- Berlin
- Asylpolitik
Komplikationen in Klosterfelde
Ortsvorsteher stemmt sich mit Einwohnern gegen ein Asylheim
»Als ich aus Syrien geflüchtet bin, wusste ich nicht wohin«, erzählt Mohamed Hamzalemam am Dienstagabend im RBB-Fernsehen. In der Live-Sendung »Wir müssen reden« geht es um ein geplantes Asylheim in der zur Gemeinde Wandlitz gehörenden Ortschaft Klosterfelde. Der Landkreis Barnim will in einem vorhandenen Gebäude ein Übergangswohnheim einrichten und dort 80 Geflüchtete unterbringen. Anwohner rund um Ortsvorsteher Rico Brauer wehren sich erbittert dagegen. In der Fernsehübertragung aus der Kulturbühne Wandlitz zeigt ihnen im Publikum jemand ein Schild. »Keine Angst. Es kommen Menschen«, steht darauf.
Die Geflüchteten sind noch nicht da. Aber mit Hamzalemam erhalten Menschen wie sie dennoch ein Gesicht. Der 28-Jährige ist 2015 nach Deutschland gekommen. Es war ihm wichtig, sich seinen Lebensunterhalt hier möglichst schnell selbst zu verdienen. Erst hatte er bei Bäckermeister Björn Wiese einen Minijob, dann machte er bei ihm eine Ausbildung, hat sich inzwischen in Eberswalde zum Filialleiter eines Cafés hochgearbeitet und die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. »Es war ein schwerer Weg«, sagt Hamzalemam, der seine Familie in der alten Heimat seit sieben Jahren nicht mehr gesehen hat.
Das sei ein »Einzelfall«, behauptet Ortsvorsteher Brauer. Er bekommt in der Sendung eine Bestätigung für sein Vorurteil, da der streitbare Migrationsforscher Ruud Koopmans von der Berliner Humboldt-Universität erklärt, nur 30 Prozent der syrischen Flüchtlinge seien berufstätig, von den Frauen sogar nur zehn Prozent. Das habe kulturelle Ursachen und liege auch am niedrigen Bildungsniveau der angekommenen Menschen, wenngleich, das sagt Koopmans auch, die syrischen Ärzte die größte Gruppe der ausländischen Mediziner in Deutschland bildeten. Seine eigene Tochter sei von einem Syrer zur Welt gebracht worden.
Bäckermeister Wiese widerspricht. Er hat seit 2017 so einige Landsleute von Hamzalemam eingestellt. Sogar für einen Analphabeten habe sich ein Job als Kraftfahrer gefunden. Viele Flüchtlinge seien Fahrer bei Lieferdiensten, weiß Björn Wiese.
Doch die Gegner des Asylheims hören merklich nur auf Argumente, die ihnen ins Konzept passen. Die Gemüter sind erhitzt, es wird laut. 80 Flüchtlinge könne Klosterfelde mit seinen 3461 Einwohnern gut verkraften, ist der Wandlitzer Bürgermeister Oliver Borchert (Freie Bürgergemeinschaft) nichtsdestotrotz überzeugt. Er zerpflückt die Prophezeiung von Ortsvorsteher Brauer, es würden ständig neue Flüchtlinge in das Übergangswohnheim kommen und deshalb nach einigen Jahren bis zu 700 Geflüchtete in Klosterfelde leben, wodurch die Schule und die Arztpraxen überlastet wären. 600 kommunale Wohnungen gebe es in der Gemeinde Wandlitz, rechnet Bürgermeister Borchert vor. Und von denen seien lediglich 28 mit Migranten belegt. Die Darlegung des Ortsvorstehers entspreche nicht der Realität.
In anderen Ortsteilen der Gemeinde Wandlitz gibt es schon drei Asylheime, in Klosterfelde noch keins. Die Angst vor Fremden gab es 2012 auch im Kernortsteil Wandlitz, als dort das erste Heim eingerichtet wurde. Inzwischen leben die Alteingesessenen und die Dazugekommenen einträglich miteinander. Probleme gebe es zwar mal, aber die ließen sich lösen, versichert Ortsvorsteher Peter Dudyka. Er und andere Ehrenamtliche hülfen mit, dass die Integration gelinge. Auch in Klosterfelde gibt es Menschen, die sich dafür engagieren wollen, darunter Gemeindevertreterin Isabelle Czok-Alm (Linke), die auch dem Ortsbeirat von Klosterfelde angehört. »Geflüchtete werden mit Gewalt in Verbindung gebracht und es wird behauptet, mit Flüchtlingen könne man nicht leben«, beschwert sie sich in einem Einspieler über die Atmosphäre in Klosterfelde. Sie ist extra in die Kulturbühne gekommen, um Ortsvorsteher Brauer ihre Sicht der Dinge entgegenzuhalten, kommt aber dort nicht weiter zu Wort. Stattdessen darf die AfD-Landesvorsitzende Birgit Bessin in ätzender Art für Abschiebungen werben. Der Rechtsstaat müsse verteidigt und die Flüchtlinge dahin zurückgebracht werden, wo sie hingehörten, schimpft Bessin.
Der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner (SPD) könnte wohl darüber lachen, wenn es nicht so traurig wäre, dass die rechtsextremistische AfD so tue, als wolle sie den Rechtsstaat retten. Auch Elif Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, hat klare Ansagen an die AfD: »Wer sagt, dass Geflüchtete nicht arbeiten wollten, hat nie mit Geflüchteten gesprochen.« Eralp weiß, wovon sie spricht: »Meine Eltern sind auch vor 40 Jahren hierher geflohen.« Dem brandenburgischen Innenminister Michael Stübgen (CDU) kreidet Eralp an, mit seinem Gerede von einer Migrationsbremse Öl ins Feuer zu gießen. Stübgen erinnerte zuvor an 1,5 Millionen Geflüchtete, die 2022 in die Bundesrepublik gekommen seien. Wenn dieses und nächstes Jahr jeweils eine halbe Million dazukomme, müsse man vielleicht wieder Zelte aufbauen und Turnhallen schließen.
Dagegen plädiert Jens Graf vom Städte- und Gemeindebund für Solidarität und Völkerfreundschaft. Zwar stießen die Kommunen an ihre Kapazitätsgrenzen, nachdem Brandenburg im vergangenen Jahr knapp 40 000 Flüchtlinge aufgenommen habe, darunter 5000 Schulkinder. Doch da fordert Graf praktische Maßnahmen, etwa ein Investitionsprogramm für je 5000 Kita- und Schulplätze. Dem Bürgermeister zollt er Respekt. Der sei das Gesicht des Staates vor Ort und halte den Kopf für andere hin. Denn die Flüchtlinge weise ihm der Landkreis zu.
Die Live-Sendung ist in ihrer Machart nicht dazu angetan, Vorbehalte abzubauen. In einer nicht repräsentativen Blitzumfrage erklären 82 Prozent der Zuschauer, dass ein Asylheim in ihrer Nachbarschaft sie stören würde. Bürgermeister Borchert betrübt es, wie Wandlitz jetzt dastehen mag. Eigentlich hatte sich die Gemeinde durch ihre errungene Willkommenskultur in den vergangenen Jahren einen guten Ruf erworben.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.