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TVStud: Die Zeichen stehen auf Streik

Auf der bundesweiten TVStud-Konferenz fiel der Startschuss, dieses Jahr einen Tarifvertrag für Studentische Beschäftigte zu erstreiten

  • Marek Ehlers
  • Lesedauer: 7 Min.
Vielversprechender Auftakt: Zur TVStud-Konferenz vom 24. bis 26. Februar 2023 kamen Aktivist*innen aus ganz Deutschland zusammen.
Vielversprechender Auftakt: Zur TVStud-Konferenz vom 24. bis 26. Februar 2023 kamen Aktivist*innen aus ganz Deutschland zusammen.

»Tarifvertrag jetzt!«, hallt es über den Campus der Georg-August-Universität Göttingen. Dort versammelten sich am Wochenende vom 24. bis 26. Februar 2023 rund 250 Teilnehmende aus 15 Bundesländern zur bundesweiten TVStud-Konferenz. Das Kürzel TVStud hat sich mittlerweile etabliert für die Forderung eines Tarifvertrags für studentische Beschäftigte. Die Bewegung will eine solche bundesweit geltende Tarifregelung für studentische Beschäftigte erstreiken, die die Arbeitsbedingungen aller an Hochschulen und Forschungseinrichtungen tätigen studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräfte und Tutor*innen verbessern soll.

Unter dem Titel »Jetzt oder nie!« läutete die Bewegung mit ihrer Konferenz den Auftakt für einen Streik im kommenden Herbst ein. Dann findet die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes der Länder statt, von deren Tarifvertrag die Studentischen Beschäftigten bisher ausgenommen sind. Um bis dahin genügend Druck aufzubauen, wurde die Konferenz von einem breiten Bündnis getragen: die TVStud-Initiativen kooperierten mit den Gewerkschaften ver.di und GEW, dem »freien zusammenschluss von student*innenschaften« (fzs), der »Genug ist Genug«-Kampagne, dem SDS, den Juso-Hochschulgruppen und Campusgrün.

In der Einleitung zum Konferenzprogramm resümiert die TVStud-Bewegung: »Unsere Chancen stehen so gut wie seit 30 Jahren nicht mehr.« Denn neun Landesregierungen bekennen sich mittlerweile zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Studentischen Beschäftigten. Einzig in Berlin existiert bereits ein Tarifvertrag für die Arbeit der Studierenden. Laut der Bewegung steht es damit zehn zu sechs im Stimmverhältnis der Landesregierungen. Doch der Arbeitgeberverband, die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL), blockierte bislang die Tarifierung der schätzungsweise über 300 000 Studentischen Beschäftigten. Das wollen die Gewerkschafter*innen im Rahmen der kommenden Tarifrunde ändern.

Prekarisierung bekämpfen

Die kommende Zuspitzung des Konflikts hat eine längere Vorgeschichte. Bereits in der letzten Tarifrunde der Länder 2021 konnte TVStud einen ersten Erfolg erlangen. Die Gewerkschaften ver.di und GEW verständigten sich mit dem Arbeitgeberverband auf eine Bestandsaufnahme über die Beschäftigungsbedingungen von Studentischen Beschäftigten als Grundlage der Verhandlungen. In der Folge befragte das Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw) in Kooperation mit ver.di, GEW und der TVStud-Bewegung bundesweit über 11 000 Studentische Beschäftigte. Die im Januar dieses Jahres veröffentlichte Studie »jung, akademisch, prekär« bestätigte die Einschätzung zu den unsicheren und unfairen Arbeitsbedingungen.

Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfolge lautete die Kernfrage der Konferenz daher: Wie kann die Bewegung ihre Forderungen durchsetzen und in der Tarifauseinandersetzung gewinnen? Denn trotz der günstigen Ausgangslage, Zuversicht und kämpferischen Stimmung stehen die Studentischen Beschäftigten vor enormen Herausforderungen.

Zunächst einmal ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad an Hochschulen in allen Bereichen gering. Dann erschwerten die Rahmenbedingungen zusätzlich die Organisierung: Die Arbeitsverträge von Studentischen Beschäftigten haben nur eine durchschnittliche Laufzeit von nicht einmal sechs Monaten. Auch dadurch finden sich die Studierenden oft in einem System von Kettenbefristungen und Abhängigkeitsbeziehungen zu ihren Vorgesetzten wieder. Die Einführung von Mindestvertragslaufzeiten ist daher eines der Kernziele der Bewegung.

Doppelstrategie

Um weitere Missstände in den Arbeitsbedingungen Studentischer Beschäftigter anzugehen, fanden im Rahmen der Konferenz verschiedene Workshops statt. Diese reichten thematisch vom Tarif- und Streikrecht über die Entstehung der gegenwärtigen Inflation bis zur Geschichte des »Organizings«-Ansatzes in der Gewerkschafts- und Communityarbeit. Ein weiteres zentrales Thema waren Modelle der Personalvertretung und die Möglichkeit demokratischer Mitbestimmung im Universitätsbetrieb; bislang sind Studentische Beschäftigte größtenteils direkt oder indirekt vom Recht auf Personalvertretung ausgeschlossen. Das Fehlen von eigenen Personalräten etwa erschwere, so der Tenor, die Durchsetzung und die Kontrolle über die Einhaltung von Arbeitsrecht, zum Beispiel wenn es um Urlaubsanspruch ginge. Außerdem sei es ohne solche Strukturen generell schwieriger, Studentische Beschäftigte überhaupt zu erreichen – was ja für die gewerkschaftliche Organisierung von zentraler Bedeutung sei.

In den Plenumsphasen zwischen den Workshops verständigten sich die TVStud-Aktiven auf eine Doppelstrategie für die bevorstehenden Arbeitskämpfe. Zum einen wollen die lokalen TVStud-Initiativen die Vernetzung und Organisierung der Beschäftigten weiter ausbauen, zudem sollen Befragungen unter den Studentischen Beschäftigten deren Streikbereitschaft und konkrete Verbesserungsbedarfe ermitteln. Nicht zuletzt erhoffe man sich dadurch auch größere Sichtbarkeit und Relevanz der TVStud-Ortsgruppen und dass mehr Studentische Beschäftigte einer Gewerkschaft beitreten.

Zur Umsetzung dieser Ziele dient das Konzept des »Organizing«, eine Methode aus dem Kontext US-amerikanischer Gewerkschaftsarbeit, die in den vergangenen Jahren zur wichtigen Referenz für den Aufbau von Organisationsmacht wurde. Zentrales Moment des Organizings ist das strukturierte Gespräch mit Kolleg*innen, die sowohl Informationen zusammentragen wie auch Überzeugungsarbeit zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft und der Teilnahme am aktiven Arbeitskampf leisten sollen. Die Vorstellung und das Training solcher Gespräche war integraler Bestandteil der Konferenz und wurde von erfahrenen Organizer*innen angeleitet, die zuletzt am Aufbau der erfolgreichen Krankenhausbewegung in Nordrhein-Westfalen beteiligt waren.

Auf die bisherigen Bekenntnisse der Landesregierungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen will sich die Bewegung indes nicht verlassen. Laut den Aktivist*innen besteht deshalb die zweite Säule der Strategie in dem Vorhaben, in den nächsten Monaten öffentlichkeitswirksam politischen Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. Das zielt zum einen auf die sechs Landesregierungen, die sich nicht zu einer Tarifierung Studentischer Beschäftigter bekennen. Zum anderen müssten die restlichen Länder adressiert werden, damit diese nicht hinter ihre Zusagen, sich aktiv im Arbeitgeberverband für eine Tarifierung einzusetzen, zurückfielen.

Von anderen Bewegungen lernen

Zur Umsetzung der Strategie suchten die Studentischen Beschäftigten aktiv den Schulterschluss mit anderen Organisationen und Kampagnen. Auf dem Podium am Freitagabend saß unter anderem der Jenaer Professor für Wissenssoziologie und Gesellschaftstheorie Tilman Reitz, der dem Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft angehört. Er verglich die starken Abhängigkeitsverhältnisse im Wissenschaftsbetrieb mit einem Feudalsystem, an dessen Spitze Professor*innen wie Kleinfürst*innen stünden. Das Problem der Kettenbefristungen etwa sei nicht nur unter Studentischen Beschäftigen üblich, sondern finde sich im gesamten akademischen Betrieb wieder. So internalisierten Studentische Beschäftigte schon zu Beginn einer akademischen Laufbahn die prekären Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft als Normalität.

Auch Ines Schwerdtner von der Kampagne »Genug ist Genug« sprach an dem Abend zu den TVStud-Aktiven; in diesem Jahr stünden viele Tarifrunden an und schon jetzt streikten Beschäftige in ganz Westeuropa. Arbeitskämpfe verschiedener Branchen gemeinsam zu führen, sei besonders wichtig, um gute Abschlüsse zu erzielen. Neben der allgemeinen Prekarisierung im Wissenschaftsbetrieb drehte sich die gemeinsame Diskussion auch um die soziale Lage von Studierenden sowie die besonderen Herausforderungen im Zuge der aktuellen Inflation. Alle Beteiligten waren sich einig über die Notwendigkeit, bestehende Sozialproteste und Arbeitskämpfe zusammenzubringen.

Vor diesem Hintergrund bietet es sich für die TVStud-Initiative an, aus vergangenen Erfahrungen anderer Bewegungen zu lernen. Den Raum dafür bereitete die Podiumsdiskussion am Samstagabend, mit folgender Besetzung: Niko Stumpfögger, der 1986 in den Tarifauseinandersetzungen um den TVStud II in Berlin beteiligt war und über die damaligen Methoden im erfolgreichen Arbeitskampf berichtete; der Politikwissenschaftler Frank Deppe, der auf Kontroversen und Kämpfe im akademischen Betrieb verwies, etwa auf den Assistentenstreik in den 1960er Jahren; Kaya Schwab von den Kampagnen »End fossil Occupy!« und »#WirFahrenZusammen«, die über die Verbindung von Klima- und Arbeiter*innenbewegung sprach. Schwab zufolge könnten etwa Klimaaktivist*innen und Busfahrer*innen zusammen streiken und sich gegenseitig in ihren Forderungen unterstützen und auch an Hochschulen sei eine Zusammenarbeit von Initiativen wie etwa End fossil Occupy! und TVStud-Gruppen möglich und aussichtsreich.

»Die Auseinandersetzung um den TVStud steht nicht für sich. Sie ist verbunden mit diversen anderen Kämpfen und das verleiht eurer Bewegung Gewicht«, betonte auch die Professorin für Arbeitssoziologie der Universität Göttingen, Nicole Mayer-Ahuja, in ihrem Grußwort am Samstagmorgen. Auch wenn die TVStud-Bewegung unmittelbar auf die Verbesserung der sozialen Lage von hunderttausenden Student*innen hinwirkt, so kann der Kampf um deren Arbeitsbedingungen durchaus Strahlkraft auf andere Arbeitsbereiche haben. Das langfristige Ziel der Bewegung bleibt die feste Etablierung von Arbeitskämpfen an Hochschulen – nicht nur unter Studentischen Beschäftigten.

Marek Ehlers ist Wissenschaftliche Hilfskraft und studiert Philosophie in Kiel. Er ist selbst aktiv in der TVStud-Bewegung in Schleswig-Holstein und in der GEW.

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