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Manuel Neuer: Anflug aus dem Nichts
Zirkus Europa: Das beste Spiel des weltbesten Torhüters in der Champions League
Ob Manuel Neuer noch mal eine Vorstellung im großen europäischen Fußballzirkus geben darf? 131 Spiele hat er bisher in der Champions League gemacht, das vorerst letzte im vergangenen Oktober beim 5:0-Sieg gegen Viktoria Plzeň. Seitdem ist einiges passiert zwischen Neuers Hausberg am Tegernsee und Julian Nagelsmanns Trainerzimmer an der Säbener Straße. Jedenfalls gewann der FC Bayern das Achtelfinalhinspiel gegen Paris Saint-Germain ohne den vielleicht besten Torhüter, den die Welt bisher gesehen hat.
Schon werden die ersten, nun ja, Nachrufe verfasst. Manuel Neuer steht vor seinem 37. Geburtstag, er hat mit den Bayern zweimal die Champions League gewonnen und mit der Nationalmannschaft die Weltmeisterschaft. Aber wer weiß schon, dass er das vielleicht beste Spiel seiner Karriere für Schalke 04 gemacht hat? Für seinen Jugendverein, bei dem er selbst noch als Fan in der Kurve stand. Zeit für einen Rückblick in den März des Jahres 2008.
Schon der 21 Jahre junge Manuel Neuer sieht so aus, wie man sich einen teutonischen Helden vorstellt. Groß und blond und breitschultrig. Vor dem Achtelfinale der Champions League sind ihm im Alltag der Bundesliga ein paar Fehler passiert, wie sie jungen Torhütern nun mal passieren. Der FC Porto hat Schalke zu seinem absoluten Wunschgegner erklärt und geht nach der knappen 0:1-Niederlage in Gelsenkirchen entsprechend siegessicher ins Rückspiel. Aber da kennen sie Neuer noch nicht.
Zur Ouvertüre wehrt der Torhüter des FC Schalke 04 zwei Distanzschüsse des Argentiniers Lisandro López ab und dreht einen Kopfball des Marokkaners Tarik Sektioui um den Pfosten. Porto stürmt weiter – und prallt immer wieder an Neuer ab. Seine größte Nummer führt er zu Beginn der zweiten Halbzeit vor: Der Ball fliegt in den Strafraum, direkt auf den Kopf von Sektioui, der drei Meter vor dem Tor steht und schon die Arme zum Jubel hebt. Aus dem Nichts aber kommt Neuer angeflogen. Sein linkes Bein klappt nach oben, weit über die Hüfte, und mit der Fußspitze kickt er den Ball zurück ins Irgendwo. Fassungslos starrt der Stürmer in den nächtlichen Himmel über dem Estádio do Dragão. Was war denn das?
Porto schafft drei Minuten vor Schluss doch noch das Siegtor und belagert auch in der fälligen Verlängerung den Schalker Strafraum. Aber Neuer mag nicht mehr zulassen, auch nicht gegen den Dribbelkünstler Ricardo Quaresma, der sonst an jedem vorbeikommt, nur eben nicht an diesem Torhüter. Es folgt das Elfmeterschießen – der finale Part der Manuel-Neuer-Show.
Zuerst duelliert er sich mit Bruno Alves. Der Schuss des Portugiesen ist weder platziert noch hart und bereitet Neuer kein Problem. Als Nächster läuft López an; er wuchtet den Ball mit Kraft und Präzision in die rechte Ecke. Viel besser geht es kaum, aber auch das beeindruckt Neuer nicht weiter. Wie von unsichtbaren Sprungfedern unterstützt, schnellt er zur Seite, reißt den Arm hoch und pariert erneut. Weil es die Gelsenkirchener Rafinha, Ivan Rakitić, Halil Altıntop und Jermaine Jones bei ihren allesamt erfolgreichen Versuchen mit dem Brasilianer Helton zu tun haben und nicht mit Manuel Neuer, geht das Elfmeterschießen mit 4:1 an Schalke.
In jener kühlen Nacht von Porto registriert das Publikum im europäischen Fußballzirkus staunend, dass da in Gelsenkirchen offensichtlich ein Jahrhunderttalent heranwächst. Ein Mann, der das Torhüterspiel einmal auf eine neue Ebene heben wird. Aber wer ahnt das schon im März 2008?
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