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Kulturgut unter der Narrenkappe
Der Karneval könnte in Brandenburg künftig Fördermittel vom Staat erhalten
Am Dienstag wird die Nachricht verbreitet, das Traditionskabarett Münchner Lach- und Schießgesellschaft sei am Ende und vermutlich pleite. Wie ist es um den Humor rund 550 Kilometer nördlich in Brandenburg bestellt? Der oberste Karnevalist des Bundeslandes, Fred
Witschel, sagt: »Der Humor war immer im Osten.« Witschel ist Präsident des Karnevalsverbandes Berlin-Brandenburg und ist am Dienstag Gast der Freien Wähler im Potsdamer Landtag. Ihre Fraktion stellte hier das politische Projekt vor, das fröhliche Treiben in der »fünften Jahreszeit« offiziell als Kulturgut anzuerkennen und auch finanziell zu fördern.
Vizefraktionschef Matthias Steffke war selber Träger der Narrenkappe, als er zu Begründung bekannt gab, Fasching und Karneval hätten eine lange Tradition, die bis zu den alten Germanen zurückreiche. »Sie verkleideten sich mit Masken und Tierfellen und feierten, um die guten Geister zu wecken und den Frühling zu begrüßen.« Förderwürdig sei der Fasching, weil er das
Gemeinschaftsgefühl in Städten und Dörfern stärke und Generationen verbinde. »Die Ehrenamtlichen engagieren sich das ganze Jahr. Die Vereine organisieren und unterstützen Dorf- und Stadtfeste.« Die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Migranten seien wichtige Schwerpunkte in der Verbands- und Vereinsarbeit.
Der Karnevalsverband Berlin-Brandenburg zählt laut Präsident Witschel 134 Mitgliedsvereine und drei Regionalverbände, wobei 20 Vereine in Berlin tätig seien. 190 Faschingsklubs hatte Brandenburg 1990, doch schlossen sich damals nur 34 davon zum Landesverband zusammen. »Die Ossis hatten in diesen Jahren nichts zu lachen«, bestätigte Witschel. Doch sei das jetzt wieder ganz anders, Helau und Alaaf könne man »in allen Landesteilen« vernehmen. Es sei ein Vorurteil, dass nur in Cottbus ein nennenswertes Karnevalstreiben zu Hause sei. Schwer getroffen worden sei der Fasching durch die Corona-Pandemie. »Wir haben nicht die Lobby der Sport- und Kunstvereine.« In den vergangenen Monaten seien Saalmieten, Heizungs- und Stromkosten ins Irrwitzige gestiegen, sodass eine institutionalisierte Förderung sinnvoll sei. Bislang werde »nicht ein einziger Verein« mit öffentlichen Geldern gefördert, und das im Unterschied zu den Karnevalsvereinen des Rheinlands, wo reichlich Mittel fließen.
Wer etwas bei der Investitions- und Landesbank Brandenburg beantragte, sei mit dem Bescheid abgespeist worden, Karneval gehöre »nicht zu Kultur«. Vor diesem Hintergrund sei es erstaunlich, dass sich noch kein einziger Verein aufgelöst habe, findet der Präsident. Er gibt einen Einblick in die Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg. Als eine Schlussfolgerung aus dem 17. Juni 1953 habe der bis dahin nicht gern gesehene Fasching in der DDR einen starken Aufschwung genommen, überall hätten sich Faschingsklubs gebildet. Der Fasching sei im Osten sehr lebendig gewesen und habe beim Machtübergang von SED-Generalsekretär Walter Ulbricht auf Erich
Honecker noch einmal Impulse erhalten. An die Tradition habe der Fasching nach der Wende zunächst nicht groß anknüpfen können. Später erwachte sie aber vor allem in der Lausitz wieder. Der erste Ministerpräsident nach der Wende, Manfred Stolpe (SPD), ließ sich regelmäßig dort sehen. Am bekanntesten ist der Cottbuser Karnevalsumzug, der »Zug der fröhlichen Leute«. Er wird ergänzt durch einen »Zug der fröhlichen Kinder«.
Unter dem Titel »Hier steppt der Adler« gibt es alljährlich eine TV-Karnevalsgala unter Beteiligung aller einschlägigen märkischen Vereine. Die oft sehr professionellen Programme »sind nicht von Profis gemacht«, unterstrich Witschel. Heute sind rund 15 000 Brandenburger als Karnevalisten aktiv, darunter etwa 5000 Kinder und Jugendliche.
Aber wie hoch sollte die finanzielle Förderung durch das Land denn ausfallen? Der Landtagsabgeordnete Steffke hielte eine »niedrige sechsstellige Summe« für angemessen. Karnevalspräsident Witschel fordert die Politiker anderer Fraktionen auf, diese Initiative zu unterstützen. CDU-Fraktionschef Jan Redmann erklärt, in seiner Heimatstadt Kyritz sei von Fasching eher wenig zu spüren und den Karneval zu fördern, sei doch wohl mehr Sache der Kommunen. Die SPD will den Vorschlag der Freien Wähler prüfen, Linksfraktionschef Sebastian Walter zeigte sich ebenfalls offen dafür und auch die Grünen sind nicht abgeneigt. Fasching habe sich an vielen Orten etabliert. »Er ist für den Brandenburger eine der wenigen Gelegenheiten, seine heitere Grundstimmung auch öffentlich zu machen«, sagt Walter.
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