• Kultur
  • Friedo Solter gestorben

Glück im Widerspruch

Zum Tod des Schauspielers und Regisseurs Friedo Solter

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach vier Jahrzehnten am Deutschen Theater Berlin suchte Friedo Solter neue Wirkstätten: hier als Regisseur am Staatstheater Cottbus.
Nach vier Jahrzehnten am Deutschen Theater Berlin suchte Friedo Solter neue Wirkstätten: hier als Regisseur am Staatstheater Cottbus.

Du kannst beim Leben nicht allsekündlich Verlust und Tod mitdenken. Werden und Vergehen, ja, aber doch bitteschön nacheinander. Schauspielers Arbeit freilich ist Weltengründung und Weltensterben pro Vorstellung. Wer die Bühne betritt, geht auf in dem, was doch sofort wieder vergangen sein wird. Zum Beispiel Friedo Solter. Der Ruf, den er sich erwarb, hieß Barock. Ein Großbogenmaler. Ein Mann von Gewicht, aber mit Schwungkraft. Der Stimme Klang, der Körper Kraft. Lange Zeit umschwärzte das Gesicht ein Bart. Auch die Zigarre passte ins Bild. Von den Sechsen, die per Defa-Märchenfilm (Regie: Rainer Simon) durch die Welt kamen, war ausgerechnet er, der prall Beleibte – der Schnell-Läufer. Die Kunst des Turbo-Tempos nur als notwendiger Ausgleich für das wahre Talent, immer ein beträchtlich Maß gelassen, unaufgeregt und weltabgewandt schläfrig zu sein.

Er war der erste Mackie Messer der DDR, er war Fiesco, Fieskönig Claudius im »Hamlet«, im Fernsehen ein behäbig schwelgender Danton, ein listiger Lügner Luka in »Nachtasyl«. Jungen Schauspielern war er lange Zeit ein Lehrer mit Nachhall: Dieter Mann, Christine Schorn, Christian Grashof. Er setzte sie frei, setzte sie Prüfungen und Belastungen aus, manchmal fühlten sich Betroffene ausgesetzt.

Geboren wurde er 1932 in Reppen, dem heutigen polnischen Rzepin. Der Vater war kaufmännischer Angestellter, ging wohl gern in den Krieg, er wollte raus und weg. Die Mutter dagegen, eine Näherin, »zeigte auf Fotos von Himmler und sagte nur, ich möge mir die kalten Augen anschauen«. Der Abiturient studierte Schauspiel, ging nach Senftenberg und Meiningen. Dann, über 40 Jahre, ans Deutsche Theater Berlin. Mit Hans-Dieter Mewes inszenierte er »Unterwegs«, es war der furiose Schauspielstart für Dieter Mann und Christine Schorn. Legendär der »Nathan« mit Wolfgang Heinz in der Titelrolle, der »Wallenstein« mit dem wunderbar nöligen Eberhard Esche.

Als er Majakowskis Satire »Schwitzbad« (mit plebejisch-tapsendem Dieter Franke) 1977 auf die Bühne brachte, fand in der Pause ein fiktives Interview mit dem Dichter statt, eine Tonaufnahme zu Standfotos Majakowskis, auf den Vorhang projiziert. Solter: »Kurz vor der Premiere hieß es: Das Interview raus oder die Aufführung findet nicht statt. Ich erwiderte, gut, dann trete ich vor den Vorhang und teile mit, an diesem Hause sei es verboten, Texte aus dem Verlag Volk und Welt vorzulesen.« Aus den laufenden Vorstellungen sickerte das Gerücht, Solters Arbeit hetze gegen Funktionäre. Eines Tages sagte Kurt Hager, seine Kinder seien begeistert von der Inszenierung. Solter sarkastisch: »Also, gute Kulturpolitik war, wenn ein Funktionär gute Kinder hatte.« Der Regisseur Solter, das war auch Egmont, Sturm, Stellvertreter, Lear, Tasso, Peer Gynt, Philotas.

Damals lebte das Theater (gut!) davon, dass das Sagen der Wahrheit immer ein wenig abenteuerlich war; heute scheint das Theater manchmal ein bisschen daran zu sterben, dass die Wahrheiten einander aufheben. Zumeist waren Arbeiten am Deutschen Theater bestürmende Schauspielerfeste! Spannung herrschte, zwischen Hochkultur der Repräsentation und intelligenter Unterwanderung offizieller Denkdoktrinen. In einem Text für Dieter Mann schrieb Solter: »Wir hatten Glück unter widersprüchlichen Bedingungen.«

Der langjährige Oberspielleiter ist wohl Anfang des neuen Jahrtausends nicht im Frieden von »seinem« Haus geschieden. Er muss sich ausverkauft gefühlt haben. Tradition, die er verkörperte, hatte gleichsam zur vagen Eignungsprüfung für die neue Zeit anzutreten. Er hat noch einen Thomas Bernhard am Deutschen Theater inszeniert, »Alte Meister«, bald dann ging er. Bei Wolfgang Langhoff hatte alles begonnen, bei Thomas Langhoff und dessen Neugier auf andere Leute aus anderen Denkwelten endete alles. Manchmal schließen sich Schaffenskreise so, dass der Bruch unausweichlich wird.

Das Unangenehmste am Klischee, der Westen sei sehr rabiat über den Osten gekommen, sind ja jene gewesen, die nicht Klischee sagten, sondern: Erfahrung. Solter zürnte aus Erfahrung. Im nd-Interview 1998 sagte er: »Es sollten uns nicht die Worte Freiheit, Freiheit, Freiheit, Freiheit in eine boutiquenhafte Illusion bringen. Denn Freiheit kann auch heißen: Der freie Fuchs unter freien Hühnern.« Aber Resignation, die sehr nahelag, kehrte er in neue Arbeit um: Regieaufträge in Schwäbisch Hall, Ulm, Cottbus, Meiningen.

Er war ein Elementarier des literaturbezogenen Theaters, den an Stücken die dialogische Bindungsstärke reizte. 1983, nach langer Rekonstruktion, sollte das Deutsche Theater in Anwesenheit Erich Honeckers wiedereröffnet werden. Aber ein Knäuel aus theatergigantischem Anspruch, bautechnischen Überforderungen, organisatorischen Zerwürfnissen, protokollarischer Ängstlichkeit, ungelenker Vermittlungskunst führte zum Abbruch. Es war das große Fehl in der künstlerischen Biografie des Regisseurs. Er nannte sich gern einen »Granatapfel, immer kurz davor, zu platzen«. Parteilos stets, aufmüpfig (»das Wort Sozialismus hat für die DDR nie gestimmt«), von robuster Schädeligkeit, beschwor Friedo Solter stets als Warnzeichen, was er als Kind so oft spielen musste: den Hampelmann. Den man einfach per Schnüre in Bewegung setzt. »Nee, nicht mit mir.« Nun ist er im Alter von 90 Jahren auf Usedom gestorben.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -