Europa staunt über Union

Nach dem 0:0 in Amsterdam ist für die Fußballer aus Köpenick das Achtelfinale der Europa League in Sicht

  • Matthias Koch, Amsterdam
  • Lesedauer: 6 Min.
Zu früh gefreut: Das Tor von Morten Thorsby (3.v.l.) wurde wieder aberkannt, Union feierte in Amsterdam trotzdem.
Zu früh gefreut: Das Tor von Morten Thorsby (3.v.l.) wurde wieder aberkannt, Union feierte in Amsterdam trotzdem.

Die Johan-Cruyff-Arena war bereits zu 95 Prozent verwaist. Der Großteil der 54 322 Besucher des Playoff-Hinspiels zum Achtelfinale der Europa League zwischen Ajax Amsterdam und dem 1. FC Union Berlin hatte längst den Heimweg angetreten. Doch aus dem Gästeblock weit oben unter dem Dach brandete immer wieder Jubel auf.

Die rund 2700 mitgereisten Anhänger der Köpenicker machten aus ihrer Not eine Tugend. Zum einen ließen sie sich die Laune nicht vermiesen, weil sie planmäßig aus Sicherheitsgründen von den Ordnungskräften ihre Plätze noch nicht verlassen durften. Zum anderen konnten sie ihre Kicker beim Auslaufen für das torlose Unentschieden feiern. Kevin Behrens hatte besonderen Spaß daran. Der muskuläre Angreifer machte die La-Ola-Welle der Supporter mit, wenn er auf seiner Runde den Bereich unterhalb der Fans passierte. Mit dem Remis beim niederländischen Rekordmeister konnte Union sehr gut leben. »Die Mannschaft hat sehr diszipliniert gespielt, viel aufgewendet und die Räume gut zugestellt«, sagte Trainer Urs Fischer. »Wir haben nicht allzu viele Möglichkeiten zugelassen, hatten aber die eine oder andere Torchance. Einen Treffer zu erzielen, ist uns leider nicht gelungen.«

Dabei zappelte die Kugel nach 65 Minuten im Netz des vierfachen Königsklassen-Gewinners Amsterdam. Mittelfeldmann Morten Thorsby hatte nach einer Kombination über Diogo Leite, Sheraldo Becker und Jérôme Roussillon zur vermeintlichen 1:0-Führung eingeschossen. Der Jubel fiel frenetisch aus. Thorsby und die Verteidiger Leite und Josip Juranović vollführten Luftsprünge, ehe sie rund 60 Sekunden später von Wolke sieben geholt wurden.

Videoschiedsrichter Abdulkadir Bitigen aus der Türkei hatte seinen Landsmann und Hauptreferee Halil Umut Meler auf einen Regelverstoß im Vorfeld des Treffers aufmerksam gemacht. Thorsby war das Leder nach der Annahme mit der Brust geringfügig an die Hand gesprungen. Alles Lamentieren half nichts. Das Tor zählte nicht. »Es ist ärgerlich mit dem Handspiel, aber trotzdem haben wir uns eine gute Ausgangslage erarbeitet«, sagte Mittelfeldmann Rani Khedira.

Am kommenden Donnerstag (21 Uhr) kann Union im Rückspiel im Stadion An der Alten Försterei die Nulldiät von Amsterdam vergolden. National haben sich die Eisernen längst Respekt erarbeitet. Spätestens jetzt staunt auch Europa über Union. Sowohl die Aktiven als auch die Fans fuhren durchaus mit Ehrfurcht zum Vorzeigeklub der Niederlande. Doch Ajax fand kaum Mittel. Union-Torwart Frederik Rönnow musste nicht einen einzigen gefährlichen Schuss abwehren. »Nach diesem Ergebnis können wir froh sein, dass wir noch im Rennen sind«, sagte Ajax-Coach Johnny Heitinga. Sein Verteidiger Jurriën Timber räumte allerdings ein, dass es auswärts für Amsterdam nun noch schwerer werde. Bei Union wuchs das Selbstvertrauen weiter an: »Wir haben in Leipzig gewonnen, die spielen in der Champions League. Wir können mit allen mithalten«, sagte Juranović.

Seit dem Re-Start nach der WM-Pause eilt Union von Erfolg zu Erfolg. Sechs Testspielsiegen ließen die Köpenicker fünf Pflichtspiel-Triumphe in der Bundesliga und einen Sieg im DFB-Pokal folgen. In Amsterdam gab es nun mal eine Begegnung, die der FCU zumindest gefühlt gewann. Aber auch in der Europa League ist die Mannschaft seit Monaten nicht zu knacken. Seit fünf Spielen gab es auf internationaler Ebene keinen einzigen Gegentreffer.

Die Defensive mit Schlussmann Rönnow, Abwehrchef Robin Knoche sowie den Innenverteidigern Danilho Doekhi und Leite an der Spitze scheint gesetzt zu sein. Davor wird Union auch durch den steten Wechsel unberechenbar. So fehlten mit Außenverteidiger Christopher Trimmel und Mittelfeldmann Janik Haberer in Amsterdam zwei Profis wegen ihrer Gelb-Sperren.

Für Kapitän Trimmel gibt es mit Winterverpflichtung Juranović von Celtic Glasgow, der den nach Dortmund abgewanderten Julian Ryerson fast schon in Vergessenheit geraten lässt, einen kongenialen Passmann. Und für Haberer warf Fischer Thorsby ins kalte Wasser. Eine Alternative gab es fast nicht mehr, weil Genki Haraguchi inzwischen für den VfB Stuttgart ackert und Paul Seguin nicht für die Europa League gemeldet ist.

Mit dem Startelf-Einsatz von Thorsby ging Fischer ein gewisses Risiko ein, weil der norwegische Nationalspieler große Teile der Vorbereitung wegen einer Magenoperation verpasste und im ersten Halbjahr generell noch nicht den erhofften Durchbruch geschafft hatte.

In den jüngsten Bundesligapartien gegen den 1. FSV Mainz 05 (2:1) und bei RB Leipzig (2:1) durfte Thorsby lediglich zehn beziehungsweise vier Minuten ran. In Amsterdam spielte der im vergangenen Sommer von Sampdoria Genua verpflichtete Achter im 19. Pflichtspiel für Union erstmals durch – mit einer überzeugenden Leistung.

Am kommenden Sonntag im Bundesliga-Heimspiel gegen Schalke 04 wird Thorsby mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder auf der Bank Platz nehmen müssen. Es ist aber auch eine Stärke des Kaders, dass deswegen keiner aufmuckt. Für den Teamgeist und den großen Zusammenhalt bei den Wuhlheidern spricht zudem, dass auch die nicht zum Aufgebot zählenden Akteure am Spieltag nach Amsterdam eingeflogen wurden, um eine der bedeutendsten Partien der Vereinsgeschichte miterleben zu dürfen.

Dem größten internationalen Auftritt des Klubs seit der Gründung 1966 folgt nun eine nationale Herausforderung. Schalke reist als Tabellenletzter an. Union ist daheim in der Meisterschaft seit 15 Begegnungen ungeschlagen und als Tabellenzweiter Spitzenreiter Bayern München auf den Fersen. Was soll da schon schiefgehen, wird der eine oder andere Beobachter denken. Die sportliche Leitung um Fischer wird erneut alles geben, um den Fokus auf Schalke zu bekommen.

Sportlich hat Union den Spagat in englischen Wochen zwischen Europacup und Bundesliga in der Regel ordentlich gemeistert, wenn man von der 0:5-Pleite bei Bayer Leverkusen Anfang November drei Tage nach dem 1:0-Erfolg bei Royale Union Saint-Gilloise absieht.

Finanziell ist die Europa League schon jetzt ein Erfolg. Allein durch die Antrittsprämie in Höhe von 3,63 Millionen Euro und die zwölf Punkte in der Vorrunde (2,52 Millionen Euro) sowie Platz zwei in der Gruppe D (550 000 Euro) spielte Union schon 6,7 Millionen Euro ein. Mit dem Erreichen des Achtelfinals kämen 1,7 Millionen Euro dazu.

Allerdings wird die Uefa in Kürze auch Union wieder zur Kasse bitten, weil in Amsterdam reichlich Pyrotechnik gezündet wurde. Die schätzungsweise 50 000 Euro Strafe wird Präsident Dirk Zingler wohl ohne Murren bezahlen. Zündeln im Stadion gehört beim Klub zur Vereinskultur …

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -