Entzug mit Aussicht

Senat stellt Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Situation im Maßregelvollzug vor

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 5 Min.

Die als untragbar kritisierten Zustände im Berliner Maßregelvollzug für Strafgefangene sollen in den kommenden Jahren deutlich verbessert werden. Ihr sei in dieser Hinsicht »sehr klar« geworden, »dass wir einen Masterplan brauchen, um mittel- und langfristige Maßnahmen ergreifen zu können«, sagte Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) am Dienstag im Anschluss an die dritte Sitzung des Senats nach der Wiederholungswahl. Man spreche hier von »einer sehr kritischen Situation«.

Der Maßregelvollzug dient dazu, vom Gericht als psychisch krank oder drogenabhängig eingestufte Straftäter unterzubringen und zu therapieren. Zuständig ist daher auch nicht die Justizverwaltung von Linke-Senatorin Lena Kreck, sondern eben das Haus von Ulrike Gote. Auch Kreck hatte vor kurzem angesichts der Missstände in den betreffenden Einrichtungen dringenden Handlungsbedarf angemahnt. 

Konkret hat der Maßregelvollzug in Berlin nicht nur – wie anderswo im Gesundheitsbereich auch – mit Fachkräftemangel zu kämpfen. Seit Jahren wird zudem über eine gravierende Platznot geklagt. So ist das landeseigene Krankenhaus des Maßregelvollzugs für etwas mehr als 540 Betten ausgelegt. Tatsächlich werden am Hauptstandort auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf und der Filiale im Pankower Ortsteil Buch nach Angaben der Gesundheitssenatorin aktuell knapp 600 Patienten stationär versorgt. Wenn es hart auf hart kommt, müssten neue Patienten auf Matratzen auf dem Fußboden schlafen, berichtete die Gesundheitssenatorin.

Auf die Schnelle soll der Ausbau eines Hauses auf dem Areal in Reinickendorf Entlastung bringen, wodurch man bis Mitte des Jahres zwölf zusätzliche Betten »in Betrieb nehmen kann«, wie Gote sagt. Außerdem stehe man mit dem landeseigenen BIM Berliner Immobilienmanagement im Austausch, um kurzfristig Alternativstandorte in Beschlag zu nehmen. »Da gibt es einige Objekte, die man sich angucken wird«, sagte Gote – ohne ins Detail zu gehen. 

Ambitionierter ist da schon die angekündigte Sanierung und Ertüchtigung eines weiteren Gebäudes in Reinickendorf. Bis 2025 sollen dadurch 60 neue Vollzugsplätze entstehen. Insgesamt rechnet die Gesundheitsverwaltung mit Gesamtkosten in Höhe von rund 53 Millionen Euro, man erarbeite derzeit einen Antrag auf einen »vorzeitigen Planungsbeginn«. Anders ausgedrückt: Besonders weit ist man noch nicht. Auch im aktuellen Investitionsprogramm des Landes Berlin sucht man das Projekt vergebens.

Überhaupt, heißt es von Beobachtern, habe man nicht das Gefühl, dass die Gesundheitsverwaltung in den vergangenen Jahren sonderlich viel Energie auf das Thema Maßregelvollzug verwendet habe. »Wir müssen dieses Thema höher priorisieren, als das in der Vergangenheit der Fall war«, sagte auch Gote – was wohl als Seitenhieb auf ihre Amtsvorgängerin Dilek Kalayci (SPD) verstanden werden dürfte. Zumal Gote erklärte, dass sie das Thema bereits seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2021 umgetrieben habe.

Ob unter Kalayci oder Gote: Dem Vernehmen nach soll die Senatsjustizverwaltung seit 2020 die Kollegen in der Senatsgesundheitsverwaltung mehrfach auf die unhaltbaren Zustände im Maßregelvollzug hingewiesen haben, ohne dass daraus irgendetwas folgte. Auch bei der schon in der vergangenen Woche erwarteten Masterplan-Vorlage für den Senat soll sich die Gesundheitsverwaltung nicht wirklich ins Zeug gelegt haben. Eine Überarbeitung war nötig. Das Thema sei »ja eigentlich nicht so en vogue«, aber eben doch »von großer Bedeutung«, sagte Gote bei der Vorstellung der modifizierten Besprechungsunterlage. 

Öffentliche Aufmerksamkeit erhielt der Maßregelvollzug jetzt vor allem dadurch, dass kurz vor der Wiederholungswahl gleich zwei drogenaffine Inhaftierte entlassen wurden, die eigentlich noch mehrere Jahre hätten absitzen müssen – und einer der beiden der organisierten Kriminalität zugerechnet wird. Dementsprechend groß war die Aufregung. Auch der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Alexander Herrmann, war rasch zur Stelle und raunte: »Steckt womöglich System dahinter?«

Das Problem: Beide Männer waren zum Maßregelvollzug verurteilt, aber in regulären Haftanstalten untergebracht, da im Knastkrankenhaus keine Plätze frei waren. In der Regel dauert die sogenannte Organisationshaft nicht länger als sechs Monate. Danach kann entlassen werden. Gote sprach von 15 bis 25 Personen, die aktuell auf einer »Warteliste« für den Maßregelvollzug stünden.

Insgesamt sei hinsichtlich der Kapazitäten die Planbarkeit in ihrem Haus »sehr eingeschränkt«, sagte Gote. In diesem Fall verwies sie nun wieder auf die Justiz: »Wir können weder die Zuweisungen steuern noch können wir die Entlassungen steuern.« Insbesondere die stark wachsende Gruppe derjenigen, die aufgrund einer Suchterkrankung auch für einen Entzug in den Maßregelvollzug kommen, mache »die größte Arbeit«. 

Hier brauche es eine Bundeslösung, genauer: eine Reform des entsprechenden Zuweisungsparagrafen 64 des Strafgesetzbuches. Laufe alles nach Plan, so die Hoffnung der Grünen-Politikerin, werde der Paragraf noch in diesem Jahr angepasst. »Wir sind schon lange der Meinung, dass nicht alle, die über den Paragrafen zu uns kommen, bei uns auch richtig sind«, sagte Gote. 

Berlin selbst könne freilich nur eines: bauen, bauen, bauen. »Mit diesen Maßnahmen setzt der Senat die dringend nötige Erweiterung, Ertüchtigung und Sanierung des Krankenhauses des Maßregelvollzuges auf die Schiene«, sagte Gote. Bis Ende Juni soll der ressortübergreifend zu erarbeitende Masterplan fertig sein. Auch das ist ein ambitionierter Plan, mitten in den Verhandlungen für die Bildung eines neuen Senats. Dass Gote diesem noch angehören wird, gilt – selbst wenn die Grünen mit an Bord sind – als keineswegs sicher.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.