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Der Leuchtturm Turbine Potsdam verschwindet im Nebel
Die Potsdamer Fußballerinnen scheinen trotz eines neuen Trainers im Abstiegskampf chancenlos zu sein
Stürmerin Amber Barrett kauerte frustriert am Boden. Mittelfeldspielerin Martyna Wiankowska hielt sich verzweifelt die Hände vors Gesicht. Die Enttäuschung bei den Fußballerinnen des Bundesligisten Turbine Potsdam war greifbar am Mittwochabend. Nach der 1:2-Heimniederlage gegen Werder Bremen gab es keine neue Hoffnung, dass die Aufholjagd in Sachen Ligaverbleib doch noch irgendwie am Leben gehalten wird. Die Lage ist weiterhin fatal, im Grunde gar aussichtslos.
Für langjährige Turbine-Fans und Beobachter der Fußballszene der Frauen dürfte es immer noch unfassbar sein, dass das Team nach zwölf Meisterschaftsspielen noch immer mit lediglich einem einzigen Zähler dasteht. Das Torverhältnis weist niederschmetternde 6:33 Treffer aus. »Wir müssen uns damit beschäftigen, wie der Plan aussieht, wenn die Mannschaft in die 2. Bundesliga absteigt«, sagte Präsident Dr. Karsten Ritter-Lang schon vor dem Duell gegen Bremen.
Werder zählt im weiteren Sinn wie der 1. FC Köln und der MSV Duisburg (alle zehn Punkte) zu den ärgsten Konkurrenten von Turbine im Ringen um den Klassenerhalt. Zwei von diesen Vertretungen müsste Potsdam in den verbleibenden zehn Meisterschaftsrunden überholen, wenn das Wunder tatsächlich noch gelingen soll.
Daran arbeitet seit Mittwoch der vierte Trainer in dieser Saison. Turbine zauberte überraschend Marco Gebhardt als neuen Chefcoach aus dem Sack. Der frühere Erst- und Zweitligaspieler von Eintracht Frankfurt, Energie Cottbus, 1860 München und des 1. FC Union Berlin trainierte bis Anfang der Woche noch den Berliner Männer-Oberligisten Blau-Weiß 90. Nach acht Jahren der gemeinsamen Zusammenarbeit legten die Mariendorfer Gebhardt aber keine Steine in den Weg. Mit Präsident Michael Meister hatte Gebhardt die Abmachung getroffen, dass er bei Angeboten aus dem Profifußball gehen darf.
Jetzt machte Gebhardt davon Gebrauch, nachdem in der vorletzten Woche bei ihm Turbines Interimstrainer Dirk Heinrichs angerufen hatte. »Wir haben Mitte der 1990er Jahre zusammen bei Lok Altmark Stendal gespielt. Ich hoffe jetzt auf eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit«, berichtete der 50 Jahre alte Gebhardt über Heinrichs Initiative.
Turbine brauchte einen Trainer mit einer A-Lizenz. Heinrichs ist zwar seit 20 Jahren im Verein. Er erlebte auch die großen Zeiten unter Trainerlegende Bernd Schröder mit. Doch Chefcoach konnte er mangels A-Lizenz nicht werden, als Vorgänger Sven Weigang Anfang Februar überraschend um Vertragsauflösung gebeten hatte. Der Wechsel auf der Trainerbank ist damit eine der »Konstanten« bei Turbine in den letzten Monaten. Nach der vergangenen Saison musste Sofian Chahed gehen, der mit der Mannschaft immerhin den vierten Platz und den Einzug ins Pokalfinale erreicht hatte, das mit 0:4 gegen Meister VfL Wolfsburg verloren ging.
Chahed, der die Champions League nur knapp verpasst hatte, wurde für seinen Umgang mit der Mannschaft kritisiert. Seinem Nachfolger Sebastian Middeke fehlte wohl die Erfahrung. Vereinschef Ritter-Lang berichtet von einer mangelnden Konditionierung der Spielerinnen. Es habe sehr viele muskuläre Verletzungen gegeben. Immerhin holte Middeke zum Saisonauftakt in Bremen (1:1) den bislang einzigen Punkt. Die rote Laterne leuchtet seit dem vierten Spieltag im Karl-Liebknecht-Stadion – ein Tiefpunkt in der mehr als 50-jährigen Vereinsgeschichte von Turbine Potsdam seit 1971. Vor und nach der politischen Wende 1989 zählte der heutige 1. Frauenfußballclub zu den absoluten Spitzenteams. Sowohl in der DDR als auch nach der Wiedervereinigung stellte der Verein sechs Mal die Meisterinnen.
Hinzu kommen drei DFB-Pokalsiege sowie zwei Europacup-Triumphe 2005 und 2010. Die Erfolge sind eng mit dem Namen Bernd Schröder verbunden. Der heute 80-Jährige ist mit der aktuellen Situation selbstredend unzufrieden. Schröder sieht sein Lebenswerk bedroht. Öffentlich darüber reden will er aber nicht mehr. Seine Frau Ulrike sagte »nd« kürzlich, dass er mit Turbine abgeschlossen habe.
Der Verein kämpft nicht nur mit der Konkurrenz, sondern ein Stück weit auch mit sich selbst. In den Gremien hat sich einiges verändert: Der langjährige Präsident Rolf Kutzmutz trat im Juli 2022 nach zwei Jahrzehnten im Klub zurück. Er befürchtet nun, dass im Falle eines Abstiegs »das ganze Projekt des dualen Ausbildungssystems mit der Eliteschule in Potsdam in Frage gestellt wird«.
Auch die Zeit der reinen Frauenvereine scheint im Fußball vorbei zu sein. Erfolgreicher sind vor allem jene Teams, die sich Männer-Bundesligisten angeschlossen haben. Der 75-jährige Kutzmutz erkennt zudem eine größere sportliche Konkurrenz in der Stadt. Weil auch die Volleyballerinnen des SC Potsdam und die Handballer vom VfL, einem Kooperationspartner der Füchse Berlin, erfolgreich sind, sei Turbine nicht mehr die Nummer eins in der Stadt. Das macht die Sponsorensuche nicht einfacher. Die sofortige Rückkehr aus der 2. Bundesliga könnte somit schwerfallen.
Turbine, der frühere Leuchtturm des Frauenfußballs, verschwindet immer mehr im Nebel. Seit 2012 gab es keinen nationalen Freilufttitel mehr. Aber zumindest landeten die Potsdamerinnen mit Ausnahme der Spielzeit 2015/16 (Platz sieben) immer zwischen den Rängen zwei und vier. Für die Qualifikation zur Champions League reichte das seit Jahren dennoch nicht mehr. Dem erfolgsverwöhnten Publikum gefiel und gefällt das nicht. Jetzt droht der erste Abstieg seit Einführung der eingleisigen Bundesliga 1997.
Präsident Ritter-Lang zufolge würden aber selbst in diesem Fall nicht die Lichter ausgehen. Man führe bereits mit bisherigen Sponsoren und neuen potenziellen Partnern Gespräche. Parallel dazu wollen die Trainer Gebhardt und Heinrichs sportlich punkten. Die nächste Chance dazu bietet sich an diesem Sonntag in Duisburg. Gebhardt, der am Freitag seine dritte Einheit mit der Mannschaft absolvierte, soll unabhängig von der Ligazugehörigkeit auch in der kommenden Saison Cheftrainer bleiben. »Turbine hatte nicht nur in Brandenburg, sondern in ganz Deutschland Strahlkraft. Da wollen wir wieder hin«, sagte er.
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