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Kollapsologie: Dem Untergang geweiht?

Das jüngst übersetzte »Handbuch der Kollapsologie« beschwört den Zusammenbruch der Zivilisation, an der die Autoren aber ohnehin wenig Gutes erkennen

  • Jennifer Stevens
  • Lesedauer: 7 Min.
Wie die Dinosaurier: Der »dekadenten« Zivilisation wurde schon unzählige Male ihr Ende prophezeit. Nicht selten geht die Untergangsfantasie mit vorsintflutlichen Ansichten einher.
Wie die Dinosaurier: Der »dekadenten« Zivilisation wurde schon unzählige Male ihr Ende prophezeit. Nicht selten geht die Untergangsfantasie mit vorsintflutlichen Ansichten einher.

Während einige Klimaaktivist*innen sich noch im Kampf gegen den drohenden Weltuntergang an Kunst oder Straßen festkleben, sind andere sich bereits sicher, dass die Welt, wie wir sie kennen, »vielleicht schon 2050 oder 2100« zusammenbrechen wird. So lautet jedenfalls das Urteil des Biologen Pablo Servigne und des Öko-Beraters Raphaël Stevens in ihrem erstmals 2015 im Französischen veröffentlichten »Handbuch der Kollapsologie«, das nicht nur in Frankreich großes Aufsehen erregt hat. Letztes Jahr ist die deutsche Übersetzung »Wie alles zusammenbrechen kann« von Lou Marin im Mandelbaum Verlag erschienen und der Titel ist Programm: Die Frage der Autoren ist nicht, ob und wann der Untergang stattfinden, sondern nur noch, wie er aussehen wird.

Das Handbuch soll die neue Forschungsrichtung »Kollapsologie« vorstellen, die die Autoren »als transdisziplinäre Ausübung des Studiums des Zusammenbruchs unserer industriellen Zivilisation definieren«. Für sie bedeutet das, auch eine Zukunft nach dem antizipierten Kollaps zu denken, und zwar »indem wir uns auf zwei kognitive Modelle stützen, die die Vernunft und die Intuition sind, sowie auf valide und anerkannte wissenschaftliche Arbeiten«. Der Anspruch, das komplexe Zusammenwirken von Natur und Gesellschaft vom Ende her zu begreifen, mag besonders in den viel beschworenen Krisenzeiten bestechen. Schnell aber zeigt sich, dass dieser Ansatz hinter seinen eigenen Anspruch zurückfällt und eine solche Erklärung nicht leisten kann.

Kollapsologisches Bauchgefühl

Die »Anfänge des erwarteten Zusammenbruchs« verdeutlichen die Autoren anhand einer Auto-Metapher. Der PKW dient als Bild für die individualistische Gesellschaft, die unweigerlich die »thermo-industrielle Zivilisation« vor die Wand fahren werde. Dieser Prozess verlaufe in »totaler Beschleunigung«, an der die Autoren nicht weniger als »die Bevölkerungsentwicklung, das Bruttosozialprodukt, der Wasser- und Energieverbrauch, die Nutzung von Düngemitteln, die Produktion von Motoren oder Telefonen, der Tourismus, die atmosphärische Konzentration von Treibhausgasen, die Anzahl der Überschwemmungen, die den Ökosystemen zugefügten Schäden, die Zerstörung der Wälder, der Prozentsatz des Aussterbens der Arten usw.« problematisieren. Diese Faktoren werden in einer mit Studien, Modellen und Hochrechnungen angereicherten Zusammenschau erläutert und ein ernstzunehmendes Bild von der folgenschweren Ausbeutung der Natur gezeichnet.

Den Globalisierungskritikern Sevigne und Stevens verstellt sich aber der Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, die den Zusammenhang dieser Ausbeutung bilden. Die Autoren begreifen die Beschleunigungen als Exzesse von Ausbeutung und landen daher immer wieder beim Finanzsektor, auf den sich ihr Ökonomieverständnis beschränkt. Letzteres äußert sich auch in ihrer stetigen Parallelisierung von »natürlichen Systemen und den Systemen des Menschen«, die bei aller Einsicht in die menschliche Abhängigkeit von der Natur stutzig machen muss. Für die Kollapsologen bleiben die gesellschaftlichen Verhältnisse Naturverhältnisse, die fleißig herbeimodelliert werden, anstatt sie zu hinterfragen. Es fehlt ihnen ein Verständnis davon, inwiefern die Trennung der Menschen von der Natur konstitutiv ist für eine kapitalistische Organisation der Arbeit, die jene materiell-stoffliche Naturgrundlage ständig untergraben muss. Dagegen lautet die kollapsologische Ahnung: Wie in der Umwelt so auch in der Finanzwelt bedeute höhere Komplexität auch höhere Verletzbarkeit und Unprognostizierbarkeit. Einen Ausweg aus dieser Undurchdringbarkeit des Ganzen sieht die Kollapsologie in der »Intuition«.

Diese kollapsologische Intuition lässt sich von einem Potpourri an kurzgegriffener Eliten-, Verteilungs-, Wachstums-, Dekadenz-, und Konsumkritik leiten, die eine hohe Anschlussfähigkeit für Verschwörungsmythen bietet. Die Gründe für den Zusammenbruch seien in der »Überbevölkerung«, der »Überkonsumtion der Reichen« und in einer »peinlichen Wahl von Technologien« zu suchen. Während über die konkreten gesellschaftlichen Eigentums- und Produktionsverhältnisse hinweggegangen wird, stehen in ihrer populistisch-simplifizierenden Version sozialer Ungleichheit die »Bürger*innen« einer ominösen »Elitenkaste« gegenüber, nachdem das demokratische Modell »eindeutig oligarchisch geworden« sei. Die Unfähigkeit, zwischen liberal-demokratischen und despotisch-oligarischen Herrschaftsformen zu unterscheiden, zeigt einen politischen Relativismus, der nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine unhaltbar ist. Weiter wird einer »Hyperglobalisierung« die Verzehnfachung der Risiken in den verschiedenen Energie-, Finanz-, Öko- und Sozialsystemen zur Last gelegt. Ebenso wird die vermeintliche Bodenlosigkeit der Zivilisation beklagt, die sich von »künstlichen Strukturen abhängig« mache und dem Großteil der Menschheit das Überleben nach ihrem Zusammenbruch verunmögliche. Darin deutet sich bereits der reduktionistische Lösungsvorschlag für die ökologische Katastrophe der Gegenwart an, der auf das Zauberwort Resilienz hört.

Malthusianische Sozialtechnokratie

»Obsession mit dem ökonomischen Wachstum«, Verdrängung beziehungsweise »Blindheit« dienen als psychologistische Erklärungsversuche, warum die politische und ökonomische Elite nichts gegen die Ungleichheit unternehme, obwohl diese den zivilisatorischen Niedergangs sei drastisch beschleunige: »Nicht nur ist die ökonomische Ungleichheit toxisch für eine Gesellschaft, sondern die Gleichheit ist auch gut für alle, sogar für die Reichen!« Die Verkürzung führt im Weiteren zu problematischen politischen Implikationen.

Die Autoren propagieren in Anlehnung an die US-amerikanische Umweltwissenschaftlerin Donella H. Meadows eine Institution, gewissermaßen eine Art Generalkartell, um »die Einkommen neu und gerecht zu verteilen«. An anderer Stelle haben die Behörden sogar die Aufgabe, »die Konsumtion der Reichen streng zu reduzieren und für die Ärmsten ein lebensnotwendiges Minimum zu garantieren«. Hieran wird die Begeisterung der Postwachstumsökonomen für eine total verwaltete, staatlich regulierte Marktwirtschaft ohne Wachstum deutlich. Ihnen geht es dabei nicht um die Aufhebung, sondern um die Beschwichtigung sozialer Unterschiede: den Reichen die Luxusbeschränkung, den Armen ihr Gnadenbrot. Eine Gesellschaft von Individuen, die ihren Stoffwechsel mit der Natur bewusst und nach ihren Bedürfnissen ausrichten, scheint für die Autoren unvorstellbar. Mit nicht wenig Genugtuung meinen sie, man könne »Wetten darauf abschließen, dass die Individualist*innen bei Energieknappheit die Ersten sein werden, die sterben«. Individualität wird zu einem ungeheuerlichen Egoismus, der zugunsten des Kollektivs ausgetrieben werden muss.

Aus dieser Logik heraus ist ihre Forderung zur Reglementierung des Bevölkerungswachstums nur schlüssig. Die von ihrem Publikum häufig an die Autoren gerichtete, vernünftige Frage, fungiert daher als rhetorische: »Möchten Sie es so machen wie in China?« Da für Sevigne und Stevens Individualismus einen energieaufwändigen Luxus darstellt, den sich die Gesellschaft nicht mehr leisten kann, stehen Staatsdespotien wie Kuba und China Modell für eine den umweltpolitischen Herausforderungen gerecht werdende Organisation von »Behörden«, ausgestattet »mit der Schnelligkeit und der Macht«, die richtigen »Hebel« zu betätigen, um das Menschenmaterial in die klimagerechte Produktion zu administrieren.

Hier nun spricht die Fantasie des Sozialtechnokraten in ihrer malthusianischen Reinform: »Wenn wir heute schon nicht kollektiv darüber entscheiden können, wer geboren wird (und wieviele), können wir dann wirklich in einigen Jahren ernsthaft darüber entscheiden, wer sterben soll (und wie?)« Aus Sicht der Autoren ist es aber – glücklicherweise, muss man hinzufügen – ohnehin bereits zu spät, um die Menschenmasse zu verwalten.

Ewige Mittelmäßigkeit

Was der Menschheit angesichts des unausweichlichen Zusammenbruchs noch bleibe, klingt dagegen fast harmlos spiritualistisch: »Die Macht der Phantasie findet sich in den Details. Es genügt, sich auszumalen, vorzustellen und gemeinsam von ihnen zu träumen.« Kollektiv müssten also neue Erzählungen her, die die Phantasie »entkolonialisieren«, um sich von der individualistischen und materialistischen Gesellschaft zu verabschieden. Psychologisch müsse eine Trauerarbeit angeregt werden, die durch Angst und Wut leite und schließlich zur Akzeptanz führe, um »eine wünschenswerte Zukunft aufzubauen, ja im Zusammenbruch eine große Gelegenheit, eine Chance für die Gesellschaft zu erblicken«.

Innere Haltung zeigen, optimistisch sein, im Kleinen beginnen, lautet das phraseologische Arsenal, mit dem eine Politik des Übergangs eingeleitet werden soll. Konkret bedeutet das für Sevigne und Stevens »Initiativen für Resilienz« ins Leben zu rufen, die sich vom industriellen System abkoppeln, indem sie »im Vornherein auf alles verzichten, was es stützt (industriell fabrizierte Nahrungsmittel, Kleidung, schnelle Ortswechsel, verschiedene Objekte elektronischer Art usw.)«. Gegen die Dekadenz früherer Generationen, die wie wildgewordene Teenager das Fest des Fortschritts feierten, sei nun ein Weg der »langen Mittelmäßigkeit« einzuschlagen. Die Autoren, die übrigens die Selbstbezeichnung als Apokalyptiker ablehnen, entpuppen sich nun doch als genau das. Sie entfalten die biedermeierische Heilsvision von einem »weniger komplexen Leben, kleiner bescheidener, gut abgeschottet an den Grenzen und Begrenzungen des Lebendigen. Der Zusammenbruch ist nicht das Ende, sondern der Beginn unserer Zukunft.«

Das ist eine Zukunftsvision, die die Möglichkeit eines vernünftigen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs aufgegeben hat; eine Zukunft von bescheidenen, kleinen Gemeinschaften, denen nur bleibt, sich mit dem unausweichlichen Elend zu arrangieren. Sevigne und Stevens ist beizupflichten, dass es an der Zeit ist, »ins Erwachsenenalter überzutreten«. Das würde aber voraussetzen, sich unserer gesellschaftlichen Verhältnisse ebenso wie der damit verbundenen Zerstörung der Natur endlich bewusst zu werden, anstatt den Untergang als Schicksal zu begreifen.

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