Wie Mojshe ein Goj wurde

Was ist überhaupt ein Jude?

  • Alexander Estis
  • Lesedauer: 5 Min.

Was ist ein Jude? Darüber hat in Deutschland jeder biogojische Hansjürgen ein letztinstanzliches Urteil. Man fragt mich zum Beispiel: »Kommst du aus Israel?«- »Nein.« »Gehst Du in die Synagoge?« – »Nein.« »Trägst Du eine Kippa?« – »Nein.« »Ißt Du Schweinefleisch?« – »Nein. Ich meine: Ja.« »Glaubst Du überhaupt an Gott?« – »Nein.« »Also bist Du auch kein Jude.«

Ich bin kein Jude, beseder, in Ordnung. Aber sagt mir jemand: Warum ist meine Nase jüdisch – und ich nicht? Früher haben die anderen entschieden, dass wir Juden sind, obwohl wir keine sein wollten. Jetzt wollen die anderen entscheiden, dass wir keine sind, obwohl wir uns damit abgefunden haben.

Ezzes von Estis

Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.

Beseder, es ist ja wirklich kompliziert. Was ist überhaupt ein Jude? Kompliziert. Es ist einfacher zu sagen, was ein Jude nicht ist: Er ist kein Deutscher, er ist kein Hamburger Jung und kein Bayrischer Bursch, kein Burschenschaftssaufliedersänger und kein Weihnachtsplätzchenbäcker. Aber irgendwie ist er doch Deutscher und Hamburger Jung und Bayrischer Bursch, und manchmal alles drei zusammen – und dann aber sogar vier, weil er dazu Jude ist, und am Ende backt er auch noch Plätzchen, obwohl er nicht einmal Weihnachten feiert. Es ist also vielleicht doch nicht einfacher zu sagen, was ein Jude nicht ist.

Also, wer ist ein Jude? Das ist noch immer kompliziert. Es ist einfacher zu sagen, wer ein Goj ist. Wer ist ein Goj? Ein Goj ist eine männliche Schickse. Obwohl eigentlich der Schegez eine männliche Schickse ist. Aber wer ist eine Schickse? Eine Schickse ist ein weiblicher Goj. Obwohl eigentlich die Gojke ein weiblicher Goj ist. Also was ist ein Goj? Bei einem Goj ist alles verkehrt. Was ist bei einem Goj beschnitten? Die Pejes. Wann ist bei einem Goj Samstag? Am Sonntag. Wie spricht der Goj Jiddisch? Ohne jiddische Wörter!

Und das merkwürdigste an einem Goj: Er weiß noch nicht einmal, daß bei ihm alles verkehrt ist. Wie soll er auch, er weiß ja noch nicht einmal, daß er ein Goj ist! Aber eines weiß er, und zwar wer ein Jude ist und wer nicht.

»Warum feierst du Weihnachten nicht?« – »Weil ich ein Jude bin.« »Also feierst du Chanukka?« – »Ich feiere gar nichts!« »Dann bist du doch kein Jude.«

»Sag mir, Rebbe, warum bin ich ein Jude, obwohl ich kein Chanukka feiere, sondern überhaupt nichts?« »Beseder, du feierst überhaupt nichts. Aber wenn du etwas feiern würdest, wäre es dann Weihnachten oder Chanukka?« – »Natürlich Chanukka, Rebbe!« »Siehst du, deshalb bist du ein Jude.«

Wie dem auch sei: Die längste Zeit war es ein Problem, Nichtjude zu werden. Das Gesetz lehrt zwar, wie man Jude werden kann: Das ist ziemlich kompliziert, aber möglich. Das Gesetz lehrt aber nicht, wie man ein Goj werden kann: Das ist nämlich noch komplizierter, weil es unmöglich ist. Außer man wird gleich jemand ganz anderer. Und selbst dann kann es geschehen, daß man ein ganz anderer Jude wird und noch immer kein Goj.

Dazu erzähle ich Euch die Geschichte von Mojsche Fischbein. Mojsche Fischbein war zwar ein Jude, wußte aber nicht genau, was das bedeutet, weil er vielleicht etwas dumm war, und das vielleicht sogar ganz sicher. »Bin ich überhaupt ein Jude?«, fragte er sich. »Oder bin ich ein Christ oder ein Baptist oder ein Buddhist oder ein Taoist oder ein Atheist oder womöglich ein Prokurist?«

Er fragte sich das aber nicht nur, weil er etwas dumm war, sondern vor allem fragte er sich das, weil er keinen Erfolg bei den jüdischen Frauen hatte und hoffte, daß es ihm mit den Schicksen besser ergehen könne. Solange er aber Jude war, durfte er natürlich nicht mit ihnen verkehren. Also ging Mojsche Fischbein zum Rabbi, wie es einer eben macht, der glaubt, kein Jude zu sein.

»Rebbe«, sagte er, »gib mir Ezzes! Ich weiß nicht, wie es kommt, aber es ist mir letzte Zeit so gojisch zumute. Ich fühl mich gar nicht mehr richtig als Jid, besonders des Abends.« »Aj, Mojsche«, antwortete der Rabbi, »red keinen Kohl, man kann seinem Schicksal nicht entkommen.«

Aber Mojsche konnte es nicht lassen, den Nichtjüdinnen nachzulaufen. Also kam der Rabbi selbst zu Mojsche Fischbein und stellte ihn, worauf Mojsche erwiderte: »Rebbe, was soll ich sagen, man kann seinen Schicksen nicht entkommen…« Der Rebbe fand das aber gar nicht lustig, sondern erklärte Mojsche, daß er als ein Jude geboren sei und als Jude sterben werde, selbst wenn er sich zwanzigmal taufen ließe und vom Papst höchstpersönlich fünf Kilo Hostie empfinge. Also habe er jüdisch zu leben – nicht der Papst, sondern Mojsche –, jüdisch zu essen, jüdisch zu trinken und jüdisch beizuschlafen, ob er wolle oder nicht wolle.

Nun beschloß Mojsche Fischbein aus Daffke, erst recht kein Jude mehr zu sein. Er sagte: »Schalom, meine Jidn, ich bin a Goj.« Und alle riefen: »No na, du heißest Mojsche, aber bist a Goj!« Er antwortete: »Bin ich halt a gojischer Mojsche!« Da lachten alle, der Schammes lachte, der Rabbi lachte, alle Chassidim lachten und alle Christen und alle Moslems und alle Muslime, und die Baptisten und die Buddhisten lachten auch und die Hinduisten und die Atheisten und die Nihilisten und die Philatelisten. Alle Welt lachte, und sogar Gott mußte lachen, und tat, daß dem Mojsche Fischbein die Pejes abfielen, die Nase schrumpfte, die Vorhaut wieder heranwuchs und daß er von nun an Moritz Gräter hieß und obendrein auch noch katholischer Pfarrer wurde. Da staunten alle nicht schlecht, wie gojisch Mojsche geworden war.

Ihm selbst aber hatte das nicht viel gebracht, sondern sogar weniger, denn er durfte als Pfarrer schon wieder nicht mit Frauen verkehren, weder mit nichtjüdischen noch mit sonstigen, nämlich jüdischen. Was soll ich sagen? Man kann seinem Schicksal eben nicht entkommen, selbst wenn man meint, jemand ganz anderer geworden zu sein.

Aber das braucht man gar nicht werden, denn als Jude ist man ohnehin schon immer ein anderer. Deshalb kann man es auch gleich bleiben.

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