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»Brüsseler Farce«
Ungarns Justizministerin beschimpft EU-Parlamentsausschuss
Der Graben zwischen der EU und Ungarn geht noch tiefer. Am Montag hat die Justizministerin Judit Varga eine parlamentarische EU-Delegation auf Facebook als »Brüsseler Farce« beschimpft. Hintergrund des Gepolters ist eine Reise des Untersuchungsausschusses wegen der Spionagesoftware »Pegasus«. Mehrere EU-Staaten, darunter auch Ungarn, setzen sie zur politischen Verfolgung ein. Dabei wird das Handy der Zielperson mit einem Trojaner infiziert, Inhalte und Positionsdaten werden an die Überwacher übertragen. Möglich ist auch die Aktivierung von Kamera und Mikrofon aus der Ferne.
Der missbräuchliche Einsatz von »Pegasus« oder vergleichbarer Spionagesoftware verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und unterläuft Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, an die sich die EU-Mitglieder in Verträgen gebunden haben. Deshalb hat das EU-Parlament vor einem Jahr einen Untersuchungsausschuss mit dem Namen »Pega« eingerichtet. Ebenfalls im Fokus seiner Ermittlungen stehen Griechenland, Polen und Spanien.
Am Montag war der Ausschuss mit einer neunköpfigen Delegation zu einem zweitägigen Besuch nach Ungarn aufgebrochen. Treffen erfolgten mit Parlamentariern, Datenschutzbehörden und Betroffenen sowie dem Ungarischen Helsinki-Komitee und anderen Nichtregierungsorganisationen. Die Abgeordneten hatten auch staatliche Stellen um Treffen gebeten, allerdings erfolglos.
Die Justizministerin garnierte ihre Absage über Facebook mit Beschimpfungen. Varga bezeichnete die Delegationsreise etwa als »von Soros finanzierte Aufführung der europäischen Linken«. Diffamiert wird damit der aus Ungarn stammende, jüdische Milliardär und Philantrop George Soros, den die Regierung zur Hassfigur aufgebaut hat. Offensichtlich wurde die Ministerin zur Reise des Pega-Ausschusses nach Budapest aber schlecht gebrieft: Denn aufgrund des Verteilungsschlüssels für Delegationsreisen durften diesmal gar keine Linken-Politiker mit.
Eine von den Abgeordneten beauftragte Studie vermutet, dass mehr als 300 Personen in Ungarn mit »Pegasus« angegriffen wurden, darunter investigative Journalisten, Anwälte, Geschäftsleute und Politiker. Der Staat habe den Vertrag im Wert von rund sechs Millionen Euro nicht direkt mit dem israelischen Hersteller NSO geschlossen, sondern mit einem Zwischenhändler. Diese Firma soll unter anderem einem ehemaligen Geheimdienstoffizier mit Verbindungen zu Politikern und dem Innenministerium gehören. Ein weiterer Eigentümer ist demnach ein ehemaliger Staatssekretär und enger Freund des derzeitigen Innenministers Sándor Pintér.
»Alles deutet darauf hin, dass Spionageprogramme in Ungarn in großem Umfang missbraucht wurden«, stellte der Pega-Vorsitzende Jeroen Lenaers nach der Reise fest. Menschen seien ausspioniert worden, »um noch mehr politische und finanzielle Kontrolle über den öffentlichen Raum und den Medienmarkt zu erlangen«. Die Situation in Ungarn gehöre zu den schlimmsten in der EU, so der konservative Politiker. Die zuständige Berichterstatterin Sophie In ‚t Veld kritisiert, dass angeblich unabhängige Aufsichtsorgane der Regierung unterstünden. Deshalb könne die Spionage während der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán nicht kontrolliert werden, erläuterte die Liberale auf einer Pressekonferenz.
Die Regierungen in der EU, denen ein Missbrauch der Spionagesoftware vorgeworfen wird, begründen den Einsatz unter anderem mit dem Schutz der »nationalen Sicherheit«. Darunter ist für gewöhnlich die Arbeit der Geheimdienste zu verstehen, für deren Kontrolle die EU kein Mandat besitzt.
Die französische Europaabgeordnete Gwendoline Delbos-Corfield, will dies aber nicht gelten lassen. Denn würden Menschen verfolgt, ohne dass sie eine Straftat begangen haben oder dies zu erwarten ist, sei dies eine Verletzung von Menschenrechten, sagt die Grünen-Politikerin auf Anfrage des »nd«. Delbos-Corfield kennt sich mit Ungarn aus und hat unter anderem einen Bericht zur »schwerwiegenden Verletzung der Werte, auf die sich die Union gründet« durch Ungarn herausgegeben.
Dass die ungarische Regierung in ihrer fehlenden Bereitschaft, mit dem PEGA zu kooperieren aus der Reihe fällt, findet sie aber nicht. Denn auch die polnische Regierung habe den Ausschuss bei seiner Reise nach Warschau nicht empfangen wollen, das Gleiche gelte für Israel, wo unter anderem die Exportkontrollen für die Spionagesoftware untersucht werden sollten, so Delbos-Corfield. Was Ungarn jedoch besonders mache sei die völlige Abwesenheit von Schutzmaßnahmen oder Möglichkeiten für die Opfer der staatlichen Spionage, diese überhaupt aufzuklären. Auch das Parlament unternehme dazu nichts.
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