser ebenfalls erfolgreich wäre, auch ohne Frau Giffeys Gewissen. Insofern ist es nicht verschwendet, ein rechtssicheres Vergesellschaftungsgesetz zu entwickeln und dann in die parlamentarische Beratung und in die Diskussion mit der Stadtgesellschaft zu bringen.

Würde Die Linke ein Vergesellschaftungsgesetz zu einer »roten Linie« für eine weitere Regierungsbeteiligung machen?

Ich bin kein Fan von »roten Linien«. Solche Totschlagpunkte sind nicht sinnvoll. Damit mache ich es auch den jetzigen Koalitionspartnern viel zu einfach. Die könnten die Gespräche mit uns ja sofort beenden, indem sie sagen: »Wir machen kein Vergesellschaftungsgesetz und Feierabend.« Das wäre nicht klug. Wir haben auch noch sehr viele andere wesentliche Punkte, die wir durchsetzen wollen. Und letztlich muss das Gesamtkonzept der Koalition stimmen.

Also doch kein Gesetz?

Doch. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn die Kommission zur Umsetzung des Volksentscheides sagt: Es geht, das und das müsst ihr beachten, da und da muss noch nachgearbeitet werden, dann wird der Druck auf Grüne und SPD so massiv werden, dass sie sich dem nicht einfach entziehen können. Da gibt es nicht nur einen SPD-Parteitagsbeschluss, auch die Kandidatinnen der Grünen stehen da im Wort. Dazu muss man keine »roten Linien« definieren, sondern den Abschlussbericht der Kommission als ernsthaften Arbeitsauftrag zur Umsetzung begreifen und darum kämpfen. Politik ist keine Abfolge von Automatismen, sondern das Ergebnis von Aushandlungsprozessen in oft massiven Widersprüchen.

Bleiben wir beim Thema Wohnen. Vonovia hat angekündigt, alle Wohnungsbauprojekte in Berlin in diesem Jahr auf Eis zu legen. Sie waren ohnehin keine begeisterte Fürsprecherin von Giffeys Wohnungsbaubündnis. Fühlen Sie sich bestätigt?

Ja, man muss festhalten, dass die Strategie der SPD, über breite Bündnisse mit Immobilienkonzernen und privaten Investoren zu besseren Ergebnissen beim Neubau bezahlbarer Wohnungen zu kommen, auf ganzer Linie gescheitert ist. Dieses Bündnis hat zu keinen Ergebnissen geführt, die in irgendeiner Form für eine Entspannung des Wohnungsmarktes gesorgt hätten. Es wurden Konzernen rote Teppiche ausgerollt, die sich insgeheim ins Fäustchen lachen darüber, wie naiv die derzeit noch größte Regierungspartei da rangeht.

Nun gut, aber die Baubranche hat auch mit enormen Kostensteigerungen zu kämpfen.

Aber eines ist doch auch klar: Private Immobilienkonzerne haben vor allem Renditeinteressen. Dazu sind sie ihren Aktionären verpflichtet. Die sind nicht dem Ziel verpflichtet, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, um den sozialen Zusammenhalt in Berlin zu organisieren. Deshalb wollen wir konsequent auf die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften setzen, entsprechend auch die Fördermittel einsetzen und damit langfristig bezahlbaren Wohnraum schaffen.

Sie haben kürzlich gesagt: »Berlin wird gut regiert – durch Die Linke.« Das dürften beileibe nicht alle in der Stadt so sehen. Was verbuchen Sie denn mit Blick auf den Giffey-Senat auf der Habenseite der Linken?

Die Frage ist doch: Was ist jetzt das Wesentliche? Und da wird deutlich, dass es einen wesentlichen Unterschied zur Ampel-Regierung im Bund gibt: Wir haben hier ein eigenes Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Wir haben einen Härtefallfonds aufgesetzt, der funktioniert; da wird bereits beantragt und ausgezahlt. Auch den Mietenstopp bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen hätte es ohne uns nicht gegeben. Ebenso wenig das »Netzwerk der Wärme« oder jetzt die Jugendkultur-Karte für junge Menschen von 18 bis 23 Jahren. Und wir haben ein 9-Euro-Sozialticket eingeführt und durchgesetzt. Das alles hätte es ohne uns nicht gegeben.

Um das 9-Euro-Ticket gibt es aber auch schon wieder Auseinandersetzungen.

Wir wollen das verstetigen, und auch das wird es nur mit der Linken geben. Während man auf Bundesebene findet, dass man mit einem 49-Euro-Ticket doch irgendwie eine echte Wohltat vollbracht hat. Das kann sich ein Mensch, der Bürgergeld oder andere Transferleistungen bezieht oder wenig Geld verdient, aber schlicht und ergreifend nicht leisten. Wir haben keinen Einfluss auf die Bundesgesetzgebung, was das Bürgergeld an sich angeht. Aber wir können in Berlin aktive Krisenbewältigung machen und Teilhabe organisieren auch für Menschen, die wenig Geld haben, und damit ein Stück weit die Armut bekämpfen.

Tobias Schulze, der Vize-Landeschef der Linken, hat auf dem Parteitag im Januar versprochen, Berlin nach der Wahl den »Infrastruktursozialismus« zu bringen. Bei wackeren Westberliner Frontstadtkämpfern dürften die Alarmglocken anspringen. Was heißt das konkret?

Das bezieht sich vor allen Dingen darauf, die zentralen Elemente öffentlicher Daseinsvorsorge auch tatsächlich öffentlich zu organisieren und sie aus den Händen der Privaten zu nehmen. Wir sind mit der Rekommunalisierung des Stromnetzes schon einen wichtigen Schritt gegangen. Jetzt müssen die nächsten Schritte folgen – die Gasag und die Fernwärme wollen wir ebenfalls in die öffentliche Hand holen. Und zwar nicht über irgendwelche Public-Private-Partnerships, sondern die Verfügungsgewalt muss ganz klar beim Land Berlin liegen. Genauso wichtig ist der Gesundheitsbereich.

Der Gesundheitsbereich soll jetzt aber nicht auch noch verstaatlicht werden?

Wir haben es in Teilen Berlins mit einem gravierenden Ärztemangel zu tun, während es in anderen Teilen ein Überangebot gibt. Da braucht es eine Steuerung durch das Land. Und wenn das nicht über private Niederlassungen läuft, muss man in unterversorgten Vierteln eben Medizinische Versorgungszentren ansiedeln, auch mit Fachärztinnen und Fachärzten, zum Beispiel über das landeseigene Unternehmen Vivantes. Es darf keine Frage des Wohnorts sein, ob man schnell einen Termin beim Augenarzt bekommt oder ein Jahr warten muss. Wir wollen, dass es gleiche Lebensverhältnisse innerhalb wie außerhalb des S-Bahnrings gibt, in Ost und West, Nord und Süd. Und im Moment haben wir das genau nicht. Das meint ein Stück weit der Begriff »Infrastruktursozialismus«.

So richtig durchzudringen scheint Die Linke aber nicht mit ihrem Programm. In Umfragen liegt die Partei bei 11 bis 12 Prozent. Bei der Wahl im September 2021 waren es noch 14,1 Prozent. Hat Die Linke ein Mobilisierungsproblem?

Durch das Hin und Her werden alle Parteien ein Mobilisierungsproblem haben bei dieser Wahl. Vielen ist auch nicht so richtig klar, warum die Wahl jetzt komplett wiederholt werden muss. Wir appellieren an alle, die der Auffassung sind, dass es linke Politik in Berlin braucht, zur Wahl zu gehen und ihr Kreuz bei der Berliner Linken zu machen. An alle, die überzeugt sind, dass es einen Senat braucht, der gerade in diesen Zeiten eine soziale Politik macht und sich nicht zur Lobbygruppe von Auto- oder Immobilienkonzernen macht.

Wie ist denn Ihr Eindruck auf der Straße, wenn Sie am Wahlkampfstand Passanten Flyer in die Hand drücken wollen?

Ich habe ja nun einen Wahlkreis im Reinickendorfer Norden, der so gar nicht typisch links ist. Weit draußen, weit im Westen. Da oszilliert es zwischen »Euch habe ich schon immer gewählt« und »Macht weiter so« und »Lasst mich in Ruhe mit Politik, damit will ich nichts mehr zu tun haben«. In anderen Wahlkreisen läuft es völlig anders. Da bekomme ich eigentlich nur positive Resonanz gespiegelt. Aber das sind natürlich immer nur Ausschnitte, das heißt noch nichts. Wir werden es am 12. Februar wissen. Und bis dahin geben wir alles und werden im Endspurt auch noch mal alles mobilisieren, um die Leute zu bewegen, am Sonntag ins Wahllokal zu gehen.

»Umfragen sind Umfragen«, ist auch das Mantra von Franziska Giffey im Wahlkampf …

Was soll sie auch sonst sagen?

Dennoch: Glaubt man den Umfragen, sieht aktuell alles danach aus, dass die CDU als stärkste Partei aus der Wahl hervorgeht. Ein CDU-geführter Senat wäre aus Ihrer Sicht vermutlich ein Albtraum?

Ich glaube vor allem, dass es ein massiver Rückschlag wäre, wenn es darum geht, sozialen Zusammenhalt zu organisieren. Wenn es darum geht, den Pfad zur Klimaneutralität zu beschreiten, den wir einfach beschreiten müssen, ganz objektiv. Wir würden eine völlig repressive Innenpolitik bekommen, alle Ansätze von partizipativer Migrationspolitik würden zunichtegemacht. Und die A100 würde wahrscheinlich auch noch durch Friedrichshain geschlagen. Ein völlig sinnloses Verkehrsprojekt, das zudem Menschen aus ihren Wohnungen verdrängen würde, so wie auch in Neukölln und Treptow-Köpenick Wohnraum und Kleingärten vernichtet worden sind. Und das in einer Situation, wo wir dringend Wohnraum und Stadtgrün brauchen. Kurzum: Die Stadt ist gut beraten, der CDU und ihrem Spitzenkandidaten Kai Wegner am Sonntag deutlich die Rote Karte zu zeigen.

Haben Sie nicht die Sorge, dass einer Ihrer bisherigen Koalitionspartner nach der Wahl mit der CDU zusammengeht und das Regierungsprojekt aus SPD, Grünen und Linke damit beerdigt?

Ich wüsste nicht, warum sie das tun sollten, um dann mit der CDU genau die gegenteilige Politik zu machen, die sie bisher gemacht haben. Insofern bin ich da im Moment relativ entspannt.

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