- Sport
- Nordische Ski-WM in Planica
Silberner Protest gegen das IOC
Die 17-jährige Kombiniererin Nathalie Armbruster schreibt mit erster deutscher WM-Medaille Geschichte
Ein X formten alle Kombiniererinnen vor dieser WM-Entscheidung in Planica mit ihren Skistöcken in der Luft als Protest gegen das Internationale Olympische Komitee (IOC). Es steht für »no eXception«, also »keine Ausnahme«. Denn ausgerechnet die Königsdisziplin im Wintersport ist die einzige Sportart, in der es bei Olympia keine Wettbewerbe für Frauen gibt. Mit einem spannenden und hochklassigen Wettkampf machten die Kombiniererinnen an diesem Freitag beste Werbung dafür, dass sich das bald ändert.
Ganz besonders galt das für die Ausnahmeerscheinung Nathalie Armbruster. Die 17 Jahre junge Elftklässlerin des Kepler-Gymnasiums Freudenstadt stürmte mit einer taktischen Meisterleistung zu Silber im Einzelwettbewerb. In ihrem ersten WM-Rennen schrieb sie mit der ersten WM-Medaille für eine deutsche Kombiniererin zugleich Geschichte. »So geil und so unfassbar. Ich fange gleich an zu weinen«, sagte die überglückliche Teenagerin mit dem dicken Zopf. »Zwischendurch hatte ich beim Langlauf keine Kraft mehr. Aber dann habe ich die zweite Luft bekommen und es ging ab.«
Mit einem strahlenden Lachen stürmte sie als Silbergewinnerin ins Ziel, nur 11,5 Sekunden hinter der Dominatorin Gyda Westvold Hansen. Die in diesem Winter ungeschlagene Norwegerin hatte bereits bei der WM-Premiere vor zwei Jahren in Oberstdorf triumphiert. Damals war der Wettbewerb an der Spitze nur eine rein norwegische Angelegenheit gewesen, doch diesmal traten die Frauen den Beweis an, dass sich die Sportart enorm weiterentwickelt hat. Bronze gewann die Japanerin Haruka Kasai, unter den ersten Sechs waren vier verschiedene Nationen vertreten.
Die zahlreichen Fans im Fünf-Kilometer-Langlauf – darunter Skisprung-Weltmeisterin Katharina Althaus und viele andere deutsche WM-Starter – erlebten ein dramatisches Rennen mit Armbruster als Hauptdarstellerin. Nach der Tagesbestweite von 98 Metern auf der Schanze war die Teenagerin als Zweite mit 20 Sekunden Rückstand auf Hansen gestartet. Die lief an der Spitze ein einsames Rennen, dahinter bildete sich eine größere Gruppe um die junge Deutsche. Bei Halbzeit des Rennens hatte die laufstärkste Norwegerin Ida Marie Hagen von hinten aufgeschlossen und stürmte zunächst davon. Doch Armbruster hielt mit unglaublicher Cleverness Sichtkontakt und als Hagens Kräfte erlahmten, zog sie am letzten großen Anstieg vorbei und holte sich die historische Silbermedaille.
Im Zielraum jubelten ungläubig Armbrusters Eltern, Heimtrainer Tino Uhlig und Fans aus ihrer Heimat mit. »Ohne meine Familie hätte ich das nie geschafft. Und auch ein Riesendank ans Team – wir sind unglaublich gut zusammengewachsen«, sagte Armbruster. Sicher auch wegen des Kampfes um die Gleichberechtigung ihrer Sportart bei Olympia. Als symbolisches Zeichen hatte die 17-Jährige schon bei der Eröffnungsfeier dieser WM gemeinsam mit Olympiasieger Vinzenz Geiger die deutsche Fahne getragen.
»Die Entscheidung des IOC gegen unser Olympia-Aufnahme war ein Schlag ins Gesicht, da ist ein Kindheitstraum gestorben. Das macht mich unglaublich wütend. Da geht es nicht um Sport, sondern nur um Geld und Einschaltquoten«, hatte Armbruster schon vor ihrer WM-Premiere geschimpft. Sie wirbt in zahlreichen Interviews und auf ihren Social-Media-Kanälen mit frischen und direkten Worten für ihren Sport: »Ich bin ein sehr gerechtigkeitsliebender Mensch und mir geht das gegen den Strich. Ich kämpfe dafür, dass die Kombination bei Olympia 2030 bei Männern und Frauen dabei ist.«
Diese Deutlichkeit der Aussagen ist für eine 17-Jährige bemerkenswert. Aber Armbruster ist in jeder Hinsicht eine außergewöhnliche junge Frau und schon jetzt die größte Werbefigur für ihren Sport. Das beeindruckt auch ihre Teamkollegin Svenja Würth, die als Skisprung-Weltmeisterin einst zur Nordischen Kombination wechselte, um sich nach vielen Verletzungen doch noch ihren Traum von Olympia zu erfüllen. Dieser Wunsch ist für die 29-Jährige wohl nicht mehr zu verwirklichen, der Frust auf das IOC riesig. Die Herrscher des Olymps würden sich bei Themen wie Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit selbst auf die Schulter klopfen, dabei sähe die Realität ganz anders aus. »Olympia ist nicht mehr das, was es mal war. Ich habe noch niemanden vom IOC bei unserem Sport gesehen. Die Funktionäre haben keinen Kontakt zu den Sportlern. Ich hoffe, Herr Bach lässt sich bei der WM mal blicken.«
Am Freitag hätte er miterleben können, wie spannend die nach IOC-Lesart nicht ausreichend attraktiven Wettbewerbe der Kombiniererinnen inzwischen geworden sind. Und es gibt Protagonistinnen wie Armbruster, deren Strahlkraft nicht nur das gesamte deutsche WM-Team begeistert. Die Teenagerin, die unlängst gewissermaßen im Vorbeigehen deutsche Junioren-Meisterin im Skispringen wurde, will weiterkämpfen, bis ihre traditionsreiche Sportart gerettet ist: »Die Option eines Sportartenwechsels besteht für mich nicht. Dafür liebe ich die Kombination mit ihrer Gegensätzlichkeit von Springen und Langlauf viel zu sehr.«
Erst im vergangenen Frühjahr ins Nationalteam aufgenommen, schaffte die Newcomerin gleich beim Weltcup-Auftakt in Lillehammer als Dritte den historischen ersten Podestplatz für eine deutsche Winterzweikämpferin. Zu den zahlreichen weiteren Podestplätzen in diesem Winter gehörte danach auch einer beim Heim-Weltcup in Schonach.
»Vielleicht 15 Lehrer, der Direktor und endlos viele Freunde« aus ihrer Schule waren als Zuschauer an der Strecke von Armbruster begeistert. Die Elftklässlerin ist der unumstrittene Star ihrer Schule, zumal trotz der »unglaublichen Doppelbelastung« und gigantischer Fehlzeiten im Halbjahreszeugnis ein Schnitt von 1,0 stand. Derzeit sind Ferien und ehe es in die Schule zurückgeht, will Armbruster am Sonntag noch im Mixed-Wettbewerb eine weitere WM-Medaille gewinnen: »Im Team kann man seine Gefühle besonders gut teilen. Und außerdem ist der Mixed-Wettbewerb ein starkes Zeichen für Gleichberechtigung.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.