Verrückt auf ihre Weise

Eröffnungsfilm: »Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war« von Sonja Heise

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine normal verrückte Familie
Eine normal verrückte Familie

Wär’ eigentlich auch mal witzig so eine Party mit echten Gästen, so ganz normal» sagt Iris (Laura Tonke) zu ihrem Ehemann, Professor Richard Meyerhoff, dem Leiter der größten psychiatrischen Klinik Schleswig-Holsteins. Ihr in Fachkreisen gefeierter Gatte empfängt nämlich in seiner Direktorenvilla mal wieder Besuch von seinen Patient*innen. Die Eckmanns und die Henkels würde Iris stattdessen gern einmal einladen. «Als ob die Henkels normal wären», entrüstet sich ihr Gatte, der kongenial von Devid Striesow verkörpert wird. Denn was ist eigentlich schon normal in dieser verrückten Welt?

Joachim Meyerhoff, der Sohn des ehemaligen Anstaltsleiters, brachte 2011 mit «Alle Toten fliegen hoch – Amerika» den ersten Teil seiner autobiografisch inspirierten Romantetralogie heraus. Das Buch avancierte zum Bestseller. Verwundert rieb sich so manch einer die Augen, dass es tatsächlich deutsche Autoren gibt, die tragikomische Bücher schreiben können, bei denen man aus dem Lachen nicht mehr herauskommt – die aber gleichzeitig auch zu Herzen gehen.

2013 veröffentlichte Meyerhoff, der hauptberuflich eigentlich Schauspieler ist, den von vielen heiß ersehnten zweiten Teil «Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war», der nun von Sonja Heise («Hedi Schneider steckt fest» ) verfilmt wurde. Es ist ihr gelungen, die berührend-aberwitzige Atmosphäre der Bücher auf die Leinwand zu übertragen. Bestimmt hatte auch Joachim Meyerhoff seinen Anteil daran. Nach langem Zögern übertrug er Heise die Filmrechte und stand ihr und Co-Autor Lars Hubrich auch beratend zur Seite.

Die auf den Punkt besetzte Coming-of-Age-Story war als Eröffnungsfilm der goldrichtige Auftakt für die Sektion Generation 14plus auf der diesjährigen Berlinale.

Joachim, beziehungsweise Josse (Camille Loup Moltzen), wie er früher gerufen wurde, wächst in den 70er Jahren mit seinen beiden Brüdern zwischen psychischen Kranken und Menschen mit Behinderungen auf.

Seine älteren Brüder Philipp und Patrick gehen nicht gerade zimperlich mit ihrem kleinen Bruder um, reizen ihn häufig bis zur Weißglut, was bei ihm regelmäßig zu heftigen Wutanfällen führt. Daraufhin wird er kurzerhand von seinen Eltern zur Beruhigung auf die rüttelnde Waschmaschine gesetzt – der massive Einsatz von Ritalin hat sich zum Glück für den Burgtheaterschauspieler Meyerhoff wohl erst später durchgesetzt.

Tagsüber flüchtet Josse vor seinen gnadenlosen Brüdern häufig auf das weitläufige Psychiatriegelände und lässt sich liebend gern von seinem besten Freund, dem «Glöckner» (Schauspieler Andreas Merker), einem recht furchteinflösenden Patienten, auf den Schultern im Galopp durch die Gegend tragen.

Weitere Patien*innenrollen sind zum Großteil mit Laiendarsteller*innen mit Behinderungen besetzt, die sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit einbringen und entscheidend zum Gelingen des Films beitragen. Eine Szene, in der sie gemeinsam mit Josses Familie leichten Herzens über den Tod sprechen – der in Film und Vorlage auch eine große Rolle spielt – berührt zutiefst.

Wie im Roman nehmen die Zuschauer*innen weiter aus der Sicht Josses Anteil am Leben dieser ganz normal verrückten Familie.

Unvergessliche Ereignisse der literarischen Vorlage haben selbstverständlich auch Eingang in die Verfilmung gefunden: So darf man sich an dem Besuch des von Axel Milberg verkörperten Ministerpräsidenten erfreuen, der Josse für einen der Anstaltsinsassen hält und am Ende seiner Audienz unschön im Matsch landet.

Später kaufen sich die Eltern ein Segelboot, und der erfolgsverwöhnte Vater kann es nicht verkraften, dass er bei der Segelprüfung, im Gegensatz zur Mutter, die im Film mehr Raum einnimmt als im Buch, völlig versagt.

Großartig auch die Szene, in der Teenager Josse, nun wunderbar verkörpert von Arsseni Bultmann, zu den Klängen des Songs «Eisbär» von Grauzone zum ersten Mal mit Marlene herumknutscht: Seine erste große Liebe ist ein tieftrauriges, selbstmordgefährdetes Mädchen, das für ein Weile bei ihnen wohnt.

Unterdessen kriselte es zunehmend bei Josses Eltern: Die Sehnsucht seiner Mutter nach Italien, wo sie früher eine glückliche Zeit verbracht hat, steigert sich ins Unermessliche, während der Vater beginnt, fremdzugehen. Dieser Umstand gipfelt in einer für den Meyerhoff’schen Blick auf die Welt so typischen, gleichzeitig urkomischen und erschütternden Szene, in der das praktische Elektromesser, das Richard seiner Frau zu Weihnachten geschenkt hat, eine entscheidende Rolle spielt …

Josse aber entschließt sich zu einem Austauschjahr in Amerika, doch es dauert nicht lang und eine schlimme Nachricht zwingt ihn wieder nach Hause zurück. Später, als der Vater unheilbar erkrankt ist, kehrt Josse noch einmal als Erwachsener in sein Heim zurück, und auch die Mutter, die sich vom Vater getrennt hatte und nach Italien gezogen war, reist an.

Es ist beinahe unmöglich, während der gelungenen Buchverfilmung nicht an absurde Szenen mit der eigenen Familie erinnert zu werden, und in Anlehnung an Tolstoi kommt man zu dem Schluss: Jede verrückte Familie ist verrückt auf ihre Weise.

«Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war», Deutschland 2022, 116 Minuten, Regie: Sonja Heiss, Drehbuch: Sonja Heiss/ Lars Hubrich, mit Laura Tonke, Devid Striesow, Merlin Rose; Termine: Sa. 18.2., 15.30 Uhr Cineplex Titania, So. 19.2. 15.45 Uhr Cubix 8

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