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Steven Spielberg: Gefangen forever im Übergang
Der Regisseur Steven Spielberg wird auf der diesjährigen Berlinale mit dem Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk ausgezeichnet
Kann man mit der Bürde, der weltweit kommerziell erfolgreichste Regisseur aller Zeiten zu sein, überhaupt noch künstlerisch schöpferisch bleiben? Sein privates Vermögen wird mit über sieben Milliarden Dollar beziffert, das ist mehr als das Doppelte von dem Donald Trumps. Da könnte sich Spielberg doch auch das Präsidentenamt kaufen? Aber das passt nicht zu ihm, er glaubt an die unveräußerlichen Werte Amerikas, wie sein Film »Lincoln« von 2012 zeigt.
Und überhaupt, seine Mitarbeiter (seit Jahrzehnten meist dieselben), mit denen er einen Film nach dem anderen dreht, sagen alle, er habe sich nicht verändert, bewege sich durch seine arbeitsreichen Tage immer noch wie »Steven«, der ein kleiner Angestellter von »Spielberg« sei. Das will man gern glauben, denn außer seiner Begeisterung für immer neue Filmprojekte hat er nur seine Unsicherheit, seine Ängste, vor denen er seit seiner komplizierten Kindheit auf der Flucht ist.
Filme machen hilft! Schon als Kind hat er das mit einer 8-Millimeter-Kamera erfahren, darum kann er damit auch nicht einfach aufhören. Durch die Kamera auf das Leben zu blicken, zumal technisch so ausgeklügelt wie Spielberg, das erhebt den Regisseur zum Weltschöpfer im Kleinen.
Seine Unsicherheit bleibt sein wichtigstes künstlerisches Kapital, das weiß er, sie lässt ihn anders wahrnehmen: »Je sicherer ich mich fühle, desto weniger kann ich geben«, sagt er – und das will er mit seinen Filmen unbedingt. Sogar jene Blockbuster, in Fortsetzungen gedreht wie »Jurassic-Park« oder »Indiana-Jones«, tragen etwas unaufklärbar Mysteriöses in sich.
Wer auf Expedition geht, der begegnet einem Fremden in sich selbst – diese Verwandlung hat Spielberg immer fasziniert. Die Frage: »Wer bin ich?« wurde bei ihm zu: »Wer bin ich noch alles?« Man muss genau beobachten und immer hinzulernen wollen, großen Kunstwerken mit Demut begegnen, gerade dann, wenn sie sich dem schnellen Verständnis entziehen. Weil Spielberg die Tugend besitzt, sich gegebenenfalls kleiner zu machen als er ist, bleibt er offen für Neues – und menschlich, trotz seines wahrlich monströsen Erfolgs. Spielberg lebt sehr bewusst mit der Bürde, durch seine Filmprodukte zum Milliardär geworden zu sein, denn er versucht, so viel wie möglich von dem Geld wieder in Filme zu stecken, die nicht eben bloß Produkte, sondern auch Kunst sein sollen.
Der 1946 in Cincinnati geborene Spielberg, der seit mehr als 50 Jahren ununterbrochen Filme dreht, erhielt als Regisseur zweimal den Oscar, für »Schindlers Liste« und »Der Soldat James Ryan«. Der eine zeigt den Alltag des Holocausts auf bislang ungekannt-eindringliche Weise und der andere den Alltag des Krieges (die Landung der US-Armee in der Normandie) ganz und gar unheroisch. Der Schrecken beherrscht die Szenerie. Die Botschaft: Der Krieg kennt keine Helden, nur zerfetzte und zerschossene Körper. Wer »Der Soldat James Ryan« gesehen hat, wird fortan das klatschende Geräusch von Geschossen, die in Körper eindringen, im Ohr behalten.
Spielberg ist in Filmwelten aufgewachsen. Insgesamt 16 Mal habe er beispielsweise »Lawrence von Arabien« gesehen und jedes Mal entdecke er Neues darin. Alfred Hitchcock, Stanley Kubrick und Orson Welles haben ihn geprägt – immer ist da etwas Unausgesprochenes, nicht Gezeigtes, ein Geheimnis, das die Magie ausmacht.
Aber auch seine eigene Familiengeschichte lässt ihn bis heute nicht los. Sein Vater war einer der Pioniere der Computerentwicklung in den USA, die Mutter bis zu ihrer Heirat Konzertpianistin. Beide kamen aus orthodox-jüdischen Einwandererfamilien. Lange wollte Steven Spielberg nichts von dieser jüdischen Geschichte wissen, flüchtete geradezu vor seiner Herkunft. Sie war ihm, der ein moderner Amerikaner sein wollte, eher peinlich. Erst spät entdeckte er im Judentum ein religiöses Hinterland, das ihm Halt gab. Das half ihm auch durch die vier Monate Drehzeit von »Schindlers Liste« 1993 in Krakau, wo er an den Originalschauplätzen des Gettos und in Auschwitz drehte. Ohne alle technischen Effekte, auf die er sonst zurückgreifen konnte, nur mit der Handkamera in Schwarz-Weiß. Ein Totenhaus und mitten drin dieser Oskar Schindler. Welch zwielichtige Figur, Geschäftemacher und Bonvivant, der eng mit der SS zusammenarbeitet – aber eines eben nicht will: untätig einem Massenmord zuschauen. Er rettet über tausend Juden vor der Gaskammer. Kein ungebrochener Held, sondern ein Mensch mit Gewissen.
Aber typisch für Spielberg, im gleichen Jahr wie »Schindlers Liste« kommt 1993 auch ein anderer Film heraus, der zum Blockbuster wird: »Jurassic Park«, eine völlig neue digitale Saurier-Welt als visuelle Überwältigung inszeniert. An beiden Filmen hatte Spielberg offenbar gleichzeitig gearbeitet.
Skurril auch die Geschichte seiner Eltern, deren Scheidung ihn lange belastete. Spuren davon finden sich in fast allen seinen Filmen. Die Mutter heiratete 1966 einen Kollegen seines Vaters. Da geriet für den Sohn die Welt aus den Fugen. Gab es denn gar keine Sicherheiten im Leben? Auch wenn Spielbergs Filme zumeist kein Happy End haben, das Leben seiner Eltern verlief dann doch wie nach einem idealen Drehbuch ihres Sohnes. Beide, die uralt wurden (der Vater 103 Jahre), fanden in ihren letzten Lebensjahren wieder zueinander. Welch Glück für den unter seiner Unbehaustheit leidenden Steven, der 1982 in seinem Epos »E.T. – Der Außerirdische« die Sehnsucht des Fremdlings »nach Hause« zum Leitmotiv machte.
Angesichts der langen Liste von Titeln fragt man sich, gibt es eigentlich ein Thema, worüber Spielberg noch keinen Film gemacht hat? Nein, der Widerspruch zwischen unserer kurzen Lebensdauer und der Unendlichkeit von Raum und Zeit sind universell und bestimmen jene Erzählperspektive, die eine durch und durch existenzialistische ist, die sich – jedes Mal neu – auf die Breitwand verirrt zu haben scheint. Man hat ihm mehr als einmal bescheinigt, die Filme zu Ernst Jüngers »Ästhetik des Schreckens« gedreht zu haben, in der sich alles um das Element der »Plötzlichkeit« dreht.
So in »Der weiße Hai« von 1975, der ihn auf einen Schlag zum Kultregisseur machte. Für die Bedrohung aus der Tiefe des Ozeans, die unerwartet real wird, fand er kongeniale Bild- und Tonlösungen. Zum Glück war da ein Pech gleich zu Anfang des Drehs. Das Hai-Modell versank unrettbar im Meer, man musste nun seine Anwesenheit imaginieren, etwa mit gelben Tonnen, die zu lauter werdenden Signaltönen unter Wasser gezogen werden. Der Hai selbst aber blieb meist unsichtbar, der Film scheint aus Angst gemacht zu sein. Ist der Hai denn das personifizierte Böse? Nein, ein Dämonisierer ist Spielberg nicht. Der Hai folgt bloß seiner Natur.
Erstaunlich an Spielbergs Werk ist, dass es sich bis heute nicht in bloßen Effekten (die es zahlreich gibt) verbraucht hat. Da ist immer etwas drängend Unerlöstes in den Figuren, ein innerer Widerspruch aus verquerer Mission und quälender Einsamkeit. So in »Catch Me If You Can« (mit Leonardo Di Caprio) von 2002. Die artistisch montierte Biografie eines unerlaubte Abkürzungen wählenden Hochstaplers und Fälschers überraschte. Ebenso »Terminal« von 2005 mit Tom Hanks im Niemandsland eines in der Flughafen-Transitzone gestrandeten Reisenden. Gefangen forever im Übergang, der für ihn nicht gilt? Oder im gleichen Jahr 2005 »München« über den Anschlag von Palästinensern im olympischen Dorf auf israelische Sportler – sowie den Rachefeldzug des israelischen Geheimdienstes danach. 2017 schließlich »Die Verlegerin« über die Frage, wie konsequent sich eine unabhängige Presse mit den Mächtigen in einem Land wie den USA anlegen kann. Alles perfekt gemachte Filme, nie ohne echte Substanz und filmischen Ehrgeiz um die beste Einstellung gedreht. Wer will Steven Spielberg da seinen Erfolg neiden?
Mein liebster Spielberg-Film bleibt jedoch der erste, mit dem er internationalen Erfolg hatte: »Das Duell« von 1971 (da war der Regisseur gerade Mitte zwanzig!). Ein in seinem Auto reisender Vertreter gerät in einsamer Gegend in einen mörderischen Zweikampf mit einem Tanklaster, dessen Fahrer jedoch unsichtbar bleibt. Diese Konstante in Spielberg-Filmen: Schon hier ist sie da.
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