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Walter Homolka: Die Geschichte hinter den Vorwürfen
Walter Homolka ist eine umstrittene Persönlichkeit innerhalb der Jüdischen Gemeinde und universitären Rabbinerausbildung
»Er ist klüger als andere, schneller als andere, unberechenbar und etwas seltsam. Ein Überflieger, ein Sonderling, ein Filou.« So könnte eine Dokumentation über den Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka beginnen, wie sie heutzutage von Netflix bis in die öffentlich-rechtlichen Sender gängiges Format für Enthüllungen und Machtkomplotte großer Persönlichkeiten geworden ist. Walter Homolka würde eine solche Enthüllungs-Doku verdienen, ist er doch hierzulande in der Jüdischen Gemeinde derzeit umstritten wie kein anderer: Vorwürfe auf Ämter- und Machtmissbrauch sowie wissenschaftliches Fehlverhalten brachten die schillernde Persönlichkeit in Bedrängnis. Die Presse, jedenfalls die nichtreligiöse, zeigt sich überfordert. Homolkas Anwälte haben in etlichen Fällen den Journalisten oder ihren Verlagen Unterlassungserklärungen geschickt.
Doch von vorn: Im Vorspann läuft etwas Reißerisches mit großen Fragen zum Zeitgeist. Dann etwas darüber, dass es im Judentum – wie in einer Großfamilie – nahe und ferne Verwandte, Hineingeborene und in die »Mischpoke« praktisch Eingeheiratete sowie schließlich auch schwarze Schafe gebe. Doch bevor Homolka selbst auftaucht, braucht es noch die Vorgeschichte, wegen der vielen Gojim im Publikum.
Folge 1
Deutschland: Kein anderes Land in Europa ist so sehr mit dem Schicksal des Judentums verbunden. Das Wort »Aschkenasim«, wie sich die Juden in Europa nennen, stammt vom hebräischen »Aschkenas«. In der alten rabbinischen Literatur wurde damit das Gebiet der Deutschen bezeichnet. Hier gab es Duldung und Austreibung, Ghetto und Emanzipation, Assimilation und Gleichberechtigung. Und schließlich Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung. Das Judentum in Deutschland ist nahezu untergegangen. Von den Versuchen seiner Wiederbelebung erzählt die Dokumentation. Und davon, welche Rolle Walter Homolka dabei spielte.
Die Dokumentation kann überhaupt erst produziert werden, weil sich die meisten Deutschen heute wohl in ihrer historischen Haut fühlen; alles sei geklärt und aufgearbeitet. Man habe sich entschuldigt, und zwar für etwas, das man persönlich nicht getan hat. Und auch nicht die Großeltern und Urgroßeltern. Denn der deutsche Faschismus habe um die eigene Familie einen weiten Bogen gemacht, ganz bestimmt. Und nachdem die Täter sämtlich – in Frieden und unbehelligt – verstorben sind, scheut der Staat keine Mittel und Mühen, das jüdische Leben im Land neu zu beleben.
Die buchstäbliche Wieder-Gut-Machung der Deutschen (oder wie es der Berliner Rabbi Rothschild nennt: die »Wiederjudmachung«) fand ihren Ausdruck nicht zuletzt in den rund 200 000 jüdischen Kontigentflüchtlingen, die seit 1990 aus den Staaten der früheren Sowjetunion in die Bundesrepublik einwandern durften. Viele von ihnen nach Ostdeutschland, in eine Gegend also, von der Theologe Wölf Krötke sagt, dass die Menschen dort vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben. Mit solcher Gottesvergessenheit werden sich auch so manche Kontigentflüchtlinge getragen haben, die kaum eine Beziehung mehr zur Religion ihrer Vorfahren hatten.
Das bedeutet auch ein Spannungsfeld in der jüdischen Gemeinde: Ohne Konvertiten würde es heute vielerorts in Deutschland kein Gemeindeleben geben. Weil aber die deutsch-jüdische Identität eng verknüpft ist mit der Erfahrung der Shoah, sehen sich zum Judentum übergetretene Deutsche auch dem Vorurteil ausgesetzt, diese jüdische Erfahrung für sich zu vereinnahmen. Für den konvertierten Rabbiner Walter Homolka schien dies kein Problem: »Überhaupt ist für meine Generation die Shoah auch nicht mehr so zentral«, zitiert ihn der »Tagesspiegel« 1998. Homolka gehört damit zu jener in den letzten 25 Jahren in Deutschland entstandenen, wie es die Judaistin Barbara Steiner beschreibt, »Subkultur aus engagierten Konvertiten …, die wiederum ihrerseits als Kultusakteure das Judentum prägen und wiederum selbst Konvertiten ins Judentum aufnehmen«. Steiner betont auch, dass dies durchaus als Bedrohung einer prekären jüdischen Identität empfunden wird. Und Schnitt. Abspann.
Folge 2
Die zweite Folge beginnt mit der Aufzählung der biografischen Daten Walter Homolkas, allerdings ohne Gewähr: Jahrgang 1965, geboren in Landau an der Isar. Übertritt zum Judentum mit 18 Jahren, mindestens zwei Promotionen im Ausland, eine davon – für ein Mitglied der jüdischen Gemeinde eher unüblich – in christlicher Dogmatik. Der junge Homolka arbeitet für die Bayrische Hypotheken- und Wechselbank. Zwischendurch Ordination zum Rabbiner und gleichzeitig Aufstieg in die Geschäftsetage bei Bertelsmann. Bald darauf tritt Homolka in Hamburg in Erscheinung – als Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, der wohl einflussreichsten NGO in Deutschland. Schnitt.
Bei Greenpeace kaum im Amt, sorgt Homolka 1998 für Unmut unter den Aktivisten. Wie seinerzeit die Tageszeitung »Welt« berichtete, beteilige sich der neue Chef zu wenig an Aktionen. Überhaupt kümmere er sich mehr um alles Mögliche, aber nicht um Umweltthemen. Statt mit dem Fahrrad, heißt es, fährt er mit dem Taxi zur Arbeit und statt mit der Bahn reist er lieber mit dem Flugzeug. »Der Spiegel« geht noch weiter, spricht vom »Verdacht der Schaumschlägerei«. Homolka ist ein Phänomen: In den Medien scheint er als Person dauerpräsent – nur nicht mit dem Programm und den Themen von Greenpeace. Und Schnitt.
In der nächsten Szene erleben wir Rabbi Homolka als Geschäftsführer der Kulturstiftung der Deutschen Bank, die ihm jedoch umgehend, schreibt »Der Spiegel«, ein sechsmonatiges Sprechverbot auferlegt. »Er darf weder Interviews geben noch Erklärungen verbreiten, bis er in seinem neuen Job eine ›Leistung erbracht‹ hat.« Eines Tages, hier nimmt die Dokumentation an Fahrt auf, wird dieser Walter Homolka aufsteigen zur »mächtigsten Gestalt des liberalen Judentums«, wie es Heike Schmoll in der FAZ schreiben wird. Und Schnitt.
Neue Szene. Ein Mann ist zu sehen, in Frack und mit jeder Menge Ordenslametta. Eine Stimme aus dem Off zählt die Ämter und Auszeichnungen auf, die Walter Homolka auf sich vereint: Chairman der Leo Baeck Foundation, Rektor des Abraham Geiger Kollegs und Direktor des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, Professor ohne Habilitierung, Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, Großer Verdienstorden mit Stern der Republik Österreich, Verdienstorden des Landes Berlin und des Landes Brandenburg, Träger des Verdienstorden der Italienischen Republik, des Muhammad-Nafi-Tschelebi-Friedenspreises und des Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Gold, Ritter der französischen Ehrenlegion, Träger des Ordens der Eichenkrone vom Großherzogtum Luxemburg und noch dazu Offizier des rumänischen Treudienst-Ordens. Um so viele Orden in Würde tragen zu können, braucht der Konsul von Ruanda (mit Sitz in Magdeburg) selbstredend einen gewissen Körperumfang, wie der Schriftsteller Chaim Noll in der »Jüdischen Rundschau«schreibt.
Folge 3
Januar 1998, kurz vor Homolkas medienträchtiger Greenpeace-Episode: Der württembergische Landesrabbiner Joel Berger erklärt im Namen der orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands, »dass Herr Dr. Walter Homolka weder Rabbiner noch Jude ist«. Unmut auch bei der liberalen Minderheit. Der bekannte Publizist Micha Brumlik tritt vom Vorsitz der Union progressiver Juden (UpJ) zurück. Als Grund gibt der damalige Professor aus Heidelberg das Agieren seines UpJ-Vorstandskollegen Walter Homolka an. Sein Vorwurf: christliches Denken. Im Interview mit der »Jüdischen Allgemeinen« wird Brumlik konkret: »Wie mir erst jetzt bekannt wurde, hat er im März 1993 in einer evangelischen Kirche in München anlässlich der Feierlichkeiten zu seiner Doktorarbeit eine evangelisch-lutherische Predigt in eindeutig christlicher Dogmatik gehalten. In dieser Predigt heißt es u.a. ›Gnade sei mit Euch von Gott, unserem Vater, und seinem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, der regiert in der Einheit nach dem Heiligen Geiste‹.«
Die christliche Predigt hatte Walter Homolka etliche Jahre nach seinem Übertritt zum Judentum gehalten, weshalb verständlicherweise Fragen laut wurden nach der Gültigkeit seiner Konversion. Was folgte, war eine Auseinandersetzung, die an Schärfe und Beschimpfungen den Vergleich mit linken Parlamentsfraktionen nicht zu scheuen braucht. »Um Gottes Willen«, möchte man rufen, wobei niemand den Willen des Allmächtigen kennt. Im Hebräischen heißt es daher: »Chas v‘shalom«, was übersetzt so viel bedeutet wie: »Gott behüte«. Worte, die sicherlich auch Michael Fürst gerufen haben wird. Der damalige Präsident des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen erklärte: »Ich halte Homolka für einen Scharlatan der allergrößten Güte, der nur sein Ziel der immerwährenden Selbstdarstellung vor Augen hat, verbunden mit einem Machtstreben, das nicht normal scheint.«
Von einem »Scharlatan« sprach auch Paul Spiegel, ab Januar 2000 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Wohingegen der schon erwähnte Joel Berger seinen liberalen Kollegen spöttisch einen »Wunderrabbiner« nannte. In einem Leserbrief an die »Stuttgarter Zeitung«, die Homolka wie gewohnt hatte hochleben lassen, schrieb Rabbi Berger im Februar 1998: »Ich würde mir wünschen, dass Dr. theol. Walter Homolka vielleicht auch einmal meinen geliebten Bundesligaverein Werder Bremen übernimmt. Er würde ihn bestimmt zur deutschen Meisterschaft führen! Wer, wenn nicht er, der ›Wunderrabbiner‹ Dr. theol. Walter Homolka!« Joel Bergers besondere Wertschätzung für den Amtsbruder zeigt sich an der wiederholten ausführlichen Benennung des Doktorgrades, der nun mal nicht in jüdischer Theologie erworben wurde, sondern in christlicher Dogmatik.
Folge 4
Längst verfügt Walter Homolka über ein exzellentes Netzwerk. Er kann Menschen begeistern, für sich gewinnen. Und er kann Geld vom Staat auftreiben. Mit anderen gründet er 1999 an der Potsdamer Universität das Abraham-Geiger-Kolleg, seit Kriegsende in Deutschland die erste Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner. Zur gleichen Zeit laufen die Verhandlungen zwischen dem Zentralrat der Juden und der Bundesregierung zu einem Staatsvertrag, der 2003 in Kraft treten wird, und zumindest die materielle Existenz der Jüdischen Gemeinden in Deutschland dauerhaft sichert. Voraussetzung dafür aber ist, dass der Zentralrat wirklich für alle Juden in Deutschland spricht, also auch für die Union progressiver Juden. Eine Spaltung muss um jeden Preis verhindert werden. Der spätere Vorsitzende des Zentralrats, Josef Schuster erinnerte sich unlängst in der FAZ: »Das ging, auch aus politischen Gründen, nur noch mit einer Einbindung Homolkas, der mit dieser Spaltung drohte und bereits zu Beginn der Nullerjahre ein dichtes Netz etabliert hatte und internationale Unterstützung erhielt.«
Mit den jüdischen Kontigentflüchtlingen aus der einstigen Sowjetunion hat sich in der Bundesrepublik die Mitgliederzahl der Jüdischen Gemeinden mehr als verdreifacht, zeitweilig auf über Hunderttausend. In den wachsenden Gemeinden werden nun auch Rabbiner und Kantore gebraucht; das Abraham-Geiger-Kolleg wird zu einem wichtigen geistigen Zentrum des liberalen Judentums. Zur gleichen Zeit wächst auf dem Potsdamer Campus ein weitverzweigtes Machtsystem,eine hierzulande im Judentum nie da gewesene Ämterhäufung. Homolka – als Rektor der neuen Rabbinerschule, die als Privatinstitut an die Universität Potsdam angegliedert ist – gehört bald schon nahezu allen Gremien an, die im liberalen Judentum über Karriere und Förderung entscheiden. In Anlehnung an den Namensgeber Abraham Geiger (1810–1874) lautet sein Credo: »Durch Wissen zum Glauben.« Man möchte meinen, beide Konzepte schlössen einander aus; Glauben ist nicht Wissen. Wenn Gott existiert, so hat er sich nie den Menschen offenbart. Es gibt also keine »Heiligen Schriften«, nur Zeugnisse menschlicher Dichtkunst. Ein Rabbiner ist ein Sachverständiger, der für jahrtausendealte Speisevorschriften und Lebensgebote wirbt und dabei, wie alle anderen Geistlichen, keinen exklusiven Zugang zur Wahrheit besitzt.
Offenbar sieht Homolka das aber anders. In einem Buch über das Leben mit und ohne Gott (dessen Mitherausgeber der Autor dieses Artikels war) schreibt er, dass der Glaube eine spannende Entdeckungsreise sei, um den Willen Gottes zu erfassen. Einfach nur ein anständiges Leben führen reicht auch. Oder wie es bei Homolka heißt: »Mit der Orientierung auf die sittliche Tat tritt die Frage nach der geglaubten ›Wahrheit‹ im Judentum in den Hintergrund.« Und Schnitt.
Folge 5
Anfang Dezember 2022. In einer gemeinsamen Erklärung des Zentralrats der Juden in Deutschland, des Bundesministeriums des Inneren sowie des brandenburgischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur heißt es: Man nehme die Ergebnisse der umfassenden Untersuchung der Strukturen und Vorgänge am Abraham Geiger Kolleg Potsdam durch die Rechtsanwaltskanzlei Gercke Wollschläger, die nun in Form einer Executive Summary vorlägen, mit großem Befremden angesichts der geschilderten Vorgänge und Strukturen zur Kenntnis. Die drei Zuwendungsgeber des liberalen Rabbinerseminars erklären: »Aus unserer Sicht gibt es keinen Anlass, die Sachverhaltsdarstellung in Zweifel zu ziehen.« In einer eigenen Pressemitteilung erklärte der Zentralrat der Juden in Deutschland zu eben dieser »Executive Summary« u.a., dass sich darin die Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegenüber Rabbiner Homolka und sowie der Diskriminierung bestätigt hätten. Das Geflecht von Abhängigkeiten, schreibt die FAZ, trage »Züge eines absolutistischen Machtmonopols«. Der Spannungsbogen der Dokumentation steigt: »Ein Verbleib von Professor Homolka in seinen bisherigen Ämtern ist mit diesem Ergebnis nicht mehr denkbar«, so der Präsident des Zentralrats Josef Schuster im Interview mit dem RBB-Inforadio. Am Abraham-Geiger-Kolleg habe eine in der Struktur angelegte »Kultur der Angst« geherrscht. Das persönliche Fehlverhalten von Rabbiner Homolka, die von ihm angehäuften Ämter und die Schaffung von Abhängigkeiten hätten im Zusammenspiel mit strukturellen Ursachen ein Umfeld geschaffen, »das den hohen moralischen und ethischen Standards einer Rabbinerausbildung nicht gerecht wird«. Die Kritik richtet sich auch gegen seinen Ehemann, der als Dozent und Geschäftsführer der Allgemeinen Rabbinerkonferenz tätig war.
Dabei sind die meisten Vorwürfe nicht neu. Wer es wissen wollte, wusste es. Doch erst der Skandal im Mai desselben Jahres brachte das System Homolka ins Wanken. Dieser begann, nachdem ein Student einen Gastprofessor, den Judaisten Jonathan Schorsch, um Hilfe gebeten hatte, beim Umgang mit unerwünschtem Pornomaterial, das er angeblich von Homolkas Ehemann erhalten hatte, der ebenfalls Mitarbeiter des Rabbinerseminars war.
Zum eigentlichen Skandal aber wird der Umgang mit dem Skandal: die Versuche der Universität Potsdam die Vorgänge und zutage getretenen Zustände und Machtverhältnisse am Abraham-Geiger-Kolleg klein zu halten. Ein einziger Artikel in der »Welt« tritt im Mai 2022 die Lawine los. In der Folge setzt die Universität Potsdam eine vorsichtig agierende Untersuchungskommission ein, die die Ämterhäufung und den Machtmissbrauch Homolkas feststellt, sich aber für disziplinarische Maßnahmen außerstande sieht. Parallel dazu hatte der Zentralrat der Juden ein unabhängiges Rechtsanwaltsbüro mit der Aufklärung beauftragt, bei dem sich in den folgenden Monaten rund achtzig Menschen meldeten.
Zur gleichen Zeit gibt Rabbiner Homolka der »Zeit« ein Interview, in dem er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als Rufmord bezeichnet. Homolkas Glaubwürdigkeit leidet allerdings unter einem flexiblen Verhältnis zu den Tatsachen, das etwa auch seine eigene Biografie betrifft. In der »Zeit« heißt es: »Sein Vater war katholisch, seine Mutter evangelisch. Mit 17 trat er zum Judentum über. Heute lehrt er Jüdische Religionsphilosophie«. In seinem Wikipedia-Eintrag ist hingegen von der jüdischen Herkunft der Mutter die Rede. Als Quelle wird ein »Tagesspiegel«-Artikel aus dem Jahr 2013 von Caroline Fetscher angeben. Wenn Homolka jetzt Recht behalten wolle, müsste sich Fetscher diese Angaben also ausgedacht haben. Ebenso wie die FAZ, die von einer »jüdischen Großmutter, die sich evangelisch taufen ließ«, berichtete.
Die Wochenzeitung »Der Freitag« unterschrieb vor kurzem eine Unterlassungserklärung von Homolkas Anwälten. Das Blatt darf nie wieder verbreiten, dass Walter Homolka irgendwann erklärt habe, eine Mutter oder Großmutter jüdischer Herkunft zu haben. Die Judaistin Barbara Steiner würde dem widersprechen. Während der Arbeit an ihrer Promotionsschrift »Die Inszenierung des Jüdischen«, die sich mit der Konversion zum Judentum beschäftigte, bat sie Homolka um ein Gespräch. In einer Mail vom 3. Dezember 2008 lehnte dieser aber ein Treffen mit ihr ab, mit der Begründung: »da ich als Kind mit einer Statusfeststellung in die jüdische Gemeinde aufgenommen wurde, treffe ich nicht Ihre Zielgruppe.« Steiner resümiert dazu, dass, »indem er seine Konversion zu einer Statusfeststellung umdeutet und sich auf eine christlich getaufte jüdische Mutter beruft«, Homolka seine Aufnahme »in einen anderen biographischen Zusammenhang« stelle.
Auf Homolkas Wikipedia-Seite finden sich weitere Formulierungen, die zu beanstanden wären. Es wird suggeriert, dass er am Londoner Leo Baeck College zum Rabbiner ordiniert wurde, was offensichtlich nicht der Wahrheit entspricht, denn sein Rabbinatsstudium hat er dort nicht zu Ende geführt. Der 2016 verstorbene Berliner Rabbiner Nathan Peter Levinson informierte schon Ende der Neunzigerjahre in einen Brief an Michael Fürst, dass Walter Homolka, den er schon als Jugendlichen kannte, vermutlich eine »Smicha«, eine Privatordination, erhalten habe. Bei Wikipedia kritisch zu hinterfragen ist auch der Absatz zu Homolkas Promotionen. Wie die FAZ dieser Tage berichtete, hat die Universität Potsdam das King’s College London darum gebeten, Homolkas Dissertation zu überprüfen. In seiner dort eingereichten englischsprachigen Arbeit, für die ihm 1992 der englische Doktorgrad PhD verliehen wurde, habe Homolka mehr als 60 Seiten einer unveröffentlichten Examensarbeit der evangelischen Theologin Dorothee Schlenke ohne Quellenangabe übernommen und ins Englische übersetzt. Schnitt.
Folge 6
Im Unrecht sein, aber Recht bekommen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die letzte Folge und wirft einen Blick auf die juristische Auseinandersetzung um Homolka. Am 22. Februar 2023 verschickte der Zentralrat der Juden in Deutschland eine Presseerklärung, wonach Homolka vor dem Landgericht Berlin mit seiner Klage auf Erlass einer einstweiligen Verfügung überwiegend unterlegen sei. Verdachtsäußerungen zu Machtmissbrauch und Diskriminierungen seien auch weiterhin zulässig. Im Dezember 2022 waren, wie schon erwähnt, die Ergebnisse der unabhängigen Untersuchung in einer vorläufigen »Executive Summary« veröffentlicht worden. 21 darin enthaltene Formulierungen hatte Homolka angegriffen, bei 14 Äußerungen, die vor allem Vorwürfe des Machtmissbrauchs betrafen, scheiterte er.
Der Schaden für Homolkas Reputation ist längst eingetreten, und daran ändern auch die Anwälte nichts. Die Allgemeine Rabbinerkonferenz (ARK) hat ihn unlängst mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit – 19 Stimmen bei 27 Anwesenden – ausgeschlossen. Die »Jüdische Allgemeine« zitiert hierzu die Rabbinerin Ulrike Offenberg, eine Konvertitin: Nach dem Beschluss habe ein Gefühl der Erleichterung geherrscht. »Die Entscheidung hat so lange gedauert, weil vom Machtmissbrauch und der moralischen Korrumpiertheit auch einige Leute profitiert haben. Es ist schambehaftet, das einzugestehen.« Die Aufarbeitung »des Geflechts von Institutionen und Aktivitäten, die Walter Homolka gegründet und geleitet hat«, sei schwierig: »Und es ist schwer, Worte zu finden, um diesen Missbrauch zu beschreiben.« Und Abspann.
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