Kampf mit Behörden: Kein Geld, keine Ehe in Oderberg

Helmut Schröder und Aurica Judina kämpfen mit den Behörden in Eberswalde um Bleiberecht und Geld

Glückliches Ehepaar, unglückliche Lebenssituation: Aurica Judina und Helmut Schröder bangen in Oderberg um ihre Existenz.
Glückliches Ehepaar, unglückliche Lebenssituation: Aurica Judina und Helmut Schröder bangen in Oderberg um ihre Existenz.

Oderberg ist eine beschauliche kleine Stadt im Landkreis Barnim, rund 60 Kilometer nordöstlich von Berlin. »Im Sommer fahren hier richtig große Schiffe auf und ab. Viele Touristen kommen in Bussen her«, sagt Aurica Judina, als sie am Ufer der Wriezener Alten Oder entlanggeht. Judina mag es in Oderberg. »Es ist so schön und so ruhig hier, ich lebe sehr gern hier«, sagt sie und lächelt. Die 43-Jährige hat vor etwa einem Jahr geheiratet und wohnt mit ihrem Mann und ihrem 13-jährigen Sohn Anton in der Kleinstadt. Der Junge mache sich gut in der Schule, erzählt Judina stolz. Die Familie könnte glücklich sein. Aber: Judina hat keine deutsche Staatbürgerschaft und ist auch keine EU-Bürgerin. Ob die Moldauerin mit ihrer Familie in Oderberg bleiben kann, ist ungewiss.

Das Hauptproblem ist, dass ihre Ehe aktuell nicht von den Behörden anerkannt wird. »Alle sagen uns das Gleiche: Verlasst das Bundesland, in Brandenburg habt ihr keine Chance«, sagt Judinas Ehemann Helmut Schröder zu »nd«. Dem großen Mann ist anzumerken, dass ihn die Situation stark mitnimmt. Mit so großen Schwierigkeiten bei der Anerkennung seiner Ehe hat er nicht gerechnet. »Ich habe eine EU-Ehe, die ist eigentlich gültig«, sagt Schröder. Er und Judina haben in Dänemark geheiratet, weil das heimische Standesamt keinen Heiratstermin innerhalb von drei Monaten anbieten konnte – das ist der Zeitraum, in dem Judina damals mit ihrem Visum legal in Deutschland bleiben durfte.

Der unsichere Aufenthaltsstatus ist aber nur eines der Probleme, die die Familie mit den Behörden im Kreis Barnim hat. Ohne Anerkennung der Ehe erhält Judina auch keine Arbeitsgenehmigung. »Die Ausländerbehörde hat über ein Jahr lang die Zusammenarbeit mit uns verweigert. Nicht mal unsere Anwältin bekam einen Termin«, sagt Schröder. Judina habe mehrere Arbeitsplatzangebote vorgelegt, aber ohne die Arbeitsgenehmigung hat sie keine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Schröder selbst ist arbeitsunfähig.

»Wir waren also genötigt, Geld vom Amt zu beantragen«, sagt Schröder. Sie versuchten es beim Jobcenter, erhielten aber über Monate hinweg nur Ablehnungen, weil es sich für nicht zuständig erklärte. Einen Hinweis, wohin es sich stattdessen wenden könne, erhielt das Paar nicht. »Eigentlich gibt es eine Weiterleitungspflicht von den Behörden«, habe Schröder später erfahren. Auf sich allein gestellt fehlten der Familie das Einkommen beziehungsweise die Sozialleistungen Judinas. 

Damit nicht genug: Denn anders als die Ausländerbehörde sah das Grundsicherungsamt, auf das Schröder aufgrund der durch das Jobcenter festgestellten Arbeitsunfähigkeit angewiesen ist, im Dezember 2021 die Heiratsurkunde der beiden als Dokument einer legalen EU-Ehe an. Deshalb ging man dort aber auch davon aus, dass Judina entweder einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne oder Zugang zu Sozialleistungen habe, also für einen Teil des Lebensunterhalts im gemeinsamen Haushalt aufkommen könne. Die Folge für Schröder: »Meine Leistungen wurden nach der Eheschließung gekürzt« – auf 490,66 Euro im Monat. »Wie soll eine Familie mit zwei Erwachsenen und einem Kind von dem Geld überleben?«

Die Familie geriet in existenzielle Nöte. »Im Januar haben wir unsere beiden Hühner essen müssen, im Februar das Hühnerfutter«, sagt Schröder und blickt aus dem Fenster der Wohnung, in der die Familie gerade lebt. Auch diese hatte sie zwischendurch verloren, weil sie die Miete nicht mehr zahlen konnte. Die Familie musste bei einer Freundin unterkommen. »Wir wären im März obdachlos geworden. Wir hätten zu dritt auf der Straße gesessen«, sagt Schröder.

Im August 2022 klärte sich die Lage halbwegs: Judina hat aufgrund ihres Aufenthaltsstatus seither Anspruch auf Leistungen des Grundsicherungsamts. Sie erhielt außerdem Nachzahlungen für die Monate ab März 2022. Zumindest ihre Wohnung hat die Familie nun zurück, weil Judina und Schröder Zahlungen vom Amt erhalten. Trotzdem kommt es immer wieder zu Unregelmäßigkeiten: Im Dezember 2022 blieben die Überweisungen des Amts aus, Ende Januar kamen dann Nachzahlungen. Derweil trudeln die Briefe über nicht gezahlte Monatsmieten oder Krankenkassenbeiträge ein. Die Lebenslage der Familie ist also weiterhin äußerst unsicher. »Wir werden systematisch von den Behörden ausgehungert«, sagt Schröder.

Judina und Schröder verliebten sich ineinander, nachdem sie Ende 2019 angefangen hatte, als Kinderbetreuerin für seine damalige Nachbarin Astrid Berger zu arbeiten und auch bei ihm im Haushalt zu helfen. Schröder ist auf diese Hilfe angewiesen, weil er aufgrund der enormen Belastungen und Unfälle in seinem früheren Arbeitsleben im Stahlbau chronische Schmerzen hat. »Ich habe jeden Morgen stundenlang starke Migräne«, so Schröder. Außerdem erleide er immer wieder Zusammenbrüche, dann sei sein Zustand nur noch elend. 

Astrid Berger bestätigt das. Sie selbst habe ihren Nachbarn schon abgeholt, wenn er unterwegs gewesen und es ihm plötzlich so schlecht gegangen sei, dass er nicht mehr allein nach Hause habe kommen können. »Das ist ein ganz feiner, lieber Mensch«, sagt sie über Schröder zu »nd«. Sie möge auch Aurica Judina von Herzen gerne, sagt Berger. Sie passe so gut nach Oderberg und zu Helmut Schröder.

Berger hat selbst ein Arbeitsplatzangebot für Judina geschrieben, mit Wochenstunden und Entlohnung, wie von der Ausländerbehörde gewünscht. Auch das hat bisher nicht ausgereicht, um eine Arbeitsgenehmigung für Judina zu erhalten. »Ich hätte mich damals so gefreut, Aurica einstellen zu können. Dann hätte ich auch meinen Ausbildungsplatz nicht verloren und hätte jetzt vielleicht eine bessere berufliche Perspektive«, sagt Berger. Denn weil Judina nicht längerfristig für sie arbeiten durfte und Berger keine alternative Betreuung für ihren damals 12-jährigen Sohn fand, musste die alleinerziehende Mutter ihre Ausbildung in einem Drogeriemarkt abbrechen. 

Inzwischen hat sich Berger selbstständig gemacht und ist an den Berliner Stadtrand gezogen. Schröder und Judina unterstützt sie trotzdem mit allen Mitteln. Sie begleitet die beiden als Zeugin bei Behördengängen, nahm die Familie bei sich auf, als nicht genug Geld vom Amt für die Miete kam, und hilft bei der Finanzierung der Anwaltskosten, die inzwischen schon einen fünfstelligen Bereich erreicht haben. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das wirklich gar nicht geht, dass die beiden hier legal ihr Leben führen können«, so Berger.

Philipp Grunwald von der Asylverfahrensberatung des Evangelischen Kirchenkreises Barnim berichtet »nd«, dass die Ämter im Barnim Verfahren zur Eheschließung von Menschen mit deutscher und nichtdeutscher Staatsbürgerschaft nur sehr langsam bearbeiteten. »Wir haben diverse Klient*innen mit ähnlichen Schwierigkeiten«, sagt Grunwald. Meist seien es die Standesämter und das Oberlandesgericht, die lange bräuchten und verschiedenste Dokumente einforderten. »Die Verfahren ziehen sich über Jahre.«

So auch im Fall einer langwierigen Eheschließung zwischen einer deutschen Staatsangehörigen und ihrem somalischen Ehemann. 2017 versuchten die beiden erstmals, in einem Barnimer Standesamt zu heiraten. Doch erst vor drei Monaten habe das geklappt, sagt die Ehepartnerin, die anonym bleiben möchte, zu »nd«. Vorausgegangen waren langwierige Auseinandersetzungen mit dem Standesamt und dessen Aufsicht, die schließlich erst vor dem Oberlandesgericht zugunsten des Paares gelöst werden konnten. Nun fehlt dem Ehemann trotz allem eine Reiseerlaubnis. Er kann weder seine Familie in Somalia noch die in Dänemark besuchen, weil sein Pass von den Behörden nicht anerkannt wird.

Doch zurück zu Helmut Schröder und Aurica Judina. Die Kreisverwaltung Barnim dementiert die Vorwürfe. Zu den von Schröder beschriebenen Vorgängen will sich die Verwaltung nicht äußern, um die personenbezogenen Daten ordnungsgemäß zu schützen. »Der Vorwurf, dem Ehepaar würde systematisch nicht genug Geld zum Überleben zur Verfügung gestellt, trifft nicht zu«, sagt Sprecher Robert Bachmann zu »nd«. Er weist darauf hin, dass aktuell ein Widerspruchsverfahren laufe, weshalb der Sachverhalt vollumfänglich erneut geprüft werde. »Darüber hinaus beschäftigt sich auch der Petitionsausschuss des Brandenburger Landtages seit geraumer Zeit mit den im vorliegenden Fall vorgebrachten Vorwürfen«, so Bachmann.

Schröder ist wütend und fassungslos über die nicht enden wollende bürokratische Odyssee. »Wir haben wirklich alles versucht, um über die legalen Wege das Problem zu lösen«, sagt er. Um die Ehe rechtlich anzuerkennen, soll Judina nun in die Republik Moldau zurückkehren, um dann eine Familienzusammenführung zu beantragen. Dort aber könne sie nirgendwo unterkommen, seit 2020 der letzte Anlaufpunkt, das Haus ihrer Mutter, niedergebrannt und die Mutter dabei gestorben sei. Schröder sagt: »Sie ist ja auch nicht allein, sie muss ja auf ihren 13-jährigen Sohn aufpassen. Soll sie denn mit ihrem Kind in Moldau auf der Straße leben?«

Inzwischen hat Judina von den Behörden eine Ausreiseaufforderung erhalten. »Wir haben Einspruch eingelegt. Solange dieses Widerspruchsverfahren läuft, hat sie ein Bleiberecht hier«, sagt Schröder. Trotzdem macht er sich große Sorgen, dass seine Partnerin und der Sohn nicht bleiben dürfen. »Ich habe seit anderthalb Jahren eine Familie, einen Sohn, mit dem ich so ein gutes Verhältnis habe, womit ich gar nicht gerechnet habe. Und jetzt sollen sie fort? Jetzt soll das alles kaputtgemacht werden?«

Auch Judina nimmt die Situation stark mit. Oft müsse sie weinen, ihr Sohn und ihr Ehemann trösteten sie dann. »Ich habe viele Freunde hier. Ich bin eine ruhige Person, ich weiß nicht, warum die Ausländerbehörde mich nicht hierhaben will«, sagt sie. An der Wriezener Alten Oder vergisst sie die Sorgen für einen Moment, als sie zwei Bekannte sieht, die ihren Hund Gassi führen. Strahlend winkt sie den beiden zu und läuft hinüber, um zu plaudern. 

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.