»Hogwarts Legacy«: Harry Potter und der Antisemitismus

Am Videospiel »Hogwarts Legacy« verdient die für Transfeindlichkeit kritisierte Schöpferin J.K. Rowling mit – und es bedient antisemitische Stereotype

  • Fabian Hasibeder
  • Lesedauer: 4 Min.

Hagrid, Dumbledore und Bahnsteig 9 3/4 – bei vielen Menschen, die Anfang des Jahrtausends ihre Kindheit und Jugend verbracht haben, lösen diese Namen ein heimeliges Gefühl der Nostalgie aus. Sie haben Harry Potter in der gleichnamigen siebenteiligen Jugendbuchreihe an seinem ersten Tag an der Zauberschule »Hogwarts« begleitet, unzählige Unterrichtsstunden miterlebt und bei seinem Kampf gegen den diabolischen Hexer Voldemort mitgefiebert. Die Romanverfilmungen lockten Millionen Zuschauer*innen in die Kinos und wurden mit Preisen überhäuft. Auch die Videospiele zu den Büchern erfreuten sich – trotz oftmals überschaubarer Qualität – riesiger Beliebtheit.

Dass sich seit einigen Jahren unter die Nostalgie auch scharfe Kritik mischt, hat aber weniger mit dem Inhalt der sogenannten Wizarding World zu tun, als vielmehr mit ihrer Schöpferin Joanne K. Rowling. Die britische Autorin fällt seit einigen Jahren vor allem auf Twitter mit transfeindlichen Aussagen auf. Die Liste ihrer Ausfälle ist lang: Im Dezember 2019 drückte sie ihre Unterstützung für die Wirtschaftswissenschaftlerin Maya Forstater aus, die wegen wiederholter Hasstiraden gegen trans Personen ihren Job verloren hatte. Im folgenden Jahr machte sie sich über die Bezeichnung »Personen, die menstruieren« lustig und unterstellte trans Frauen implizit, sie würden sich den Zugang zu Frauenumkleiden und -toiletten erschleichen, um diese dort zu belästigen. Auch in Rowlings literarischem Werk ist ihr Weltbild unschwer zu erkennen: In ihrem Kriminalroman »Böses Blut« tritt ein cis-männlicher Serienmörder auf, der sich für die Durchführung seiner Taten mithilfe einer Perücke und eines pinken Mantels als Frau verkleidet.

Aus dem Netz gefischt
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Seit Jahren setzen sich trans Personen gegen die Schriftstellerin und ihre diskriminierenden Äußerungen zur Wehr. Prominente Unterstützung erhalten sie unter anderem von der Schauspielerin Emma Watson, die in den Harry-Potter-Verfilmungen eine Hauptrolle spielte. In den vergangenen Wochen erreichte die Debatte ihren bisherigen Höhepunkt. Der Grund: Am 10. Februar erscheint mit »Hogwarts Legacy« das bislang größte und aufwändigste Videospiel aus dem Harry-Potter-Universum. Das von »Warner Bros.« herausgegebene Spiel verspricht eine frei erkundbare Welt in und um die bekannte Zauberschule, abwechslungsreiche Zauberstab-Kämpfe und eine Geschichte, die den Büchern in nichts nachstehen soll. Kritiker*innen sehen darin aber vor allem eine profitable Geldquelle für Lizenzinhaberin J.K. Rowling. Und damit dürften sie recht behalten. Schon vor dem Start führt »Hogwarts Legacy« die Listen der meist gewünschten Videospiele an, Spielemagazine äußern sich in ihren ersten Testberichten euphorisch und die riesige Werbekampagne dürfte mittlerweile fast jede*n Gamer*in erreicht haben. Das Spiel wird aller Voraussicht nach ein Hit werden – und die Harry-Potter-Erfinderin verdient bei jeder verkauften Kopie mit.

Geldgierig, verschlagen und mit langer Hakennase: Die Darstellung der Kobolde in »Hogwarts Legacy« bedient sich antisemitischer Stereotype.
Geldgierig, verschlagen und mit langer Hakennase: Die Darstellung der Kobolde in »Hogwarts Legacy« bedient sich antisemitischer Stereotype.

Immerhin: Joanne K. Rowling hat an der Entstehung von »Hogwarts Legacy« nicht direkt mitgewirkt. Den Entwickler*innen scheint die Brisanz der Debatte um ihre transfeindlichen Ansichten auch durchaus bewusst zu sein. Bei der Erstellung der eigenen Spielfigur lässt sich die Geschlechtsidentität unäbhängig von der optischen Erscheinung auswählen – durchaus progressiv für ein Blockbuster-Videospiel, bei dessen Konkurrenten die Charaktererstellung meist streng binär gestaltet ist.

Weniger progressiv – vorsichtig ausgedrückt – ist »Hogwarts Legacy« hingegen bei der Wahl der Antagonist*innen. Neben Riesenspinnen, Hexen und bösen Zauberern müssen sich die Gamer*innen auch mit Kobolden auseinandersetzen. Diese kleinen, geldgierigen und undurchsichtigen Wesen betreiben das Bankwesen in der magischen Welt der Romanvorlage. In den Filmen werden sie mit spitzen Hakennasen dargestellt. Wer sich bei dieser Beschreibung an die antisemitischen Karikaturen des nationalsozialistischen Hetzblattes »Der Stürmer« erinnert fühlt, hat offensichtlich mehr Geschichtsbewusstsein als die Gesamtheit der Entscheidungsträger*innen bei »Warner Bros.«

Während Rowling im ersten Band der Harry-Potter-Reihe einen Kobold nur anhand seines »dunkelhäutigen, klugen Gesichts, seines Spitzbartes und seiner sehr langen Finger und großen Füße« beschreibt, tauchen die Geschöpfe in der ersten Verfilmung bereits als jene vollumfänglich stereotypen, von Antisemit*innen in Karikaturen genutzten Zerrbilder auf, als die sie sich mittlerweile im Harry-Potter-Universum etabliert haben. »Warner Bros.« scheint besonders stolz auf ihre antisemitische Interpretation der Kobolde zu sein – haben sie diese doch zu einem wichtigen Handlungsteil der Geschichte von »Hogwarts Legacy« gemacht. Denn – und jetzt kommt’s – die verschlagenen Kobolde planen eine geheime Verschwörung gegen die edlen Zauberer und Hexen. Das antisemitische Pamphlet »Protokolle der Weisen von Zion« lässt grüßen. Es wird mutmaßlich die Aufgabe der Spieler*innen sein, diese Verschwörung aufzudecken und die Kobolde mit Gewalt in ihre Schranken zu weisen.

Zu allererst stellt sich den potentiellen Spieler*innen aber die Aufgabe, zu entscheiden, ob sie mit dem Kauf von »Hogwarts Legacy« eine Schöpferin, die sich offen transfeindlich äußert, und ein Produkt mit antisemitischen Elementen unterstützen möchten, oder ob sie sich dem von Transaktivist*innen geforderten Boykott anschließen. Der reichweitenstarke deutsche Videospiel-Streamer Gronkh hat aufgrund des öffentlichen Drucks bereits bekannt gegeben, dass er »Hogwarts Legacy« nicht live über seinen Twitch-Videokanal ausstrahlen wird. Zur Erinnerung: Ein Boykott hat nichts mit einer vermeintlichen »Cancel Culture« zu tun und ist weder eine Einschränkung der Meinungsfreiheit noch Zensur. Hier regelt einfach die allseits beliebte, unsichtbare Hand des Marktes. Ganz schön magisch.

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