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Doreen Denstädt:»Ich will nicht irgendwelche Luftschlösser bauen«
Thüringens neue Justizministerin setzt auf einen Strukturwandel in ihrer Behörde
Frau Denstädt, wollen wir zuerst über den Weg sprechen, der Sie hierher ins Chefbüro geführt hat oder über den Weg, den Sie von hier aus gehen wollen?
Fangen wir mit dem Bisherigen an. Wo es hingehen soll, ist allerdings auch sehr spannend.
Doreen Denstädt ist seit Februar Thüringens neue Ministerin für Justiz und Migration. Die 45-Jährige ist die erste Schwarze, die ein solches Amt in einem ostdeutschen Regierungskabinett innehat. Im Interview spricht die gelernte Polizistin unter anderem darüber, ob sie daran gezweifelt hat, dem Ministerjob gewachsen zu sein, welche eigenen Erfahrungen sie mit rechter Gewalt machen musste und was sie von der Bildung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft gegen Hasskriminalität hält.
Gut. Als Ihre Grünen-Parteifreunde Sie zum ersten Mal gefragt haben, ob Sie Ministerin für Migration und Justiz werden wollen, was war Ihr erster Gedanke?
Ich war zuallererst überrascht, dass ich gefragt wurde. Dann habe ich mich über das Vertrauen gefreut, das mir auf diese Weise entgegengebracht wurde. Ich bin ja noch nicht so lange bei den Grünen in Thüringen. Aber offenbar habe ich schon Eindruck gemacht.
Haben Sie gezögert, das Amt anzunehmen? Sie haben zuvor im Innenministerium in der Polizeivertrauensstelle gearbeitet. So ein Haus zu führen, ist doch noch mal etwas anderes.
Ich habe noch mal eine Nacht darüber geschlafen. Denn so eine Entscheidung hat ja auch lebensverändernde Auswirkungen.
Hatten Sie Zweifel? Oder Bedenken, Sie könnten an diesem Amt scheitern?
Nein. Ich glaube, wenn man an eine solche Aufgabe herangeht und zuerst über ein mögliches Scheitern nachdenkt, dann wird das auch nichts.
Gar nicht?
Ich habe in der Verwaltung gearbeitet und weiß, wie Ministerien funktionieren. Die große Herausforderung für mich ist die politische Seite dieses Amtes. Aber ich bin überzeugt, dass ich die meistern kann. Auch weil ich sofort, als ich gefragt wurde, ob ich das Amt ausüben würde, gegenüber den Grünen klar gesagt habe, dass ich dabei die Unterstützung von Partei und Fraktion brauche. Die habe ich zugesichert bekommen. Und die fordere sich seitdem auch immer wieder ein.
Hat es für Ihre Überlegungen, das Amt anzunehmen, eine Rolle gespielt, dass Sie die erste Schwarze Frau sind, die im Kabinett einer ostdeutschen Landesregierung arbeitet – und Ihre Berufung damit ein Signal für Menschen mit Migrationshintergrund ist?
Es gibt einige Definitionen von Migrationshintergrund, nach denen ich gar keinen habe. Gut, ich bin – als ich noch ganz klein war – von Saalfeld nach Erfurt umgezogen, aber ob das als Migration zählt, bin ich nicht sicher. Richtig ist aber, dass ich die erste Schwarze Frau in einem solchen Amt bin.
Ist Ihnen das wichtig? Bei Ihrer Vorstellung als designierte Ministerin vor einigen Wochen wurde das breit thematisiert, aber man konnte den Eindruck gewinnen, dass Sie das gar nicht so intensiv diskutieren wollen.
Ich war in meinem Leben schon ganz oft das erste Schwarze Mädchen oder die erste Schwarze Frau irgendwo. Das hat mich weder irgendwie behindert, noch hat es mich besonders angespornt. Obwohl es natürlich so ist, dass ich als Schwarze Erfahrungen gemacht habe, die große Teile der weißen Mehrheitsgesellschaft nicht haben. Und ich will das noch mal ganz deutlich sagen: Ich habe aus meiner Sicht keine Migrationserfahrung. Ich bin eine Schwarze Frau, wobei ich »Schwarz« bewusst großschreibe, denn es geht bei dieser Zuschreibung ja nicht um eine Farbe, sondern um ein politisches Schwarz, aber das ist ein anderes Thema … Jedenfalls bin ich in der Vergangenheit immer wieder als Fremde, als Andere wahrgenommen worden. Was sich jetzt übrigens bisweilen umkehrt. Als ich Ministerin geworden bin, haben mir mehrere Menschen gesagt: »Gut, dass das endlich mal eine von hier macht!«
Soll heißen: eine ostdeutsche Frau?
Genau. So sehen mich manche halt auch. Jedenfalls jetzt. Das ist für mich neu. Ich war noch nie »eine von hier«. Auch damit muss frau leben.
Was für Erfahrungen haben Sie gemacht, die die weiße Mehrheitsgesellschaft im Osten nicht hat?
Es ist eigentlich für alle Menschen eine Überraschung, wenn sie wissen, dass sie einen Termin mit Doreen Denstädt haben und dann kommt Doreen Denstädt in den Raum. Wohl auch deshalb habe ich schon Komplimente dafür bekommen, dass ich so akzentfrei Deutsch sprechen kann. Aber ich habe in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend darauf verzichtet, mir darüber Gedanken zu machen, was im Kopf von anderen vorgehen könnte, wenn sie mich sehen. Ich überzeuge dann lieber mit Kommunikation und Machen.
Sie sind in den 1990er Jahren in Erfurt aufgewachsen. Das ist die Zeit der sogenannten Baseballschläger-Jahre, voller rechtsextremer Gewalt. Wie haben Sie diese Zeit als Jugendliche erlebt?
Es gab Stadtteile von Erfurt, die für mich gefährlich waren, auch körperlich gefährlich. Meine Peergroup hat mich abends auch deshalb nie alleine weggehen lassen. Ich wurde immer nach Hause gebracht von meinen Freunden, ich wurde immer abgeholt, man hat mich nicht alleine durch die Stadt laufen lassen. Das war schon eine sehr unangenehme Zeit.
Sind Sie selbst körperlich attackiert worden? Oder verbal?
Ja, beides. Aber zum Glück nichts Dramatisches.
Dann reden wir jetzt über den Weg, den Sie von hier aus gehen wollen: Haben Sie angesichts Ihrer Erfahrungen in den Baseballschläger-Jahren Sympathie für den Vorschlag der Gruppe »Omas gegen Rechts«, Deals vor Gericht mit angeklagten Neonazis zu verbieten?
Die Justiz ist unabhängig, sie ist eine der drei Säulen im demokratischen Staat. Das muss man unbedingt beachten, auch wenn ich mir im Klaren darüber bin, dass Staatsanwaltschaften zur Exekutiven und nicht zur Judikativen gehören. Aber alles in allem bin ich bei diesem Vorstoß trotzdem sehr vorsichtig. Es gibt da aber etwas anderes, was ich gerne umsetzen würde, gerade auch mit Blick auf Straftaten mit einem rechtsextremen Tatmotiv, wobei ich aber nicht weiß, ob die Zeit noch reicht, um das bis zum Ende dieser Legislaturperiode umzusetzen …
Das wäre?
Die Bildung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Verfolgung von Hasskriminalität.
Für diese – nicht ganz neue – Idee werden Sie im rot-rot-grünen Lager viel Unterstützung erfahren. Worauf warten Sie noch?
Wir haben in der Justiz schon heute ein gewaltiges Nachwuchsproblem. Und das wird sich noch verschärfen, weil uns eine große Pensionierungswelle bevorsteht. Ich bin mir noch nicht sicher, ob jetzt deshalb die richtige Zeit ist, um mit ganz neuen Ideen um die Ecke zu kommen, auch wenn die dem Grundsatz nach völlig richtig sind. Dass wir auch bei der Digitalisierung von Gerichten und Staatsanwaltschaften noch viel zu tun haben und dass durch die Corona-Pandemie viele Verfahren verschoben worden sind, macht die Sache insgesamt nicht leichter. Für den Bereich der häuslichen Gewalt hätte ich übrigens eine ähnliche Idee: die Verantwortlichkeit zur Verfolgung solcher Straftaten bündeln.
Aber Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen, dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften die anderen Staatsanwaltschaften sogar entlasten könnten – weil die sich dann nicht mehr mit solchen Verfahren beschäftigen müssen.
Grundsätzlich ja. Aber bei Vergleichen zwischen Bundesländern muss man immer vorsichtig sein. Andere Länder sind zum Beispiel bei der Digitalisierung der Justiz einfach weiter als wir, weshalb es da ganz andere Strukturen gibt. Wir sind im Bundesvergleich nicht die schlechtesten, wenn es um die Digitalisierung der Justiz geht. Aber auch nicht die besten. Wir reden da – wenn wir ehrlich sind – über Prozesse, die man schon vor Jahren hätte anschieben müssen. Und in einer solchen Lage will ich Menschen nicht auch mit großen Strukturveränderungen überfordern, die zwar grundsätzlich richtig sind, aber nur schwer in der Zeit bis zur nächsten Landtagswahl umzusetzen wären. Ich will jetzt nicht irgendwelche Luftschlösser bauen oder Versprechungen machen, die sich dann nicht umsetzen lassen. Ich weiß, was es für die Betroffenen von rechtsextremer oder häuslicher Gewalt bedeutet, wenn angekündigt wird, es solle da Schwerpunktstaatsanwaltschaften geben – und dann passiert doch nichts.
Wie ist aus Ihrer Sicht die Thüringer Justiz in den vergangenen fünf, vielleicht zehn Jahren mit rechts motivierten Straftaten umgegangen?
Ich habe dazu eine persönliche Meinung. Aber die werde ich jetzt hier nicht kundtun. Auch aus Respekt vor meinen Amtsvorgängern. Wenn ich mich jetzt dazu äußere, würde das der Würde des Amtes nicht entsprechen. Ich will nach vorne schauen.
Also muss die Thüringer Justiz konsequenter gegen rechtsextreme Straftäter vorgehen als bislang?
Die Thüringer Justiz muss dringend auf den neusten Stand gebracht werden. Bei der Digitalisierung und auch bei der Aus- und Weiterbildung, wenn es um den Umgang mit rechts motivieren, rassistischen, antisemitischen, frauenfeindlichen Straftaten geht.
Reden wir noch über den Bereich Migration, der ja einen großen Teil Ihrer Arbeitszeit einnimmt. Was wird das Leitmotiv Ihrer Arbeit als Migrationsministerin in den nächsten anderthalb Jahren sein?
Struktur schaffen. Und zwar eine, die funktioniert und die zukunftsweisend ist.
Sie wollen also ein Landesamt für Migration aufbauen, damit die verschiedenen Zuständigkeiten für die Flüchtlingspolitik endlich gebündelt werden.
Genau. Dafür, dass ich erst gute drei Wochen im Amt bin, sind wir dabei schon ein gutes Stück weit vorangekommen. Aber es gibt immer noch keinen fertigen Plan, den wir nach außen kommunizieren könnten.
Und was ist mit den vielen Detailfragen, die in den vergangenen Wochen zur Flüchtlingspolitik aufgerufen worden sind? Die Kommunen beispielsweise haben eine noch höhere Pauschale für die Unterbringung von nicht-ukrainischen Geflüchteten gefordert, als das Land sie zuletzt angeboten hat. Können die Kommunen da auf ein verbessertes Angebot der Landesregierung hoffen?
Das wird Gegenstand der Haushaltsverhandlungen für 2024 sein. Aber mit Blick auf andere Bundesländer muss man tatsächlich sagen, dass unsere bisherige Flüchtlingspauschale sehr niedrig angesetzt ist.
In Ihrem Haus gab es zuletzt außerdem Bestrebungen, eine zweite Flüchtlingsunterkunft zu finden, die so ähnlich gebaut ist wie die Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl – viele einzelne Zimmer, ein bisschen wie eine Jugendherberge, keine leere Lagerhalle wie das Objekt in Hermsdorf. Wie weit sind Sie da?
Die Suche läuft weiter. Es ist nicht so, dass hier alles stehen geblieben wäre, nur weil die Hausleitung gewechselt hat. Aber, ganz ehrlich: Ich kann da gegenwärtig niemandem Hoffnung machen, dass wir ein solches Objekt ganz schnell finden werden. Leider.
Und es bleibt dabei: Hermsdorf soll als Notunterkunft dienen, nicht zur Entlastung der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl?
Ja. Das ist eine Halle, im Inneren ohne natürliches Licht, viele Betten auf engem Raum, ohne Privatsphäre. Wenn Sie eine menschenwürdige Unterbringung sicherstellen wollen, können Sie Menschen dort maximal drei Tage übernachten lassen, vielleicht ein kleines bisschen länger. Nicht mehr. Hermsdorf ist eine Notunterkunft.
Das heißt doch aber im Umkehrschluss, dass die Anlage in Suhl dauerhaft mit mehr als 800 Menschen belegt sein wird – auch wenn diese Zahl als Obergrenze für eine vertretbare Belegung gilt.
In den vergangenen Tagen war es so, dass die Zugangszahlen nach Suhl nicht mehr ganz so hoch waren wie zuvor. Zuletzt haben etwa 1000 Menschen in der Einrichtung gelebt, davor waren es etwa 1200. Das ist immer noch eine zu hohe Zahl, keine Frage.
Aber eine, die in den nächsten Monaten so bleiben wird?
Niemand kann das Ankunftsgeschehen von Geflüchteten genau vorhersagen. Aber ich denke, wir müssen uns darauf einstellen, in Suhl noch länger mit einer Belegung von mehr als 800 Menschen zu arbeiten. Das gefällt mir nicht. Aber es ist so. Wir müssen schauen, dass wir das Problem mit mehr Verteilungen aus Suhl auf die Landkreise irgendwie in den Griff bekommen. Eine einfache Lösung gibt es da nicht.
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