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Rekordgewinne, aber nicht mehr »Apotheke der Welt«
Pharmazeutische Innovationen kosten immer mehr, kommen aber nur relativ wenigen Patienten zugute
Neue Medikamente sind kostspielig. »Es wird immer mehr Geld für eine immer geringere Versorgungsreichweite ausgegeben«, klagt Helmut Schröder vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (Wido). Die Nettoausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Arzneimittel sind im Jahr 2021 um 8,8 Prozent auf 50,2 Milliarden Euro gestiegen. Nach den Halbjahreszahlen dürfte es 2022 noch teurer werden.
Wie schon in den Vorjahren fielen einige Bereiche durch überdurchschnittliche Umsatzsteigerungen auf: patentgeschützte Arzneimittel (plus 14,4 Prozent) und die sogenannten Orphan Drugs für seltene Krankheiten (plus 24,7 Prozent). Diese Marktsegmente zeichneten sich dadurch aus, dass sehr viel Geld für wenige Medikamente aufgebracht werde, so Schröder, von denen letztendlich nur wenige Menschen profitierten. Im vergangenen Jahr wurde mit patentgeschützten Arzneimitteln im GKV-Bereich ein Umsatz von 27,5 Milliarden Euro erwirtschaftet. Damit wird mehr als jeder zweite Euro der Arzneimittelkosten in diesem Bereich ausgegeben.
Profiteure sind forschende Pharmafirmen. Die fühlen sich zu Unrecht angeprangert. »Forschung ist die beste Medizin«, heißt die neue Kampagne der Lobbyorganisation VfA. Und Forschung koste eben und müsse über einen (hohen) Preis wieder hereinkommen. Aus Sicht der Industrie wird viel geforscht, aber viele Wege führen medizinisch in die Irre. Erfolgreiche Produktentwicklungen müssten solche Flops querfinanzieren.
»Die forschende Pharmaindustrie ist eine hochproduktive Branche«, lobt der VfA seine Mitglieder. Dies liege an der hohen Kapital- und Wissensintensität, aber auch am hohen Innovationsgrad. »Die Produktivität der Pharma-Branche ist doppelt so hoch wie der Durchschnitt des verarbeitenden Gewerbes oder beispielsweise der Maschinenbau.« Im Ergebnis helfe sie, Krankheiten schneller und wirksamer zu bekämpfen.
Was von Kritikern wie der Buko-Pharma-Kampagne bestritten wird. Der »Arzneimittel-Kompass 2022« der AOK zeigt: Neue Arzneimittel sind oft wenig innovativ: Bei 61,5 Prozent der Patientengruppen habe sich im Amnog-Bewertungsverfahren kein Zusatznutzen gegenüber der vorhandenen Vergleichstherapie gezeigt. Amnog steht für das »Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz« und meint die Preisregulierung neuer Medikamente. Nach diesem Verfahren werden seit 2011 die Preise für patentgeschützte Arzneimittel auf Basis einer Zusatznutzenbewertung bestimmt. Das heißt: Krankenkassen zahlen nur so viel, wie es dem ermittelten zusätzlichen Nutzen der Arzneimittel entspricht. Ziel des Verfahrens ist eine Balance zwischen Innovation und Bezahlbarkeit.
Der löbliche Ansatz zeigt in der Praxis nur eingeschränkte Wirkung. In den vergangenen zehn Jahren will die gesetzliche Krankenversicherung 16,6 Milliarden Euro für neue Arzneimittel ohne jeglichen Zusatznutzen ausgegeben haben. »Damit führen eine Vielzahl von aufwendigen Forschungsvorhaben der Pharmazeutischen Industrie bis zur Einführung eines neuen Arzneimittels nicht zu einer verbesserten Versorgung«, kritisiert Wido-Geschäftsführer Schröder. Die mangelnde Balance zwischen dem Nutzen eines Arzneimittels und den hohen Preisen sowie den sich daraus ergebenden Einnahmen und Gewinnen verschärfe sich seit Jahren durch immer neue Preisrekorde. »Lösungsansätze zur Ermittlung von fairen Preisen, wie sie in der Wissenschaft diskutiert werden, könnten das Gleichgewicht wiederherstellen«, fordert Schröder die Politik heraus.
Derweil bescherte Corona der Pharmaindustrie Rekordgewinne. Der Umsatz beispielsweise des Mainzer Biotech-Unternehmens Biontech sprang von knapp einer halben Milliarde Euro auf mehr als 17 Milliarden. Der amerikanische Biontech-Partner Pfizer steigerte seinen Umsatz 2021 um 95 Prozent. Im Windschatten der Impfstoffhersteller hat auch der Schweizer Konzern Roche als Hersteller von PCR- und Schnelltests besonders von der Pandemie profitiert. Der Umsatz des zweitgrößten Pharmaunternehmens weltweit stieg 2021 um neun Prozent auf rund 59 Milliarden Euro.
Die Beispiele illustrieren zugleich, dass Deutschland nicht mehr die »Apotheke der Welt« ist. Viele Grundstoffe und Halbfertigprodukte stammen – wie in anderen Industriezweigen – aus China und Indien. In Deutschland kommen laut Andreas Burkhardt vom israelischen Hersteller Teva etwa 80 Prozent aller Wirkstoffe aus Asien. »Manche Wirkstoffe werden weltweit nur noch in ein oder zwei Fabriken hergestellt.« Dennoch hat sich der Umsatz der deutschen Pharmabranche innerhalb einer Dekade verdoppelt. Dabei profitierten Bayer, Boehringer-Ingelheim oder Merck vom globalen Trend: Laut »Statista« stieg der weltweite Absatz von Medikamenten im Zeitraum 2001 bis 2020 von 390 Milliarden auf 1,27 Billionen US-Dollar.
Eine Sonderrolle spielen sogenannte Generika, deren Patentschutz ausgelaufen ist. Fast jeder zweite Euro, der für Arzneimittel ausgegeben wird, wird für die Nachahmerpräparate ausgegeben. Unternehmen wie Stada, das angelsächsischen Finanzinvestoren gehört, oder Teva spielen daher in der ersten Liga der Pharmabranche – nur ohne Forschung.
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