Trübe Aussicht für Geflüchtete aus Afghanistan

Der Verein Mission Lifeline bearbeitet Anträge im Bundesaufnahmeprogramm

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Szenen vom Flughafen in Kabul liegen mittlerweile anderthalb Jahre zurück. Menschen stürmten die Start- und Landebahn in der Hoffnung, einen der Plätze in den ausländischen Flugzeugen zu bekommen, die das Land verließen. Einzelne klammerten sich an das Fahrwerk eines startenden Flugzeuges, verloren über dem Stadtgebiet von Kabul den Halt und stürzten in den Tod.

Wer in den vergangenen Monaten die Flucht vor den Taliban antrat, musste um sein Leben fürchten. Eine Ausreise in das Nachbarland Pakistan, in dem rettende Visa ausgestellt werden, ist oft nur Menschen vorbehalten, die viel Geld in eine Flucht investieren können. Sie müssen Arbeitsvisa für das Nachbarland kaufen und eine sichere Fluchtroute finden, von denen es wenige gibt.

»Wenn es läuft, dann sehr langsam«, beschreibt Axel Steier vom Verein Mission Lifeline die Situation, der von Dresden aus versucht, Afghan*innen beim Verlassen des Landes zu unterstützen. »Es ist noch niemand über das Bundesaufnahmeprogramm außer Landes gekommen«, so Steier gegenüber »nd«. Über 40 000 Menschen sei eine Aufnahme in Aussicht gestellt, heißt es auf den Seiten des Auswärtigen Amtes. 

Das Bundesaufnahmeprogramm hatte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf zunehmenden öffentlichen Druck hin rund um den ersten Jahrestag des Zusammenbruchs Afghanistans angekündigt. Es folgten Monate, in denen Formalien ausgehandelt wurden, wie die Einreisewilligen erfasst und anschließend mit Visa ausgestattet werden könnten. »Der Bundesregierung war klar, dass die Umsetzung des präzedenzlosen Bundesaufnahmeprogramms für Afghaninnen und Afghanen einige Zeit in Anspruch nehmen würde«, heißt es aus dem Auswärtigen Amt auf nd-Anfrage.

Steier beschreibt das Prozedere als »eine Art Beamten-Mikado«. Man arbeite bei den Behörden sehr gründlich, »aber schnell ist etwas anderes«. Mission Lifeline ist eine der Organisationen, die berechtigt sind, die Anträge für Afghan*innen für die deutsche Bürokratie aufzubereiten. Es gibt dazu zahlreiche Nachfragen. Teilweise werden Geburtsurkunden nachgefordert, um Verwandtschaftsverhältnisse zu belegen.

»Ein Problem ist, wenn Stempel von Behörden gebraucht werden, das ist dann natürlich eine Gefahr«, so Steier. »Wir haben aktuell Fälle, bei denen ist klar, dass die Ausreise nicht gelingen kann«, sagt Steier. »Wenn eine Frau vor ihrem afghanischen Mann flüchtet und von den Taliban verfolgt ist – wie soll sie denn vom Taliban-Regime einen Pass bekommen?«, fragt Steier. Die Bundesregierung sieht sich dennoch auf einem guten Weg. Insgesamt haben die Auslandsvertretungen über 28 000 Visa für Afghaninnen ausgestellt. Darunter seien rund 4100 Ortskräfte, mit Angehörigen circa 19 100 Personen, die bereits nach Deutschland gekommen sind, heißt es aus dem Auswärtigen Amt zu Beginn dieser Woche.

Dass das Bundesaufnahmeprogramm bislang noch zu keinen Einreisen geführt hat, räumt aber auch das Auswärtige Amt ein. »Nachdem das Programm Mitte Oktober 2022 gestartet ist, erfolgten zwischenzeitlich die ersten Auswahlrunden. Im Ergebnis dieser wird mit den ersten Aufnahmezusagen in den kommenden Wochen gerechnet«, heißt es aus dem Amt am Werderschen Markt in Berlin. Doch eine Zusage bedeutet noch lange keine Einreise und ist allenfalls der Beginn einer nervenraubenden Flucht aus den Verstecken.

Genaue Zahlen, wie viele Menschen derzeit an den Anträgen arbeiten, gibt es nicht. Steier geht von rund 400 Personen aus. »Ich schätze, es dauert im Schnitt etwa drei Tage pro Fall«, sagt Steier. Insbesondere die Recherche sei aufwendig, um die Bedrohungssituationen zu belegen. »Das ist mehr, als nur einen Fall in ein Onlineformular einzutragen. Man muss mit den Menschen sprechen, wenn man das sachgerecht machen will«, schildert er die Herausforderungen der ehrenamtlich und durch Freiwillige geleisteten Arbeit.

Den Eindruck überbordender Bürokratie, der sich angesichts der langwierigen Arbeit aufdrängt, scheint man im Auswärtigen Amt nicht zu teilen und spricht von einem »strukturierten Rahmen für die weitere Aufnahme aus Afghanistan«, der geschaffen worden sei. Allein bei Mission Lifeline seien weiterhin rund 30 000 Anfragen vorhanden, die bearbeitet werden müssen.

Den Eindruck, es gehe bei der Ermöglichung der Ausreisen nicht voran, versucht das Auswärtige Amt zu vermeiden. Seit Mai 2022 habe man »durchschnittlich pro Monat 1000 Aufnahmen« nach Paragraf 22 (Absatz 2) Aufenthaltsgesetz erklärt. Für ehemalige Angestellte der internationalen Organisationen, sogenannte Ortskräfte, denen über ein eigenes rechtliches Verfahren eine Aufnahme ermöglicht werden soll, gebe es derzeit laut Steier aber quasi nur noch Ablehnungen.

»Wenn die Menschen, für die die Bundesregierung wegen ehemaliger Arbeitsverhältnisse eine besondere Verantwortung hat, abgelehnt werden, während gleichzeitig über das Bundesaufnahmeprogramm bevorzugt afghanische Akademiker*innen aufgenommen werden, dann wäre das ethisch sehr fragwürdig«, so Steier gegenüber »nd«.

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